Schlaf

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Schlaf

Guten Tag Frau Dr.Bentz, Ich schätze Ihre Arbeit im RUB-Fotum sehr und würde gerne Ihren Rat in Anspruch nehmen. Ich habe zwar kein Schreibaby, aber eines auf der Suche nach viel, zuviel Input, mit "Schlafproblem". Mein kleiner Mann ist 14 Wochen alt. Ich berichte einfach mal ein bisschen. Wir haben das Wochenbett als Wochenbett genossen, nachdem wir eine schwere Geburt mit 30 Std Wehen und Notsectio hatten sowie am 2. Lebenstag mit einem Neugeboreneninfekt auf die Neo mussten. Er hat bis heute dauerhaft seine Mama, außer ich dusche. Ansonsten bin ich immer in seiner Nähe, daher hat unser Schlafproblem nichts mit mangelnder Nähe zu tun. Nachts kann ich ihn nach dem Einschlafen ablegen und er schläft dann neben mir, aber tagsûber geht das nicht. Er würde nie ohne mich einschlafen und auch nicht weiterschlafen. Er würde dann wach bleiben, bis er völlig überreizt ist und gar nicht mehr in dem Schlaf findet (er war schon 18 Std am Stück wach. Während der Wachstumsschübe passiert das auch manchmal). Natürlich kann ich das noch so weiter machen, aber ich schaffe so ja gar nichts mehr und ich hoffe ja auch, dass er irgendwann auch mal als ersten Schritt neben mir einschläft und als 2. Schritt ohne mich weiterschläft. Was soll ich tun? Er schläft nachts und Tags insgesamt auch nur ca 10 Std. Das ist echt anstrengend. Wir sind schon wieder seit halb 5 Wach... Wenn er wach ist, kann er auch mal 20 min mit einer Rassel oder seinen Spielebogen spielen. Ich kann ihn dann auch kurz alleine lassen zum Zähneputzen etc. Aber er würde so nie einschlafen. Er ist super neugierig auf die Welt und findet die Trage nur kurz gut, Max. Eine halbe Std, manchmal schläft er ein, aber nie so fest, dass ich ihn ablegen kann. Auf dem Arm kann er sich besser bewegen und schauen, dass mag er mehr. Richtig gepuckt werden mag er zb auch nicht. Wir sind beim Osteopathen und es tut ihm so gut. Ich könnte ihn bspw anfangs gar nicht wach zum Spielen ablegen. Das geht jetzt gut und er schläft jetzt auch entspannt und fuchtelt nicht permanent, es gelingt ihm im fahrenden Kinderwagen zu schlafen und er kommt abends gut zur Ruhe. Das war die ersten Wochen ganz schlimm, er hat immer die Augen aufgerissen und geschaut, ob ich noch da bin und konnte kaum abschalten. Das kann er jetzt zumindest so gut, dass er entspannt auf mir einschläft und dann neben mir weiter schläft. Auf Dauer würde ich natürlich abends gern nochmal aufstehen, aber eins nach dem andern ;) ich denke, wenns tagsüber klappt, hab ich auch abends gute Chancen. Manchmal frage ich mich, ob ich nicht noch etwas durchhalten muss, aber dann denke ich, dass ein guter Zeitpunkt ist und ichs versuchen muss, weil ich schon das Gefühl habe, dass er sich sicherer fühlt. Oder ist es ist zu früh ihn allein weiterschlafen lassen zu wollen? Der Osteopath merkte, genau wie der Kinderarzt, an, dass unser Sohn viel weiter entwickelt sei und sich dadurch mit Input überfordere und somit auch alleine schwer abschalten könne, weil er immer mehr will (er konnte sich mit 9 Wochen auf den Bauch drehen, wieder zurück, hat schon mit dem Spielebogen gespielt etc). In Schubphasen hat er es schon 18 Std ohne Schlaf ausgehalten, weil er auf der Suche nach Input nicht zur Ruhe kommt,wie auf Drogen und der Suche nach mehr) er schafft es dann trotz kuscheln und Begleitung beim Einschlafen nicht die Kurve zu bekommen. Ich denke, dass beeinflusst sein schnelles aufwachen auf und seinen wenigen Schlaf auch außerhalb des Schubes. Ich versuche auf Signale wie Mudigkeit etc prompt zu reagieren und gebe ihm nicht zu viele Reize. Was würden Sie mir Raten und welche Ideen, Gedanken kommen Ihnen beim Lesen? Herzlichen Dank

von Hasenbande am 30.11.2015, 17:57


Antwort auf: Schlaf

Liebe Hasenbande! es freut mich, dass Ihnen mein Forum gefällt! Tatsächlich kann man an Ihrem Beispiel gut erkennen, dass die Definition "Schreibaby" zwar plakativ, aber doch auch recht schwammig ist. Es geht eben nicht nur ums Schreien, sondern auch um chronische Unruhe und Schlafprobleme, oder wie wir Psychologen es nennen "Regulationsschwierigkeiten" . Klingt nicht schön, beschreibt aber sehr gut das, was auch Sie von Ihrem Kind berichten, spricht die Unfähigkeit, abschalten und zur Ruhe kommen zu können. Das innere Aktivierungssystem, der Sympathikus, funktioniert hervorragend, sein Gegenspieler, der Parasympathikus braucht dringend Starthilfe. Ich finde den Begriff "Sucht" wenn es um die Suche nach immer neuen, stärkeren Reizen geht, wirklich sehr passend. Tatsächlich zeigen diese Kinder einen extremen Reizhunger und scheinen alle inneren Signale für Müdigkeit, Überforderung und manchmal auch Hunger durch immer weitere Ablenkung einfach wegzublenden. Hat man so einen Kandidaten und ist dieser noch recht jung (was ja bei Ihrem Sohn der Fall ist) sind folgende Dinge aus meiner Sicht wichtig: a) der Entwicklung Raum lassen: Tatsächlich spielen Reifeprozesse in diesem Alter noch eine erhebliche Rolle. Dies erkennt man daran, dass sich das Schreien / die Unruhe auch bei den meisten Kindern mit 12-16 Wochen deutlich von allein bessert b) eine gesunde Entwicklung fördern: Eltern können die Reifung nicht schneller vorantreiben, aber verhindern, dass sie durch ihr Verhalten die Entwicklung behindern oder Probleme aufrechterhalten. Ein typisches Beispiel wäre der Teufelskreis aus Reizhunger-Reizgabe-Überreizung- erneuter intensiverer Reizgabe etc., etwa durch intensives Wippen der Kinder auf dem Pezzibal nebst laufendem Staubsauer. Mehr Ruhe bekommt man eben nur durch mehr Ruhe! Auch wenn es in der Erschöpfung verführerisch ist, sich kurzfristig die Ruhe durch all die genannten Ablenkungen zu erkaufen. Ein möglichst strukturierter Tagesablauf, regelmäßige Ruhepausen zu festen Zeiten, wiederkehrende Rituale und Abläufe sind das A&O um unruhige Kindern Ruhepole zu bieten. Sie wirken allerdings nicht sofort, weshalb man selbst Geduld und Konsequenz braucht und damit wären wir bei: 3) für sich selbst mehr Ruhe und Entlastung sorgen: Es ist wichtig, dass wir selbst bei Kräften bleiben, um überhaupt die notwendige Energie zu haben, Dinge in die Hand zu nehmen und sich nicht aufzureiben. Viel der genannten Teufelskreise entstehen ja nicht durch Unwissenheit, sondern weil Eltern einfach zu erschöpf und verzweifelt sind. Ausgeruhter geht so vieles leichter. Deshalb sollte man wirklich Gedanken machen, wie man selbst seine Ressourcen schonen kann, wo man Hilfe und Unterstützung bekommt, was wirklich Priorität hat usw. Wenn Sie diese Punkte durchgehen, werden Sie erkennen, dass Sie ja wirklich auf einem sehr guten Weg sind. ich habe daher auch gar nicht so viele Vorschläge und möchte Ihnen vor allem raten, so weiterzumachen, wie bisher. Mit einen kleinen Unterschied: Da Ihr Kind selbst seine inneren Signale für Müdigkeit und Überreizung nicht gut spürt bzw. nicht angemessen darauf reagiert, sollten Sie mit pausen nicht erst warten bis ihr Kind eindeutige Müdigkeitssignale zeigt. Das ist vermutlich viel zu selten und zu spät. Machen Sie deshalb nach spätesten 2 Stunden eine Pause, auch wenn er "fit" ist. Sehen Sie dies als Angebot an Ihren Sohn. D.h. er muss nicht schlafen, aber die Gelegenheit bekommen, etwas runterzukommen. Gehen Sie dafür ruhig in einen abgedunkelten, ruhigen Raum bzw. schirmen sie beim Spazierengehen den Kinderwagen durch ein Tuch ab. Machen Sie diese Pausen jeden Tag um etwa die gleiche Zeit. Erfolge sollten Sie so nach ca. 14 Tagen sehen. Wenn Ihr Kind zudem gut auf bestimmte körperliche Reize reagiert (Osteopath), dann nutzen Sie dies und "holen ihn dort ab": etwa jeden Abend mit einem Entspannungsbad oder einer Massage, sofern sie ihn beruhigt. Wenn Massagen ihn eher aktivieren, machen Sie dies morgens! So oder so kann er durch die Konzentration auf körperliche Reize lernen, sich selbst mehr zu spüren und damit eben auch Müdigkeit, Anspannung, Hunger etc. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und viel Kraft! Ich bin sicher, so gut und sensibel wie Sie agieren, wird sich Ihr Kleiner bald fangen! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 01.12.2015