Schreikind und keine Ende in Sicht

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Schreikind und keine Ende in Sicht

Sehr geehrte Frau Dr. Bentz, es geht um meinen Sohn der mittlerweile 14 Monate ist und seit seiner Geburt ein echtes Schreikind ist. Im Krankenhaus schrie er schon mehr wie die anderen, zudem auch viel lauter. Man sagte mir im Spaß, man hätte selten so eine kräftige Stimme gehört. Ich konnte natürlich darüber nicht lachen. Also, er schlief schon immer schlecht ein und die ersten 6 Monate nur auf meiner Brust oder meinem Bauch. Er schrie den ganzen Tag abends auch stundenlang am Stück. Ablegen ließ er sich nicht auch tagsüber im wachen Zustand nicht. Ich war zu dem Zeitpunkt mit den Nerven am Ende und habe abgestillt damit er stundenweise zu meinen Schwiegereltern konnte. Das belastet mich heute sehr ihn so früh schon abzugeben und ich denke deswegen sehr oft ich wäre eine schlechte Mutter und dass andere auch damit klar kommen könne nur ich nicht. Auch heute geht er noch regelmäßig ca 3 Tage die Woche für 5 Stunden zu meinen Schwiegereltern etwa ab einem Alter von einem Monat an. Ich habe mir schon Hilfe geholt weil ich nur weinte und überfordert bin. Uns geht es trotzdem nicht besser. Er schläft zwar jetzt neben mir aber an sein eigenes Bett ist nicht zu denken. Nachts schreit er so hysterisch und ist mit nichts zur Ruhe zu bringen ich bekomme ihn einfach nicht beruhigt und er bekommt dann irgendwann die Flasche. Auch lässt er sich tagsüber nirgendwo hinsetzen zum spielen. Es muss immer einer dabei sitzen aber am besten ihn auf dem Arm überall hintragen wo er hin will. Ich probiere nebenbei den Haushalt und anders zu erledigen aber jeder Tag ist ein Kampf weil er mir immer nur ein Zeitfenster von ein paar Minuten lässt. Er isst nicht sehr gut und zum Kochen habe ich einfach keine Zeit weil er sie mir nicht lässt. Mit ihm zu kochen ist eine Katastrophe. Mittagsschlaf macht er nur neben mir. Ich Unternehme kaum mehr was mit ihm weil er nur meckert und schreit. Außer im Kinderwagen und wenn mein Mann mir hilft. Man wird beim einkaufen ständig schief angeguckt und man sieht dann die ganzen Mütter mit Kind die viel ruhiger sind und glücklicher und ist dann noch trauriger über seine Situation. Ich frage mich oft ob das normal ist? Also das einfach sein lauter, fordernder Charakter ist? Und ob er dadurch Nachteile in seiner Entwicklung oder später im Kiga bekommt weil er nicht alleine einschläft und nur bei mir schläft und abends erst mit mir ins bett geht (vorher schläft er ca 2 Stunden mit mir auf dem Sofa dann wechseln wir ins bett)? Und dadurch dass er sich noch nicht allein beschäftigen kann und will? Wir hoffen so sehr dass er sich normal entwickelt zu einem glücklichen kleinen Kind. Aber wissen nicht ob das der rechte weg ist. Im Moment ist es für uns der Weg des geringsten Wiederstandes aber dennoch mühsam. Ich hoffe es ist nicht all zu lang geworden aber ich konnte es nicht kurzer beschreiben. Danke für Ihre große Mühe und ihr Verständnis. Sie sind eine echte Hilfe und super Ärztin. LG Krümel

von Krümel121 am 29.08.2016, 14:04


Antwort auf: Schreikind und keine Ende in Sicht

Liebe Krümel121! aus Ihrer Beschreibung wird wirklich deutlich, dass Ihr Alltag alles andere als einfach ist. Ich finde es daher wirklich sehr, sehr sinnvoll, dass Sie diese Aufgabe auf mehrere Schultern verteilen und Ihre Schwiegereltern einen Teil übernehmen. Ich würde diesen Gedanken weiterführen und sogar über eine Halbtagesbetreuung in einer guten Kita oder bei einer erfahrenen, liebevollen Tagesmutter nachdenken. Dies ist kein Egoismus, oder Zeichen von Schwäche, sondern sogar einer der wichtigsten Bausteine der Behandlungen von Regulationsstörungen. Eine solche Störung ist ein echtes Handicap und wenn Sie sich folgenden Beitrag http://www.rund-ums-baby.de/schreibabys/Unsicherheit-bei-Einschlafhilfen-fuer-Schreibaby_1260.htm durchlesen, werden Sie sehen, dass eine Behandlung oft etwas langwieriger ist, da die problematische Grundtendenz nicht einfach verschwindet. Dennoch bin ich sicher, dass Sie bei weitem noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht haben. Ich weiß nicht, worin die Hilfe von der Sie gesprochen haben, besteht, doch vielleicht macht es Sinn, sich längerfristig regelmäßig durch eine Erziehungsberatung, einen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder Familientherapeuten begleiten zu lassen. Nicht weil ich Sie für unfähig oder gestört halte, sondern weil der Alltag und der Umgang mit diesem Problemen einfach sehr stark belastet und man oft einfach mehrere Baustellen hat. Sehen Sie es mal so, bei vielen organischen Krankheiten würde man gar nicht zögern, diese längerfristig zu behandeln. Ein Diabetiker braucht Insulin und zwar sein Leben lang. Möglichweise braucht Ihr Kind in den ersten Jahren einfach mehr Unterstützung, um ein „normales Leben“ zu führen. Ich finde es immer sehr schade, wenn Eltern die eh eine schwierige Situation haben, sich zusätzlich noch Vorwürfe machen. Selbst die besten Eltern haben nicht alles zu 100% im Griff. Weder Sie noch Ihr Kind haben sich diese Schwierigkeiten ausgesucht. Natürlich ist es nicht immer leicht, zu sehen, wie scheinbar mühelos es bei anderen klappt, doch diese Vergleiche führen nur dazu, dass die Selbstzweifel und die Unsicherheit immer größer werden. Hätte ihr Kind ein sichtbareres Handicap wie etwa ein Kind mit Downsyndrom würde man ja auch nicht ewig darüber nachdenken, was man als Eltern alles falsch macht, sondern gucken, wie man diesem Kind am besten gerecht wird. Natürlich bedeutet dies auch, dass man seine Muster immer wieder kritisch reflektieren und auch mal bereit sein muss, seine Komfortzone zu verlassen, doch das ist etwas anderes als grundsätzlich daran zu zweifeln, ob man eine gute Mutter ist. Ich bin davon überzeugt, dass Sie Ihr Bestes geben. Dass dennoch Schwierigkeiten bestehen, heißt nicht, dass Sie etwas grundlegend falsch machen. Sie könnten sogar alles richtig machen (sofern dies möglich ist) und trotzdem hätte Ihr Kind vermutlich die entsprechende neurobiologische Tendenz zu Unruhe. Das zu akzeptieren ist nicht gleichzusetzten mit einfach passiv sich in das Schicksal einfügen. Es gibt eine Menge was zur Besserung der Situation beitragen kann! Und vergessen Sie nicht: alles hat zwei Seiten: was jetzt (noch) zu Schwierigkeiten führt, wie etwa das Plus an Energie, die Sensibilität, die rege Aufmerksamkeit, kann später mit mehr Fähigkeiten sehr positiv sein. Also nicht aufgeben, sondern dranbleiben! Sie werden sehen, in ein paar Monaten wird sich die Situation schon wieder etwas gebessert haben usw. usw. Ein Ende ist also sehr wohl in Sicht! Ich habe hier einen klaren Vorteil, denn ich sehe die ehemligen kleinen Brüller alltäglich und auch, dass aus ihnen wirklich tolle Kinder werden! Alle Gute daher weiterhin! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 31.08.2016