Wie kommt er in den Schlaf?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Wie kommt er in den Schlaf?

Liebes Team, bitte helfen Sie mir. Ich bin sehr verzweifelt. Mein Sohn ist jetzt genau elf Monate. Mit dem schlafen haben wir es noch nie einfach gehabt. Bis zum siebenten Monat habe ich ihn gestillt, da ging es noch und da ist er abends oder mittags immer an meiner Brust eingeschlafen. Dann musste ich abstillen wegen einer OP. Das haben wir soweit hinbekommen aber seitdem haben wir das Problem dass er nicht mehr einschlafen will oder kann. Er ist ein Baby was täglich überreizt ist von den kleinsten Dingen im Alltag. Erste frage, ist das normal? Wenn er müde ist, schläft er nicht, ich muss immer sämtliche Hebel in bewegen setzen ihn zum schlafen zu bekommen. Klappt oft nicht und dann überdreht er immer mehr :-( es ist ein doofes Problem nicht einschlafen zu können. Wie kann er das lernen? Nun habe ich die letzten Monate immer versucht ihm dabei zu helfen und ihn auf meinem Arm einschlafen lassen. Laufen und viel Ruhe. Manchmal dauert das bis zu 1 Stunde. Dreimal am Tag. Wenn ich ehrlich bin habe ich dazu einfach keine Kraft mehr, weil er immer schwerer wird und weil ich auch andere wichtige Dinge erledigen muss.. Das darf nicht so lange dauern. Kuscheln gerne, aber jedes Mal eine Stunde oder länger an schlimmen Tagen geht einfach nicht mehr. hätten Sie eine Idee wie ich es ihm beibringen kann alleine im Bett einzuschlafen? Oder überhaupt wie er lernt einzuschlafen, wenn man müde ist. Das Problem ist immer und überall, schläft nicht im Wagen ein schläft nicht wo anders, schläft nicht im Auto... ich kann nicht mehr.. Wenn ich es probiere, ihn irgendwo oder in seinem Bett hinzulegen schreit er sich bis zur Erschöpfung in den Schlaf und das finde ich furchtbar :-( was raten Sie mir? Ich weiß nicht was ich bekehrt mache, dass er immer so überreizt ist, ich habe alles runtergeschraubt an Tönen und Unternehmungen... eine Stunde am Vormittag am ruhigen See baden und im Sand spielen reichen aus um den ganzen Tagesrhythmus durcheinander zu bringen und er ist völlig überdreht anstatt einfach mal dann Mittagsschlaf zu machen :-( ist das normal? Wie soll er ab August die Kita überstehen?

von Mamamia80 am 13.06.2016, 09:40


Antwort auf: Wie kommt er in den Schlaf?

Liebe Mammamia80, wie Sie an der Resonanz sehen, sind Sie wirklich nicht allein. Ob man es nun Schreibaby, chronische Unruhe, 24-h-Kind oder „spirited child“ nennt - es gibt Kinder, die die Norm hinsichtlich Unruhe und Schlafproblemen sprengen. Doch außerhalb einer statistischen Norm zu liegen, ist noch nicht gleichzusetzten mit pathologisch. Genauso wie es extrem ruhige Vielschläfer gibt (über die sich kein Mensch wundert oderbeschwert) gibt es eben die anderen 5%. Auch wenn sich die Frage immer wieder aufdrängt, ihr Kind kann körperlich und geistig völlig gesund sein und sich trotzdem so verhalten. Probleme, wie Sie sie beschreiben, fasst man unter dem Begriff Regulationsstörung zusammen, wobei ich gern von Regulationsschwierigkeiten spreche. In der Forschung herrscht Konsens darüber, dass dabei drei Ursachenkomplexe zusammenspielen a) Faktoren beim Kind, wie etwa großer Reizhunger, niedrige Reizschwelle, „schwieriges Temperament etc., b) Faktoren bei den Eltern wie etwa psychische Belastungen, Konflikte, Stress etc . und c) Probleme in der Eltern-Kind-Interaktion wie z.B. Überstimulation, Probleme beim Beruhigen und Schlafenlegen etc. D.h. möglicherweise hat Ihr Kind gewisse Schwierigkeiten in der Selbstregulation, wie z.B. die Tendenz, sich immer neuen Reizen zuzuwenden und sich dadurch permanent selbst zu überfordern. Sind dann die Eltern vielleicht gestresst (und wer wäre das nicht in so einer Situation!), können dann schnell Muster entstehen, die zwar kurzfristig helfen, aber langfristig zur Aufrechterhaltung der Probleme beitragen. Ein Beispiel für so einen typischen Teufelskreis wäre, dass die völlig übermüdete Mutter Ihr schreiendes Kind auf den Arm nimmt und stundenlang umherwandert, auf dem Pezziball wippt etc. Das klappt auch wunderbar, denn Kinder mit Regulationsschwierigkeiten lassen sich wunderbar ablenken und sprechen auf intensive Reize. Das Schreien hört auf. Doch das Problem ist, dass dies langfristig dazu führt, dass sich das Problem verschärft. Durch die Stimulation wird das Kind nur von seinen inneren Zuständen (Müdigkeit etc.) abgelenkt und immer weiter überreizt, so dass es nicht das bekommt, was es eigentlich braucht (Schlaf). Hinzukommt, dass so eine Verknüpfung zwischen Bewegungsreizen und Schlaf hergestellt wird, das Kind also tatsächlich Schlafenkönnen mit dieser intensive elterliche Einschlafhilfe verbindet und diese immer intensiver einfordert. Trotz bester Absichten können so Eltern verhindern, dass Kinder ihren Aus-Knopf finden. Doch ist man erst in dieser Mühle, ist es für betroffene Eltern sehr schwer allein dort wieder herauszukommen, denn durch die permanenten Anstrengungen beim Schlafenlegen und Beruhigen sind Sie am Rande Ihrer Kräfte. Verständlicherweise ist es dann natürlich das Naheliegenste das Einzige, was noch zu funktionieren scheint, weiterhin durchzuziehen und zu wandern, zu wippen, umherzufahren usw. bloß um ein bisschen Ruhe zu bekommen.Ich könnte mir – ohne eine Ferndiagnose vornehmen zu wollen – vorstellen, dass Sie sich in einer ähnlichen Sackgasse befinden. Wie können Sie sich nun aus dieser Situation befreien? Zunächst einmal machen Sie ja schon einige entscheidende Dine richtig, indem Sie für Ruhe sorgen und darauf achten, den Alltag nicht mit zu vielen Aktionen zu überfrachten. Sie haben es ja selbst schon erkannt, dass Ihr Kind eigentlich viel Ruhe braucht, von allein aber nicht zur Ruhe kommt. Es ist daher wichtig, dass Sie nicht erst warten, bis Ihr Sohn irgendwann Müdigkeitssignale zeigt, sondern Ruhepausen vorgeben und zwar nach einem festen Rhythmus. In seinem Alter kommen die meisten Kinder mit einem kurzen Schläfchen am Vormittag sowie einem längeren Schläfchen am Nachmittag aus. Manche brauchen aber noch ein Päuschen , wieder andere nur einen Mittagsschlaf. Richtig ermitteln ließe sich das anhand von 24-h-Protokollen, zu denen hier andernorts schon viel geschrieben wurde. Es kommt dabei nicht darauf an, dass Ihr Kind dann immer schläft, doch sollte das eine Zeit sein, in der sich die Sinne erholen können. Kinder wie er erleben ihre Umwelt ganz intensiv und müssen erst Filter und Aus-Knöpfe entwickeln, um sich vor zu vielen Reizen zu schützen. Wenn man darauf wartet, dass sie von selbst einen Rhythmus findet, stellt dies meist eine Überforderung dar. Meine Empfehlung lautet daher Schaffung einer festen Tagesstruktur mit wiederkehrenden Ritualen und vorhersehbaren Abläufen – ganz so, wie es übrigens in Kitas der Fall ist! Das schließt übrigens Wecken mit ein, denn auch wenn froh ist, wenn ein unruhiges Kind mal endlich länger schläft, führen unregelmäßige Schlafenzeiten und ein in-den Tag-Schlafen wie bei uns Erwachsenen auch dazu, dass sich kein Rhythmus etablieren kann. (Ausnahmen durch Krankheiten und besondere Umstände wie Reisen etc. sin d natürlich nicht gemeint). In der ersten Zeit schränkt das natürlich etwas ein, doch ist der Kreislauf erst einmal durchbrochen, werden Sie sehen, dass nach und nach auch mehr Flexibilität möglich ist. Völlig abschotten und isolieren brauchen Sie sich übrigens nicht. Bloß sollten es einigermaßen feste Zeiten für Aktivitäten und Ruhepausen geben und eben nicht zu viel auf einmal an einem Tag passieren. Auch Aktivitäten in den späten Nachmittagsstunden sind anfänglich zunächst weitgehend zu vermeiden. Weiterhin sind die elterlichen Einschlafhilfen kritisch zu überprüfen und ggf. zu modifizieren. Beruhigen kommt von Ruhe! Das fällt Kindern, die sich an intensive Stimulation gewöhnt haben, natürlich wahnsinnig schwer, denn nun werden sie ja ohne nicht mehr von diesen „unangenehmen Gefühlen“ (Müdigkeit, Überforderung, Überreizung) abgelenkt. Salopp gesagt setzt man sie quasi auf Entzug und das bedeutet zunächst natürlich noch mehr Schreierei, Unruhe und Stress – für alle. Es ist deshalb entscheidend, dass Eltern verstehen, warum eine Veränderung g der bisherigen Muster notwendig ist und dass Sie sich bewusst machen, dass dies nicht reibungslos und über Nacht passiert. Hier muss daher ein Weg gewählt werden, der für die Eltern und das Kind gangbar ist. Je nach Alter und Reifestand des Kindes, den familiären Umständen und Vorstellungen der Eltern kann dabei in mehr oder weniger großen Schritten vorgegangen werden, wie Sie an den Beiträgen zum Thema selbstständiges Einschlafen / Einschlafprobleme etc. sehen können. Wichtig ist bloß, dranbleiben, dranbleiben, dranbleiben. Die beste Methode hilft nichts, wenn sie nach ein, zwei Tagen das Handtuch werfen, denn Verhaltensänderungen brauchen Zeit. Man geht als Daumenregel von ca. 14 Tagen aus, was jedoch angesichts der Zeit, die ein Kind hatte, um sich an das Bisherige zu gewöhnen ja auch nicht gerade besonders viel ist. Das wären zwei der wichtigsten Bausteine zu diesem Thema. Wichtig ist jedoch, dass Sie überhaupt die Kraft finden, Dinge zu ändern. Eine gute Selbstfürsorge und das Suchen von Entlastung und Unterstützung sind daher essentiell für den Erfolg. Der Beginn der Kita-Zeit kann dabei eine wirklich gute Hilfe sein und zwar für Sie und Ihr Kind. In der Regel können sich gerade unruhige Kindern in einer Kita gut orientieren. Dort ist alles geregelt und getaktet ist, und zudem sind durch die anderen Kinder ja auch gute Rollenmodelle vorhanden. Sie dagegen können mal durchatmen, etwas anderes als ans Schlafenlegen denken und dann erholt Ihr Kind abholen – was vieles unendlich leichter macht. Sie sehen, das ganze Thema ist komplex. Doch es gibt keinen Grund zu verzweifeln! Machen Sie sich bewusst, dass Ihr Kind an der ein oder anderen Stelle besondere Bedürfnisse hat und deshalb eben auch Ihr Alltag ein wenig von der Norm abweicht. Doch Unruhe und Umtriebigkeit spiegeln nur die eine Seite der Medaille wieder, auf der anderen Seite finden sich Dinge wie Aufgewecktheit, Feinfühligkeit, rasche Auffassungsgabe, Fantasie und Co. Alles Gute für Sie! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 15.06.2016


Antwort auf: Wie kommt er in den Schlaf?

Sie sprechen mir aus der Seele. Haargenau das Gleiche Problem habe ich mit meiner neun Monaten alten Tochter. Zusätzlich schreit sie jede Nacht noch zwei bis drei Stunden weil sie wach wird und nicht mehr in den Schlaf findet. Ich kann sie gut verstehen, ich komme da auch langsam an meine Grenzen. Meine Große war da immer so unkompliziert...

von Tele1415 am 13.06.2016, 10:38


Antwort auf: Wie kommt er in den Schlaf?

Liebe Mamamia, Ich wollte auch nur kurz los werden dass bei uns auch das absolut identische Problem herrscht. Mein Sohn ist auch gerade 11 Monate geworden und er "spinnt" extrem, seit 2 Monaten durch, was das Schlafen angeht. Wobei es bei uns nie einfach war, aber seit dieser Zeit ist absolut der Wurm drin. Mein Mann und ich wissen auch nicht mehr was wir machen sollen. Verzweiflung ist gar kein Ausdruck mehr. Für uns ist das zu Bett bringen eine reine Qual und das Schlimmste überhaupt, Tag für Tag. Du bist nicht alleine... Bin auch sehr gespannt auf die Antwort Liebe Grüße

von Anilux am 14.06.2016, 14:30