Schlafen und Schreien

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Schlafen und Schreien

Hallo, mein Sohn ist jetzt 10,5 Monate alt. Er schreit immer, wenn er schlafen soll - egal, ob er nur leicht müde oder sehr müde ist - z.B. sobald wir ihn in den Schlafsack packen und/oder eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen. Manchmal sogar, wenn ich ihn zum Schlafen anlegen will. Sobald er dann aber angelegt ist, trinkt er super, schläft aber nur ein (und auch dann nicht immer), wenn er 1. eine vertraute Umgebung hat (sonst will er gucken), 2. der Raum abgedunkelt ist und 3. ich ihn nicht anschaue (ich mache dann immer die Augen zu und tue so als würde ich auch Schlafen beim stillen). Im Regelfall schreit er nachts dann alle 2 Stunden und lässt sich nur an der Brust beruhigen (manchmal sind die Augen geschlossen und er schreit "im Schlaf", manchmal ist er auch richtig wach und steht bereits im Bett). Gelegentlich schläft er auch mal durch (so hat er z.B. in der Nacht von Donnerstag auf Freitag 6 Stunden am Stück geschlafen - dafür ist er danach auch an der Brust nicht wieder eingeschlafen und ich hab ihn nach 2 Stunden ins Tragetuch gepackt und letzte Nacht wollte er nach 4 Stunden erst mal nicht wieder einschlafen). Manchmal hilft es auch (nur), wenn ich mit ihm aufstehe, ins Wohnzimmer gehe, ihn aus dem Fenster schauen lasse (ich sage dann immer: „Schau mal, die ganze Stadt schläft“) und ihn danach wieder anzulegen. Hier sind schon mal Schlafunterbrechungen von bis zu 1,5 Stunden möglich (ich hab auch schon mal nachts ne Stunde das Bad geputzt während er auf dem Fußboden gespielt hat bis er dann an der Brust wieder eingeschlafen ist). - Er schläft bislang nur an der Brust und im Tragetuch ein (und auch da nur, wenn ich mich ordentlich bewege - z.B. Treppen steigen oder Kniebeugen machen). Unser Kinderarzt meinte, ich sollte den Kleinen nicht mehr in den Schlaf stillen, dann würde es besser. Ich solle einfach rausgehen und ihn quengeln lassen. Sobald er aber schreit wieder rein und ihn beruhigen. Das hat 2-3x geklappt, bevor er krabbeln konnte. Seit er krabbelt und sich hochziehen kann haben wir aber auch damit keine Chance mehr. Er schreit entweder kurz nachdem ich den Raum verlassen habe oder noch bevor ich an der Tür bin. Meistens schreit er sich dann auch so in Rage, dass er sich nur an der Brust wieder beruhigen lässt. Komplett schreien lassen wollen wir ihn nicht. Ist das alles noch "normal"? Mich persönlich stört es im Moment auch nicht wie es ist, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass es ihm dabei nicht gut geht. Würde es ihm helfen, wenn er selbst in den Schlaf finden würde? Haben Sie vielleicht Ideen, die wir noch testen können? Oder können wir das "nur" aussitzen und es wird von selbst besser? Und wie ist das mit den Unterbrechungen nachts? Ist es richtig mit ihm aufzustehen oder sollte ich mit ihm im dunklen Schlafzimmer bleiben, auch wenn er nicht schläft (und mein Mann dann vermutlich auch wach wird)? Und wenn ich mit ihm aufstehe, was mache ich am besten? Nehme ich ihn ins Tragetuch oder lasse ich ihn krabbeln? Und dann? Irgendwas langweiliges wie Bad putzen oder Hemden bügeln? Oder einfach spielen? Spiele ich mit oder setze (oder lege - nach dem Motto "Mama ist müde") ich mich dann einfach daneben? Er hat übrigens keinen Schnuller, nuckelt nicht am Daumen und hat auch kein Lieblingskuscheltier oder -schmusetuch. Er trinkt auch nachts (ich höre ihn schlucken). Ich weiß aber nicht wie viel, da ich nicht auf die Uhr gucke. Vielleicht könnte er auch Hunger haben, dass die Milch allein nicht mehr reicht? Er isst nicht besonders viel Brei. Liebe Grüße

von Lulu_Hase am 29.08.2016, 19:38


Antwort auf: Schlafen und Schreien

Liebe LuLu_Hase leider gehören Sie also auch zu den Müttern, die einen unbezahlten Nebenjob als Nachtwächterin haben. Im gewissen Umfang ist dies ja auch (leider) normal, doch wo das Normale aufhört und wo ein Problem beginnt, ist gar nicht einfach zu sagen. Ich finde daher Ihre Aussage, dass Sie selbst eigentlich keine Schwierigkeiten mit dem häufigen Aufwachen hätten, gleichzeitig aber den Eindruck hätten, Ihrem Sohne ginge es damit nicht gut, sehr wichtig. Natürlich kann man nicht alle Kinder über einem Kamm scheren und selbst wenn ein Kind im Alter Ihres Sohnes noch nicht durchschläft, muss noch keine Störung vorliegen. Normtabellen sind daher nur begrenzt sinnvoll und können Eltern unnötig stressen. Doch – und hier kommt wieder einer meinen Lieblingssätze – die Entwicklungsrichtung sollte stimmen. Wenn ein Kind also seit der Geburt nahezu unverändert häufig nachts wach wird, die Entwicklung stagniert oder sogar rückläufig ist, sollte man nicht mehr einfach auf das Prinzip Abwarten setzen. Selbst wenn sich jedes Kind in seinem Tempo entwickelt - ein dauerhafter Stillstand oder Schwierigkeiten, die über eine Phase hinausgehen, deuten auf ein mögliches Problem hin. Es ist eigenartig - bei allem Möglichen wird intensive Vorsorge betrieben und man rennt zu Kinderzahnärzten, Logopäden, Osteopathen, macht Hör- und Sehtest, doch beim Thema Schlaf bleiben viele einfach passiv, weil angenommen wird, dass der „natürliche“ Verlauf das Beste für das Kind ist und sich sogar schämen, wenn sie fast zusammenklappen. Dabei ist gesunder Kinderschlaf kein Luxus, sondern für eine gesunde körperliche und geistige Entwicklung essentiell – und zwar unabhängig von der Frage, wie gut Eltern mit dem Schlafmangel zurechtkommen. Ich würde Ihnen daher tatsächlich raten, sich an Kollegen vor Ort zu wenden. Die Frage nach der "Normalität" ist dabei nachrangig. Am besten fangen Sie an, 24-h- Protokolle (Vorlagen gibt es im Netz) zu führen, so dass man gleich Daten hat. All die Dinge, die Sie beschreiben, deuten auf eine Rhythmusverschiebung hin. Zudem müsste geklärt werden, wieviel Schlaf Ihr Kind wirklich braucht, und die Bettzeiten entsprechen angepasst werden. Was mit Sicherheit leider kein Weg ist, um eine Besserung herbeizuführen, sind nächtliches Aufstehen und stundenlange Pausen – egal was Sie dann machen. Das schafft völlig falsche Gewohnheiten und bringt den ganzen Schlaf-/Wachrhythmus durcheinander. Einfach ausgedrückt erhält der Körper dann mitten in der Nacht das Signal „Aufstehen“, alle entsprechenden Hormone werden hochgefahren und das Kind kann dann wirklich irgendwann nachts nicht mehr schlafen, weil sich der Biorhythmus so durcheinander ist. Damit hätte man tatsächlich Tatsachen geschaffen. Ich denke, dass ist Ihnen ja auch durchaus bewusst, doch Sie sind sicher einfach unsicher und besorgt, etwas falsch zu machen. Wenn zudem verständlicherweise auch noch immer der Gedanke da ist, den Mann nicht auch noch aufzuwecken, ist es klar, dass Sie alles machen, um nur Ruhe zu haben. Wenn Ihr Kind häufig nachts über Stunden wach ist, muss man jjedoch besser darüber nachdenken, den Schlafdruck durch Verkürzung der Tagesschläfcheund gezieltes Wecken am Morgen (egal wie die Nacht war) zu erhöhen. Abends sollte dann eine feste Bettbringezeit eingeführt werden. Das wird in den ersten Tagen alles andere als spaßig und oftmals verschlimmern sich zunächst die Probleme, doch nach 14 Tagen konsequenten Durchhaltens sollte sich der Rhythmus stabilisiert haben. Gleichzeitig ist es sinnvoll, nachts Mindeststillabstände von zunächst ca. 3 Stunden einzuführen, um ausreichend lange Schlafphasen zu ermöglichen.Vorausgesetzt natürlcih, dass am Tage genug Zeit und Ruhe für die Aufnahme von ausreichen Kalorien da ist, sonst holen sich die Kleinen tasächlich nachts das, was sie brauchen. Da allerdings bei jungen Kindern eine Verknappung des Schlafs bei falscher Diagnose aber auch genau das Gegenteil bewirken kann, und ich hier eben keine Diagnosen abgeben kann, empfehle ich Ihnen, dies nicht einfach so auszuprobieren, sondern eben abzuwarten, was die Kollegen sagen. Mir ist klar, dass dies alles Dinge sind, die sich leichter schreiben als umsetzen lassen. Ich möchte sie auch gar nicht als Schulzuweisung verstanden wissen, denn dass Sie nachts dieses Theater machen, geschieht ja nicht aus böser Absicht, sondern schlicht, weil Sie versuchen, Ihrem Kind und Ihrem Mann irgendwie gerecht zu werden. Sie machen viele Dinge klasse, wie z.B. das Schlafenstellen und Vermeiden von Blickkontakt beim Schlafenlegen. Auch haben Sie gut erkannt, dass Ihr Kleiner sehr sensibel und störanfällig ist, und eine vertraute Umgebung ihm guttut. Was Sie nun vielleicht gebrauchten könnten, wäre ein fester Plan, wie Sie nachts, wenn Sie aus dem Schlaf gerissen werden, reagieren. Hat man einen solchen Plan nicht, wird man übermüdet und erschöpft es sehr schwer haben, in dem konkreten Moment sein Verhalten zu ändern. Sie sehen, nicht nur Kinder, auch wir Eltern müssen manchmal das Schlafen wieder lernen. Der neutrale Blick von außen kann dabei viel bewirken. Ich drücke Ihnen die Daumen, dass Sie bald auf Ihren „Nebenjob“ verzichten können und die Nächte bald besser werden! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 01.09.2016