Wann wird es besser/leichter??

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Wann wird es besser/leichter??

Hallo Frau Dr. Bentz, schön, dass es hier nun auch eine erste Anlaufstelle gibt für Eltern von Kindern mit speziellen Bedürfnissen! Mein "ganz besonderes Baby" ist zwar schon 20 Monate alt, ich hoffe, ich darf mir dennoch einmal alles von der Seele schreiben... Nach einem äußerst pflegeleichten Baby (inzwischen 10 Jahre alt ;-) ) habe ich jetzt ein äußerst anhängliches, kuschelbedürftiges und "anspruchsvolles" Baby. Ein Baby, welches ich von ganzem Herzen liebe, mir aber in sämtlichen Bereich das Leben einfach soooo schwer macht. Mein Sensibelchen war von Beginn an "anders" als die große Schwester. Sie hat von Anfang an viel geschrien. Kinderwagenfahren, Autofahren - nicht möglich. Verdauung, essen, schlafen - alles war einfach so extrem schwierig. Oft habe ich einfach nur versucht, die Tage und Nächte irgendwie rum zu bringen - immer zu mir sagend "Es wird bald besser!" oder "Sie zahnt!" oder "Es ist ein Schub!" Lange konnte ich kaum mein Baby und das Mutterglück genießen - zumindest nicht in vollen Zügen.  Ich habe viel mit Homöopathie rumprobiert, ich habe gepuckt, getragen, Bücher gelesen, wir waren beim Kinderorthopäden, Osteopathen, in der Schreiambulanz. Nichts und niemand konnte uns wirklich weiterhelfen. Irgendwann habe ich aufgehört, alles in Frage zu stellen ("Was mache ich falsch? Was stimmt nicht? Was fehlt meinem Baby?"). Ich habe angefangen, alles so hinzunehmen, wie es ist, mein Baby so zu akzeptiert, wie es ist und versuche schlicht und einfach, mich voll und ganz nach ihren Bedürfnissen zu richten (wofür ich leider auch sehr oft Unverständnis ernte). Das macht es mir ein wenig leichter. Dennoch ist der Alltag mit ihr nach wie vor sehr anstrengend! Sie schläft noch immer äußerst schlecht (im Familienbett), mag kaum essen, stillt dementsprechend noch viel, v.a. auch noch nachts. Ich trage sie noch häufig. Dazu kommen anhaltende Verdauungsprobleme (sie bekommt jetzt seit etwa einem Monat Movicol). Der extreme Schlafentzug fordert seinen Tribut und ist psychisch wie physisch schwer auszuhalten. Manchmal war und bin ich teils noch immer der Verzweiflung nahe und dann bin ich weit, weit entfernt von etwas, was man eine geduldige und liebevolle Mama nennt. Denn meine Kraft ist auch nicht unendlich. Es ist alles manchmal einfach so mühsam - und eine Belastung für die Familie und auch Partnerschaft! Aber ich liebe meine Maus (das bezaubernste Wesen auf der Welt! :-) ) Und ich halte durch!!! Mich würde nur interessieren, wann wird es besser? Wann wird der Alltag leichter? Wann werden die Nächte ruhiger? (Wahrscheinlich gibt es keine Antwort... Außer: in 10 Jahren lachen wir darüber! ;-) ) Vielen Dank für's Lesen und liebe Grüße! (...Und Entschuldigung für den langen Text!)

Mitglied inaktiv - 08.07.2015, 13:30


Antwort auf: Wann wird es besser/leichter??

Liebe LuzzWuzz! vielen Dank für diesen wunderschönen Text! Sie beschreiben auf sehr anrührige Weise das Gefühlschaos, das so wohl nur die Kleinen in uns wecken können! Ich bin mir sicher, dass viele sich in Ihren Worten wiederfinden und Ähnliches erleben. Ihre Frage möchte ich aus verschiedenen Positionen heraus betrachten. Zunächst: was sagt die Wissenschaft: Sie haben recht, im strengen Sinne würde man bei einem 20 Monate altem Kind nicht mehr von Schreibaby reden, da sich das Störungsbild nun ja nicht mehr durch exzessives Schreien, sondern eher durch chronische Unruhe, Unzufriedenheit, Schlafprobleme und andere Schwierigkeiten zeigt. Dennoch gehören auch Kleinkinder zu den Patienten einer Schreiambulanz, da alles zum Spektrum der Regulationsstörungen im Kleinkindalter gehört. In der Regel lässt sichzudem feststellen, dass späteren Problemen mit dem Schlafen, Essen und Dingen wie chronische Unruhe, exzessives Trotzen Klammern oder Spielunlust eine Schreikarriere voranging. Die "älteren Semester" stellen demnach also gewissermaßen der harten Kern der exzessiven Schreier da. Die Mehrheit zeigt eine kontiuierliche Abnahme der Schreidauer nach drei bis vier Monaten. Je nach Studie schreien dann noch ca. 5-9 % der Kinder über den sechsten Monat hinaus exzessiv und eben ein Teil dieser Kinder - so wie Ihre Tochter - zeigt weiterhin Schwierigkeiten. D.H. hätten wir es im Fall Ihrer Tochter mit isoliertert nur mit exzessiven Schreien quasi als "Anpassungsstörung" zu tun gehabt, hätte sich die Sache schon lange erheblich bessern müssen. Leider wird es daher höchtswahrscheinlich nicht mehr so sein, dass sich das Problem einfach auswächst. Warum sage ich das? Ich möchte Sie weder entmutigen, noch Ihnen Angst machen! Auch gegen Ihre Haltung, Ihr Kind so zu lieben, ist grundsätzlich nichts einzuwenden - sofern sie aus einer Postion der Stärke /Überzeugung etc. und nicht aus Resignation (es hilft eh nichts, ich kann eh nichts ändern) heraus entwickelt wurde. Bei Ihnen sehe ich beides: Sie haben mit sehr viel Kraft und Energie und gegen Kritik von außen einen Weg gefunden, merken allerdings auch, dass dieser Weg Ihnen, Ihrer Großen und Ihrem Partner viel abverlangt. Mit all diesen Opfern ist jedoch der Wunsch verbunden, der Kleinen gerecht zu werden. Doch werden Sie es? Sie schreiben ja selbst, dass stundenlanges Tragen, nächtliches Stillen nach Bedarf, Schlafen im Familienbett etc. (= alles an sich sehr gute und liebevolle Dinge) nicht wirklich weiterhelfen und Sie an Ihre Grenzen führen. Sie machen also alles, was man sich so von einer guten Mutter vorstellt und das soll falsch sein? Sie kennen bestimmt den Spruch, der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Absichten - und das passt hier meiner Meinung nach sehr gut. Ich erlebe in meiner Praxis immer wieder ähnliche Fälle und meist gibt es zwei Arten von "Missverständnissen", die dem zu Grunde liegen: 1. Innere Vorstellungen von Muttersein wie "eine gute Mutter muss sich aufopfern", "muss alles für Ihre Kinder tun", "muss stets liebevoll sein", "wenn man Kinder hat muss man eben zurückstecken". Es gibt gute Gründe für diese Vorstellungen, die vor allem in unserer Kindheit verankert sind, dennoch sind sie irrig! Kinder brauchen keine stets liebevolle, perfekte Mutter ohne eigene Bedürfnisse und Grenzen. Im Gegenteil: erleben Kinder ihre Eltern als ihr "Opfer", gibt es zwei Entwicklungswege: sie nehmen die Rolle an und werden zum Tyrann und setzen selber nur Grenzen für andere oder sie lehnen die Rolle ab und werden ebenfalls "grenzenlos", weil das Modell es Ihnen eben so vorgelebt. Da knüft das zweite "Missvertsändnis" an: 2. Kinder brauchen Liebe und sonst nichts: Für Kinder und besonders für Kleinkinder ist es sehr verwirrend, wenn Ihnen keinerlei Grenzen aufgezeigt werden und man sich quasi vom permanenten Eingehen auf Bedürfnisse erhofft, dass sie diese sich selbst setzen. Das können die Kleinen jedoch nicht und vor allem nicht, wenn sie mit Regulatiosschwierigkeiten zu kämpfen haben! Ein Kind wie Ihre Tochter hat eben genau die Schwierigkeit, sich gemäß ihren Bedrürfnissen richtig zu verhalten, d.h. sie kann sich schwer allein runterregulieren, einschalfen, wenn sie müde ist, hat womöglich Schwierigkeiten, auf Hungergefühle altergemäß durch Essen zu reagieren, klammert etc. D.H. durch ein Gewährenlassen - natürlich mit liebevoller Absicht, ihr gerecht zu werden - wird sich nichts ändern. Liebe heißt Konflikt: Wir als Eltern haben die Aufgabe, diese Konflikt einzugehen und unseren Kindern Grenzen zu zeigen. Ich meine dies nicht im Sinne von Bestrafen, Schimpfen, Verbieten sondern im Sinne einer Struktur vorgeben, sich als Person mit eigenen Interessen erlebbar zu machen, Autonomie gewähren, Frustration und negative Emotionen wie Wut auch mal zulassen, Entwicklungen zum Kleinkind etc. .. Mir ist bewusst, dass das alles ziemlich provokant war. Daher ist es mir wichtig nochmal zu betonen: Ich möchte Ihnen nicht auferlegen, natürlich müssen Sie immer von dem überzeugt sein, was sie tun! Ob Sie weiterhin nachts stillen, sie noch stundenlang tragen etc. ist ganz allein Ihre Entscheidung! Wenn Sie die Kraft dafür haben, es für sich und Ihr Kind als richtigen Weg erleben, der nur einfach schwierig ist, bleiben Sie dabei. Wenn Sie es aber aus Resignation und Erschöpfung tun, möchte ich Ihnen Mut machen, noch einmal den Versuch einer Änderung zu starten, auch wenn Ihre Erfahrungen ziemlich bisher leider entmutigend waren. So, oder so: ich bin überzeugt, dass Sie in 10 Jahren sicher darüber lachen. Doch ebenso glaube ich, dass sich ein Weg finden ließe, diese Zeit zu verkürzen! Herzliche Grüße, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 08.07.2015


Antwort auf: Wann wird es besser/leichter??

Liebe Frau Bentz, erstmal möchte ich mich recht herzlich bei Ihnen für die ausführliche und ganz persönliche Antwort bedanken! Ich finde es bemerkenswert, dass Sie sich hier die Zeit nehmen, um "zuzuhören" und Denkanstöße zu vermitteln, um Eltern bei der Problemlösung ganz individuell zu helfen. Ihre Tips und Anregungen bezüglich meiner "Problematik" werde ich auf jeden Fall nochmals überdenken! Ich hoffe, ich darf noch eine kleine Frage anschließen... Gibt es spezielle Kur-Einrichtungen für Mutter/Kind speziell für Familien mit "Schreibabys" bzw. anspruchsvollen Kindern? Herzlichen Dank nochmal und viele Grüße! LuzzWuzz

Mitglied inaktiv - 09.07.2015, 12:48


Antwort auf: Wann wird es besser/leichter??

Liebe LuzzWuzz, Danke, es freut mich sehr, dass ich ein wenig helfen konnte! Zu Ihrer Frage: da bin ich überfragt, davon gehört habe ich noch nicht. Ich weiß aber, dass bei vielen Trägern (wie z.B. den Krankenkassen) extra Berater für Mutter-Kind-Kuren gibt, die Ihnen vielleicht weiterhelfen können. Im Übrigen: Eltern von anspruchsvollen Kindern haben recht häufig die Sorge, mit Ihrem Kind andere zu belästigen. Rücksicht nehmen ist ja im normalen Rahmen gut. Ich persönlich finde es aber schade, wenn dieser Gedanke dazu führt, sich zu isolieren. Unsere Gesellschaft muss auch Kinderlärm ertragen, wenn sie weiter existieren will. In einer Mutter-Kind-Einrichtung ist sollte es ohnehin - auch wenn sie nicht auf diese Kinder spezialisiert ist - überhaupt kein Problem sein, wenn ihr Kind nicht nur brav in einer Ecke sitzt. Die Idee, eine solche Kur zu machen, ist großartig und ich wünsche Ihnen viel Erfolg! Herzliche Grüße, Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 14.07.2015


Antwort auf: Wann wird es besser/leichter??

Dann werde ich mich bezüglich einer Kur einmal schlau machen. Nochmals herzlichen Dank! Liebe Grüße, LuzzWuzz

Mitglied inaktiv - 14.07.2015, 21:41