schreibaby

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: schreibaby

Hallo liebes Team, unsere dritte Tochter ist mittlerweile 7 monate alt und ist von Anfang an ein Schreibaby. Die ersten Wochen lag es Koliken und Reflux. Nun gut wir waren froh wo sie drei Monate alt war da es ab dem Alter ja normalerweise bergauf geht. Aber unsere Maus ist noch immer sehr unzufrieden und weint viel. Wenn sie müde ist findet sie nie in den Schlaf und schreit wie am Spieß . Ob auf dem Arm oder in der Babyschale oder bei uns im Bett es ist immer geschrei und das bei jeden schläfchen. An was kann das liegen ? Am zahnen eigentlich nicht weil es immer gleich ist ob grad ein Zahn kommt oder nicht . Was könnte helfen ? Es ist echt anstrengend und zwar für beide Seiten weil wenn sie hundemüde ist und nicht schlafen kann ist es ja auch blöd für sie . Vielen Dank frozen

von frozen@me am 09.05.2016, 14:58


Antwort auf: schreibaby

Liebe frozen, ich verstehe sehr gut, dass Sie gern wissen würden, was Ihrer Kleinen fehlt. Doch leider ist die Frage nach dem "Warum" hier gar nicht abschließend zu beantworten. . Die Wissenschaft spricht von einer Ursachentrias, und zwar (1) Faktoren des Kindes, (2) Faktoren der Eltern und (3) Faktoren im Zusammenspiel zwischen Eltern und Kind. Kurz gesagt, es muss schon eine Menge zusammenkommen und einfach Erklärungen gibt es nicht. So gibt es Kinder, die auf ungünstige Umstände und Interaktionen ziemlich robust reagieren, während andere Kinder wiederum trotz hochkompetenter und feinfühligster Eltern extreme Schwierigkeiten haben. Ferner haben wir hier oft ein klassisches Henne-Ei-Problem. Paarkonflikte werden häufiger bei Familien mit Schreikindern festgestellt - doch was war zuerst da? Die Konflikte oder das Schreien? Wichtig ist zudem: Es geht niemals um Schuld! Weder des Kindes, noch der Eltern! In Ihrem konkreten Fall kann ich Ihnen also leider nichts sagen, wo genau der Schuh drückt. Diese Ungewissheit belastet viele Eltern sehr, denn natürlich möchte man gern wissen, was zu dem Schreien geführt hat und diese Ursache möglichst schnell abstellen. Doch gerade diese Vorstellung ist meist schon ein Teil des Problems: Viele Eltern setzten sich durch den Anspruch, das Schreien sofort stoppen zu müssen, immer mehr unter Druck und tun buchstäblich alles Mögliche, um Ihrem Kind zu helfen. Da wird mal dies, mal das getan, x Bücher gelesen, die sich alle wiedersprechen, mal wird versucht ein Kind im Bett schlafen zu legen, dann im Auto im Kinderwagen auf dem Arm der Mutter, die auf einem Pezziball wippt etc.. Einem ohnehin überreizten Kind hilft das jedoch gerade nicht! Es braucht Routine, regelmäßige Pausen, einen strukturierten Tagesablauf und eben Ruhe, Ruhe, Ruhe. Die Crux ist jedoch, dass bestimmte Kinder dazu neigen, einen sogen. Reizhunger zu entwickeln. d.h. man kann sie kurzfristig immer wieder durch Reize ablenken und beruhigen. Eltern meinen dann, ihr Kind könne eben nicht anders als gewippt bei laufendem Fön schlafen. Doch dies ist kein natürliches Bedürfnis! Unser Hirn ist immer bestrebt, unangenehme Zustände wie Hunger, Müdigkeit, Stress, Langeweile möglichst schnell aufzuheben. Förderlich ist es natürlich, wenn es lernt, das Übel an der Wurzel zu packen und eben bei Hunger zu essen, bei Müdigkeit zu schlafen, bei Überforderung sich abzuwenden etc. Doch ein Hirn kann auch dahingehend trainiert werden, sich von inneren Zuständen durch Reize auszublenden. Dabei dürfte klar sein, dass dies ein Teufelskreis ist. Die wichtigste Maßnahme besteht daher darin, Teufelskreise wie diese zu identifizieren und zu durchbrechen. Das ist alles kein Hexenwerk setzt jedoch voraus, dass überhaupt noch die Kräfte da sind, um etablierte Muster zu ändern. Manchmal muss man daher zunächst einen Schritt voranstellen und erst für eine möglichst umfassende Entlastung und Unterstützung der Eltern sorgen. Sie haben drei Kinder und Ihr Alltag dürfte durch die Schwierigkeiten ebenfalls stark belastet sein. Es ist daher wichtig, wirklich alle möglichen Hilfsangebote auszuloten und sich nicht gegen Unterstützung von außen kategorisch zu wehren. Ich würde Ihnen empfehlen, gar nicht lange selbst rumzuprobieren, sondern sich vor Ort Rat in einem Früherkennungszentrum, einem Sozialpädiatrischen Zentrum, Schreiambulanz oder auch bei einem auf diese Problematik spezialisierten Kinder- und Jugendpsychologen zu suchen. Es geht dabei nicht darum, dass Sie ein gestörtes Kind haben oder inkompetente Eltern sind die dringend in Therapie gehören, sondern um eine genaue Analyse, Diagnostik und ein auf Ihre Situation abgestimmtes Vorgehen. Bei so jungen Säuglingen reichen da schon meist 2-3 Termine, um deutliche Verbesserungen zu erzielen. Je eher behandelt wird, desto leichter ist die Behandlung und desto besser die Prognose! Warten Sie nicht wie leider sehr viele Eltern, bis sie völlig erschöpft sind! Wichtig ist zudem, organische Ursachen abzuklären. In den seltenen Fällen wird man etwas finden, doch gibt es einige Erkrankungen (Epilepsie, Stoffwechselstörungen, Schlafapnoe etc.) ebenso wie manche Medikamente, die Kinder schlecht schlafen lassen und unruhig machen. Der erste Gang sollte daher immer zum Kinderarzt sein. Mein Rat: lassen Sie sich nicht durch die Frage des "Warums" lähmen und stecken Sie Ihre kostbare Energien lieber in die Suche nach Fachleuten für eine rasche Behandlung. Ein Schreibaby zu haben ist nämlich kein unveränderliches Schicksal. Man wird einem ICE zwar keine Bummelbahn machen können (und wollen), doch lassen sich Probleme wie diese wirklich gut in den Griff bekommen. Dafür wünsche ich Ihnen viel Kraft und natürlich schnell gute Besserung! Herzlichst, Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 11.05.2016