Wut, Trotz

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Wut, Trotz

Hallo! Mein Sohn ist zwar schon fast drei, aber ich stelle meine Frage auch hier, weil er früher ein Schreibaby war und es vielleicht etwas damit zu tun hat?! Zur Zeit weiß ich nicht mehr, wie ich ihm helfen kann. Er bekommt extreme Wutanfälle, wenn es nicht nach seinem Kopf geht. Es hat sich aber in letzter Zeit nichts an seinem Tagesablauf oder in seinem Umfeld geändert. Beispiel heute Morgen: im Kindergarten angekommen wollte er nicht die Jacke ausziehen und die Hausschuhe nicht anziehen. Er lag auf dem Boden und brüllte den ganzen Kindergarten zusammen. Er tobte richtig, trat und schlug um sich, wenn ich ihm zu nahe kam. Reden half natürlich gar nichts, in den Arm nehmen wollte er nicht. Ich versuchte, ihn trotzdem fertig zu machen, dabei Biss er mich auf einmal ins Bein. Selbst eine Erzieherin konnte ihn in dem Moment nicht beruhigen. Ich musste dann zur Arbeit. Als ich eine halbe Stunde später anrief hieß es, er habe sich beruhigt, gefrühstückt und spiele jetzt. Solche Wutanfälle hat er jeden Tag mindestens einmal. Manchmal aus heiterem Himmel, manchmal wenn es nicht nach seinem Willen geht. Was mache ich in solchen Situationen? Es kann nicht immer alles nach seinem Willen gehen. Wie komme ich wieder mehr an ihn ran? Da ich in solchen Situationen meist bei ihm bin und ehrlich gesagt auch mit ihm schimpfe, bin ich schon nur noch die böse Mama oder auch blöde Mama. Meine Nerven sind ziemlich am Ende, heute Morgen hätte ich am liebsten mit geheult. Ich hoffe, Sie haben einen Rat für mich!

von Else2011 am 22.09.2015, 22:06


Antwort auf: Wut, Trotz

Liebe Else, die Energie von Dreijährigen erinnert mich manchmal an Tsunamis. Plötzlich und unerwartet bricht sie über einen rüber. So sehr man sich auch abstrampelt, es hat alles keinen Erfolg. Die Wutwelle trägt einen mit. Aus meiner Praxis kann ich Ihnen sagen, dass es sehr vielen Eltern so geht. Sie verzweifeln geradezu an der Wut Ihrer Kinder, fühlen sich hilflos und ohnmächtig, werden selbst wütend oder schämen sich aufgrund Ihrer Unfähigkeit, die kleinen Tober zu beruhigen. Viele fragen sich, ob das Verhalten noch normal ist. Tatsächlich geht exzessives Schreien im Säuglingsalter manchmal mit anderen Regulationsschwierigkeiten wie exzessives Trotzen einher (die sogn Komorbidität) . Dies kann, muss aber nicht sein. Zudem muss immer beachtet werden, dass bei ehemaligen Schreikindern man natürlich immer die besondere Vorgeschichte im Hinterkopf hat und somit das Verhalten oft anders bewertet, als Eltern von Kindern ohne diese anfänglichen Schwierigkeiten. Man ist als Eltern ehemaliger Schreikinder quasi auf Probleme gepolt und einfach schneller alarmiert. Natürlich sind es oft auch die ewigen Vergleiche, die einen als Eltern das Leben schwer machen, und hat man erstmal eine bestimmte Überzeugung "mein Kind ist anders" wird man auch überall eine Bestätigung dessen finden und überall nur brave, wohlerzogene Kinder sehen, die lieb und fleckenfrei an der Hand gehen und nur das tun, was man ihnen sagt. Ganz ohne Kenntnis der Vorgeschichte würde ich zu Ihrem Bericht sagen: "Willkommen in der Welt eines Dreijährigen". Ich meine das nicht mit Häme, sondern möchte zum Ausdruck bringen, dass sich das alles (obwohl unendlich nervig und stressig) sich wie das ganz normale Verhalten eines Dreijährigen anhört. Gerade beim Thema Trotz finde ich es wichtig, nichts vorläufig zu pathologisieren. Selbst eine extremere Ausprägung auf der Wutskala muss noch keinen Behandlungsbedarf beim Kind darstellen. Zur Orientierung: Needlman et al. (1991) definieren exzessives Trotzen mit mindestens drei Trotzanfällen pro Tag von jeweils mindestens fünfzehn Minuten. Gleichwohl kann aber eine Beratung sinnvoll sein, wenn Elten sich einfach durch die Situation überfordert und belastet fühlen. Dies ist kein Grund sich zu schämem ist, denn manchmal passt einfach das eigene Temperament nicht so gut zu dem des Kindes, oder man hat einfach keine adäquaten Reaktionen (durch die eigenen Eltern) erlernt etc. Das nur vorab. Doch was können Sie tun? Zunächst einmal, ist ein Tsunamie schon ausgebrochen hilft alles nichts. Dann heißt es möglichst ruhig bleiben, hinsetzen und abwarten bis sich die Wogen glätten. Auch mit Körperkontakt sollte man -sofern es geht - zunächst zurückhaltend sein, sonst kommt es schnell zu Beißen, Hauen, Kratzen. Lassen Sie sich in dieser Situation nicht von der Wut davontragen - Jetzt etwas mit viel Gerede, Geschimpfe, Appellen un Co durchsetzten zu wollen, geht garantiert schief. Warten Sie einfach ab, die Welle geht vorrüber. Oft plötzlicher als man denkt! Dann, erst dann, können Sie mit Ihrer Erziehungsarbeit anfangen. Vorher nicht. Natürlich lohnt sich immer ein Blick darauf., ob solche Anfälle in bestimmten Situationen oder unter bestimmten Bedingungen auftreten: Müdigkeit, Hunger, Frust, Aufmerksamkeit, aber auch Überforderung durch elterlichen Zeitdruck, unklare Erwartungen oder komplexe soziale Situationen (Spielplatz, Besuchkinder etc.) sind ein häufiger Grund. Hier kann man natürlich vorbeugen, in dem man solche Situationen besser gestaltet, vermeidet oder eben auch vorab mit dem Kind bespricht. Gleichsam muss einem als Elten folgendes bewusst sein: 1) wir selbst fungieren als wichtigstes Rollenvorbild. Es lohnt sich daher immer auch zu gucken, wie wir uns selbst im Streit verhalten. Reden wir respektvoll? benutzen wir die "Ich-Form, verzichten wir auf Verallgemeinerungen? Können wir uns entschuldigen? Sind wir kompromissfähig? 2) Wut und Trotz sind zunächst ein Ausdruck des Kindes von Spannungen, also normal. Den richtigen ("normalen") Umgang damit muss es lernen. Selöbst Aggressionen sind zunächst keine böse Absicht, sondern apssieren oft aus dem Affekt, der eben noch nicht gut kontrolliert werden kann. 3) Erziehung bedeutet daher nicht Vermeidung von Wut, Frustration, Ärger und Co. sondern einm Vermitteln des richtigen Umgang damit. Weitere Tipps finden Sie unter dem Stichwort "Wut und Trotz" - manche Dinge davon können sogar Spaß machen, wie etwa die Einführung eines kleinen "Wutfresserchens" oder "Ärgerzwergs"... Und zum Trost, auch mein kleiner Großer liegt regelmäßig irgendwo aufm Boden und wird von mitleidigen Passanten mit dem "wo-ist-die-böse-Mutter-Blick" versucht, zu beruhigen. Mittlerweile hat er aber sehr große Fortschritte gemacht und es kommt einfach "Geh weg! Ich rede gar nicht mit Dir. Ich will mich in Ruhe auswüten. Meine Mama wartet schon!" Herrlich, was für ein Triumph...sage ich Ihnen.. (-; Das schaffen Sie auch! Statistisch gesehen haben Sie schon den Gipfel erreicht, von nun an sollte es langsam etwas besser werden. Ich wünsche Ihnen viel Ruhe, Geduld, aber auch ganz viel Spaß mit Ihrem Wirbelwind, mit dem es sicher nie langweilig wird! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 23.09.2015