Wie kann mein Sohn lernen zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Wie kann mein Sohn lernen zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen?

Hallo, Endlich ein Forum, in dem ich zu meiner Situation passende Informationen finde - vielen Dank dafür. Unsere Situation ist die folgende: Unser Sohn ist 14 Wochen alt und ist tagsüber meist ein fröhliches offenes und neugieriges Kind, das alles miterleben und nichts verpassen möchte. Spätestens am späten Nachmittag fängt er dann aber an sehr unruhig zu werden und zu weinen, teilweise sehr durchdringend, schrill und geradezu panisch. An Einschlafen ist nicht zu denken, obwohl er sichtbar müde und überreizt ist. Diese Weinen zieht sich oft über 2 oder mehr Stunden. Leider hat das Einschlafen von Anfang an nicht wirklich geklappt. Schlafen konnte er die ersten Wochen ausschließlich auf meinem Bauch und das auch nur nach vorherigem Stillen oder Tragen. Leider konnte er diesbezüglich sein Repertoire bislang nicht erweitern. Den Kinderwagen mag er nicht und auch im Auto ist das Einschlafen eher Glücksache, meist aber endet es mit Geschrei. Als Erfolg verbuchen kann ich jedoch, dass er nun häufiger auch im Beistellbettchen weiterschläft, wenn ich ihn - nach ausreichend langer Zeit - schlafend dort hinein lege. Trotz dieses kleinen Fortschritts habe ich das Gefühl, dass wir uns gerade in einen Teufelskreis begeben. Mein Sohn hat noch kein Repertoire, sich selbst zu beruhigen (weder Schnuller noch Daumen noch Kuscheltier,...) und kann nicht alleine einschlafen, weiterschlafen in der Nacht funktioniert manchmal mit im Arm halten, meist aber nur durch Einschlafstillen. Dazu kommt er nachts etwa alle 2 Stunden, derzeit aber auch teilweise noch häufiger, was mich zunehmend belastet. Ich habe es schon probiert, ihn abends in den Schlaf zu begleiten. Er schreit so unheimlich ausdauernd und fast panisch, schwitzt furchtbar und wird motorisch ganz wild, so dass ich mich dabei frage, ob ich ihm damit nicht schade, weil er dann eher erschöpft und verausgabt in den Schlaf findet als relaxt, wenn er denn überhaupt in den Schlaf findet. Zudem beobachte ich, dass er seitdem nachts öfter weinend aufschreckt. Ich bin ganz unsicher, was hier hilft. Mein Mann und ich haben diese Zeit des (begleitet) schreien lassen deshalb für uns erstmal auf 20 Minuten reduziert. Es geht mir nicht um meinen Freiraum (den ich sicher vermisse), sondern darum meinem Sohn zu mehr Ruhe zu verhelfen. Ich geb ihm gerne alle Nähe und Zeit, die er braucht, aber wir bewegen uns als gesamte Familie gerade auf eine Stresssporale zu, die keinem von uns hilft. Meine Frahe ist daher: Wie kann ich ihm helfen, besser zur Ruhe zu kommen und alleine einzuschlafen? Ich achte sehr darauf, den Tag zu strukturieren, Besorgungen und Besuche morgens zu planen und ein kurzes aber festes Abendritual haben wir auch. Wir haben außerdem bereits Kontakt zur örtlichen Schreiambulanz aufgenommen, müssen aber leider noch gute drei Wochen auf den Termin warten. Haben Sie schon einen Rat für mich?

von Happylee am 08.09.2015, 10:48


Antwort auf: Wie kann mein Sohn lernen zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen?

Liebe Happylee, erstmal schön, dass Sie sich nicht scheuen, Hilfe zu suchen! Viele Eltern von Schreibabys schämen sich völlig zu Unrecht und Sie fühlen sich als Versager, weil sie Ihr Kind nicht trösten können. Die Situation und das damit verbundene Leid wird dann meist vieel zu lange ausgehalten, bis am Ende das Problemfeld riesig und die Kräfte völlig aufgezehrt sind. Es ist auch völlig klar, dass es den wenigsten Eltern, die sich Hilfe holen darum geht, mal mehr Party o.Ä. machen zu können. Sie würden sich ja den linken Arm abhaken, wenn Sie wüssten, dass es Ihrem Kind besser geht, oder? Eine frühe Behandlung so wie bei Ihnen ist für alle Seiten nicht nur einfacher und schneller greifend, auch die Prognose ist so wirklich sehr günstig. Doch verständlicherweise ist die Wartezeit auf den Termin in der Schreiambulanz noch gefühlt ewig. Also was können Sie tun? Zunächst etwas zur Vorbereitung: Fragen Sie die Kollegen von Ort, ob Sie mit Protokollen arbeiten und füllen Sie diese schon mal im Vorwege aus. Dann hat man einfach eine solide Datenbasis und kann gleich agieren. Angesicht der geplanten Behandlung würde ich jetzt erstmal versuchen, in Ihrem Programm zu bleiben und nicht zu viel zu ändern. Die wichtigsten Regeln: - weniger ist mehr - Struktur - regelmäßige Ruhepausen - nur eine Maßnahme zurzeit - und die aber mit Konsequenz für mind. 10 bis 14 Tage) - einen ruhigen Ausklang des Nachmittags - und insgesamt der Verzicht auf weitere Reizüberflutung durch häufig wechselnde Beruhigungsmethoden und aufwendige elterliche Einschlafhilfen (stundenlanges Tragen zur Nacht, Wippen auf dem Pezziball, Autofahren etc.) ...kennen Sie ja schon und vieles versuchen Sie ja auch mit viel Engagement und Liebe umzusetzen. Ich bin sicher, Sie haben außerdem schon etliche Ratgeber gelesen und viele Meinungen eingeholt. Das alles kann sehr verwirrend sein, zumal jeder auch immer ein wenig anders tickt und Dinge anders macht. In der Fachwelt wird daher auch diskutiert, ob nicht der Trend, dass Eltern sich überinformieren und ihre eigene Intuition völlig verlieren, ein Teil der Problematik ist. Die goldene Regel: weniger ist mehr - gilt daher auch für die Elternarbeit. Ich kann Ihnen hier eh nur allgemein Tipps geben, die Schreiambulanz vor Ort kann Ihnen aber viel individueller helfen. Von daher würde ich jetzt keine Maßnahmen einführen, bevor Sie diesen Termin hatten. In der Schreiambulanz kann man zudem die Interaktion zwischen Ihnen und Ihrem Kind genauer betrachten und Sie an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch mehr darin bekräftigen, bei Dingen zu bleiben und auf Dinge, die das Problem langfristig erhärten, zu verzichten. Doch ich kann Ihnen gern ein paar Tipps geben, wie Sie das Schreien leichter überstehen: Zunächst einmal hilft das Wissen, dass motorische Unruhe, ein Überstrecken, Zucken etc. nicht mit Erwachsenenaugen als Zeichen von Ablehnung zu verstehen sind. Ihr Kind kann - besonders wenn es aktiviert ist - seine Motorik noch nicht steuern und Willkürbewegungen im Schlaf oder auch Bewegungsautomatismen sind normal! Natürlich erschöpft das Schreien, doch ist es für Ihr Baby auch eine wertvolle Erfahrung, dass es lernt, dass nichts Schlimmes passiert, sondern irgendwann Entspannung eintritt. In Zukunft wird Ihr Kind lernen, sich zu entspannen, wenn es Bedarf danach hat und nicht erst, wenn alles zu spät ist und gar nicht mehr geht. Denken Sie einmal an eine Situation, in der Sie völlig überreizt und hundemüde keinen Schlaf finden konnten, weil Sie einfach zu unruhig und aktiviert waren. Ihnen ging es sicher nicht gut, sie wollten endlich schlafen, wurden sogar wütend auf sich selbst. Haben sich hin und her gewälzt. Was hätte Ihnen in dieser Situation geholfen? Laute Musik, ein Diskobesuch? Wohl kaum. Doch genau das ist es, was wir Eltern - mit allerbesten Absichten! - dann den Kleinen als Reizprogramm bieten, wenn wir Sie stetig auf und ab schuckelnd, die Lage wechselnd mit Schnuller und Spielsachen konfrontierend von lauten Föngeräuschen begleitet in den Schlaf bringen wollen - überspitzt dargestellt. Versuchen Sie sich vorzustellen, was Ihnen geholfen hätte. Jemand der einfach da gewesen wäre, Sie in den Arm genommen hätte und selber ruhig geblieben wäre und Ihnen gesagt hätte, dass es bald besser werden würde? Nur ein Gedankenspiel, doch vielleicht hilft es Ihnen, den Druck von sich zu nehmen, dass Schreien durch allerlei Dinge abzustellen. Des Weiteren empfehle ich gern Ohrenstöpsel und / oder Kopfhörer, um die schrillen Obertöne abzupuffern, sowie einfache Entspannungsübungen (Muskeln gezielt anspannen und loslassen, Stichwort: PMR – einfach googlen) und bewusstes Atmen – gern auch so, dass Ihr Baby es hört. Tagsüber finde ich das Überbrücken von Schreiphasen durch Spaziergänge im Tragetuch an der frischen Luft für beide super. Und natürlich sollte Sie jede Hilfe und Entlastung annehmen und organisieren, die möglich ist. Vielleicht läuft ja jemand auch mal gern ein Stündchen mit Ihrem Schatz im Park herum, so dass Sie schlafen können? Oder - wenn Sie Ihr Kind nicht mal stundenweise abgeben können oder wollen, - kann Sie vielleicht jemand bekochen, einkaufen oder im Haushalt helfen. Abschließend bin ich optimistisch, dass die Behandlung bald Erfolge zeigt! Ihr Baby ist ja noch wirklich jung und ist garantiert noch nicht „in den Brunnen gefallen“, so dass es erst mühsam herausgezogen werden muss… Alles Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 08.09.2015


Antwort auf: Wie kann mein Sohn lernen zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen?

Liebe Frau Dr. Benz, Ein herzliches Dankeschön für Ihre einfühlsame und rasche Antwort. Sie hat mir sehr geholfen die Ruhe bis zu unserem Termin in der Ambulanz zu bewahren und nicht aus lauter Frust und Erschöpfung neue Dinge halbherzig und uninformiert auszuprobieren. Mit dem Gespräch gestern haben wir nun Wissen und Werkzeug an die Hand bekommen, um unserem Sohn und damit auch uns das Leben etwas leichter zu machen.

von Happylee am 24.09.2015, 13:12


Antwort auf: Wie kann mein Sohn lernen zur Ruhe zu kommen und einzuschlafen?

Ein kleines PS mit einer weiteren Frage... Seit vergangenem Mittwoch üben wir nun das Abschalten und Einschlafen im Beistellbettchen statt in der Trage oder an der Brust und können schon ein paar kleine Fortschritte sehen. So schlief mein Kleiner nachts nun länger am Stück und wachte nicht mehr jede Stunde auf. Was nachts nun also schon besser klappt, will tagsüber aber noch nicht so recht gelingen. Er schläft zwar (nach unterschiedlich langer Schreierei) ein, schafft es aber trotz meiner Hilfe (Körperkontakt, schhhhhh, Händchenhalten, ...) nicht über die erste Schlafphase hinaus und wacht nach 25 - 30, seltener such nach 40 Minuten auf. Meine Frage ist nun: Lasse ich ihn dann aufwachen und starte die nächste aktive Zeit mit ihm? Oder versuche ich ihn erneut zum Schlafen zu bewegen - was wieder mit wütendem Gebrüll und reichlich Tränen einhergeht. Denn so richtig müde ist er nach seinem Powernap ja nicht. Ausgeschlafen allerdings auch nicht... Was können Sie mir raten?

von Happylee am 28.09.2015, 13:04