Schreien/Weinen bis zur Erschöpfung

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Schreien/Weinen bis zur Erschöpfung

Liebe Frau Dr. Bentz, schön, dass es jetzt dieses Forum gibt. Mein Kind ist nun kein Baby oder Kleinkind mehr. Dennoch beschäftigt mich von Zeit zu Zeit, ob wir (im Rahmen des Möglichen) alles richtig gemacht haben. Mein Kind (KS nach Einleitung) war und ist ein sehr fittes, fröhliches, starkes und aufgeschlossenes Kind. Allerdings gelegentlich auch sehr nachdenklich und insgesamt sehr empfindsam. Bis ca. 3 Jahre gab es zunächst tägliche und dann mehrfach wöchentliche Schreiattacken, die bis zu zwei Stunden am Stück gedauert haben. Die Häufigkeit nahm mit zunehmendem Alter ab. Dies trat oft abends auf, kamen aber auch schon mal tagsüber vor. Irgendwann in den ersten Monaten bin ich dazu übergegangen, es trotz der Gegenwehr nur im Arm festzuhalten und zu versichern, dass wir da sind. Oft sind mir selbst die Tränen gelaufen, weil es mir so weh tat. Später haben wir diese Vorkommnisse neben dem Kind im dunklen Zimmer sitzend und jederzeit bereit es in den Arm zu nehmen ausgehalten. Sobald erschöpft der Schlaf kam, war dieser auch lang, tief und mein Kind ist fröhlich aufgewacht. Ich rede nicht über das normale abendliche Verarbeiten, sondern über eine Tonlage, Lautstärke und Intensität, die anderen Müttern und fast allen anderen extrem nahe ging. Komischerweise haben andere Babys (z.B. in der Krabbelgruppe) darauf nie reagiert, als wüssten sie, dass jemand einfach was zu erzählen hat. Hätten wir etwas anders machen können und was sollte ich jetzt beachten? Vielen Dank und Liebe Grüße Lina

von Lina_100 am 28.07.2015, 17:38


Antwort auf: Schreien/Weinen bis zur Erschöpfung

Liebe Lina! Danke für Ihre Frage! Wenn Sie sich die anderen Posts mal durchgelesen haben, werden Sie sehen, dass Eltern von ehemaligen Schreibabys sich sehr oft die Frage stellen, ob durch diese Phase nachhaltig ein Schaden angerichtet wurde und was man hätte besser machen können. Ein psychischer Schaden - ich würde eher von einer andauernden Störung sprechen - droht bei einem Schreibaby immer dann, wenn die Situation unbewältigt bleibt, d.h. sowohl die Eltern als auch das Kind keine geeigneten Bewältigungsstrategien bzw. -kompetenzen erwerben konnten. In solchen Fällen kann exzessives Schreien sich auch auf weitere Kontexte, wie z.B. das Essen und Spielen auswirken, da insgesamt die Familie hochbelastet ist und die Interaktion zwischen Eltern und Kind eine ungesunde Dynamik bekommen hat. Hier kann dann auch die Eltern-Kind-Bindung ernsthaft bedroht sein und Bindungsstörungen auftreten. Doch aus dies wäre kein unveränderliches Schicksal oder würde bedeuten, dass das Kind in den Brunnen gefallen ist! Auch wenn wichtige Grundsteine in der frühen Kindheit gelegt werden, so kann man "Schäden" behandeln und Bindungen wieder aufbauen, wobei eine frühe Hilfe natürlich der bessere Weg bleibt. Was Sie jedoch beschreiben, ist davon weit entfernt. Ihr Kind ist selbst der beste Beweis, das Sie es richtig gemacht haben! Es ist fröhlich, stark und aufgeschlossen. Dass es auch ruhigere, sprich empfindsame und sensible Seiten zeigt, ist doch prima! Wenn ich eine ideale Freundin beschreiben sollte, wäre sie genau so! Dabei hat natürlich alles seinen "Preis": wer sensibler ist, ist auch empfindlicher, wer viel nachdenkt, auch nachdenklicher... Sie haben ihm oder ihr (?) in den Schreiphasen alles gegeben, was es gebraucht hat, Nähe, Ruhe und die Versicherung, dass alles ok ist und Sie sagen selbst, dass Sie am nächsten Morgen ein fröhliches Kind hatten. Es geht halt immer nicht immer nur darum, dass wir den Aus-Knopf finden - denn auch wenn alles richtig gemacht wird, lässt sich dieser manchmal einfach nicht finden - sondern darum, dass wir unsere Kinder im Schreien begleiten. Die Reaktionen der anderen Babys dazu finde ich interessant, es gibt m.W. zwar keine Studie dazu, wohl aber kann man zeigen, dass Schreibabys anders (schriller) schreien als andere Kinder. Vielleicht verfügen ja auch Babys über etwas wie eine intuitive Elternkompetenz? Dass Kinder sie haben, konnte nämlich in Beobachtungsstudien bereits verschiedentlich gezeigt werden Von daher, machen Sie weiter so! Sie brauchen nichts zu beachten, außer dass Sie viel Freude aneinander haben und vielleicht der ein oder anderen verzweifelten Mutter ein verständnissvolles und aufmunterndes Wort schenken! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 29.07.2015