Panik vor dem Zubettgehen!

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Panik vor dem Zubettgehen!

Liebe Frau Dr. Bentz, unsere Tochter wird am Wochenende ein Jahr alt und seit gut einer Woche klappt das Zubettgehen überhaupt nicht mehr. Egal ob es um den Mittagsschlaf geht oder abends, sie fängt hysterisch an zu schreien sobald sie merkt, dass es Richtung Bett geht. Sie schreit so voller Panik, dass sie sich in keinster Weise beruhigen lässt. Ich habe wirklich schon alles probiert. Ich habe mich natürlich neben ihr Bett gesetzt, sie gestreichelt und ihre Hand gehalten, gesungen, sie getragen und gekuschelt und so weiter. Alle Tipps, die man rund ums einschlafen bekommen kann habe ich probiert. Ich habe sie auch schon schreien lassen in der Hoffnung, dass sie sich wenigstens etwas von selbst beruhigt. Keine Chance. Ich schreit das ganze Haus zusammen. Es ist dabei auch völlig egal, ob ich neben ihrem Bett stehe oder sie alleine im Zimmer ist. Sie schreit solange bis wir sie mit ins Ehebett nehmen. Dann ist von jetzt auf gleich Ruhe und sie schläft ein, wenn ich neben ihr liege. Vor dieser Zeit war das ganze bei uns kaum ein Thema. Natürlich gab es Ausnahmen, aber unsere Tochter schläft schon seit einem halben Jahr alleine in ihrem Bett ein und diese abendlichen Dramen kennen wir so nicht. Tagsüber ist unsere Tochter ein freundliches Baby und lacht viel. Allerdings ist sie auch seit einer Woche sehr auf mich fixiert und schreit, wenn ich den Raum verlasse. Können Sie mir sagen, ob dieses Verhalten typisch ist für ihr Alter? Dann wäre ich ehrlich gesagt ziemlich beruhigt, denn im Moment erkenne ich meine Tochter nicht wieder und mache mir ein bisschen Sorgen.

von Honey58 am 17.05.2016, 10:04


Antwort auf: Panik vor dem Zubettgehen!

Liebe Honey! ich kann mir gut vorstellen, wie sehr Sie das Verhalten Ihrer Tochter irritiert. Es steht ja auch im Kontrast zu bisherigen Verlauf und ist damit schlicht ungewohnt. Für gewöhnlich sind solche Phasen aber ganz harmlos und gehen ebenso überraschend wie sie gekommen sind. Eine mögliche Schlafstörung würde man daher auch frühestens in Betracht ziehen, wenn derartige Schwierigkeiten länger als drei Wochen am Stück andauern. Es besteht also –vorausgesetzt Ihr Kind ist soweit gesund – kein Grund zur Panik! Ganz im Gegenteil: Ist Ihre Tochter durch irgendetwas irritiert (sei es durch Zahnen, Fremdeln, Alpträume, sonstige Veränderungen im Alltag) besteht ein erhöhtes Nähebedürfnis. Durch dieses versucht Ihre Tochterihre innere Balance wiederzufinden. Der eigentliche Grund muss dabei gar nicht mit dem Schlafen unmittelbar verknüpft sein (wie etwa bei Alpträumen oder Angst vor Schmerzen, Dunkelheit etc.), sondern kann schlicht den Grund haben, dass Ihre Tochter durch zunehmenden Explorieren ihrer Umwelt und zunehmende geistige und motorische Fähigkeiten enormen Veränderungen unterzogen ist, die eben auch zeitweilig überfordern können. Fremdeln ist hierfür ein gutes Beispiel, denn es zeigt, dass Kinder Ihre soziale Umwelt und Bezugspersonen differenzierter wahrnehmen, also einen wichtigen, jedoch anstrengenden Schritt nach vorne machen. Stellen Sie sich vor, Sie würden pro Woche eine neue Sprache, ein neues Instrument oder Sportart lernen. Das wäre sicher schön, doch eben auch schlicht eine Menge Stoff. Niemals im Leben lernen wir so viel wie in den ersten Lebensjahren ohne gleichzeitig so wenig vom Leben zu wissen. Sprich: den Kindern mangelt es eben noch an emotionalen und sozialen Fähigkeiten sowie Erfahrungswerten und geeigneten Copingstrategie, die uns Erwachsenen bei der Bewältigung und Integration solcher „Datenmengen“ helfen. Ihre Festplatte fährt sich hoch – egal ob sie es wollen oder nicht. Sie buchen keine Kurse, lesen keine Bücher etc. sie lernen bei jedem Schritt, den sie tun und haben im Grunde genommen keine Auszeiten. Sie als Eltern dienen daher als Anker, um wieder Sicherheit zu gewinnen. Es ist daher ganz entscheidend, dass Sie möglichst gelassen reagieren und weiterhin soweit wie möglich bei Ihrer Routine und den gewohnten Abläufen bleiben. Natürlich ist es ok, einem erhöhten Nähebedürfnis auch mal nachzugeben. Die Sorge damit gleich schlechte Gewohnheiten zu schaffen, ist zwar nicht gänzlich von der Hand zu weisen, aber das Leben läuft eben auch mal nicht nach Lehrbuch und erfordert immer auch eine Balance von Konsequenz und Flexibilität. Konsequenz ohne die berühmte Ausnahme wäre Rigidität, Flexibilität ohne einen roten Faden Willkür. Zugegeben, es gehört wohl zu den schwierigsten Aufgaben der Elternrolle, hier immer das richtige Maß zu finden und nicht immer wird es gelingen. Das muss es aber auch nicht, denn Erziehung bedeutet nicht perfekt zu sein oder keine Fehler zu machen. So etwas gibt es in der Natur einfach nicht. Lernen – und wir alle müssen das Elternsein lernen – ist ohne Fehler und Ausprobieren nicht möglich. Mein Rat daher: gönnen Sie Ihrer Kleinen ruhig ein paar Tage begleitetes Einschlafen und kehren Sie dann allmählich wieder zur alten Routine zurück. Betonen Sie dabei (auch für sich!) die Dinge, die (wieder) klappen und lassen Sie etwaige Rückschläge unkommentiert. Einfach verbale Ermutigungen sind toll und wirkungsvoll ebenso wie ein schönes Ritual im eigenen Bett. Letzteres ist wichtig, damit Schöne mit dem eigenen Bettchen verbunden wird und nicht umgekehrt, ins Bettchen gehen bedeutet, dass jetzt das Schöne (Buch angucken, Singen, Massage etc.) vorbei ist. Achten Sie zudem auch mal vermehrt auf Ihre Sprache und betonen Sie das Angenehme, also anstatt „Schlafen müssen“ „Schlafen dürfen“ usw. Ich wäre zuversichtlich, dass schnell alles wieder ins Lot kommt. Falls die Störungen jedoch wirklich länger anhalten sollten und / oder Sie kein gutes Gefühl haben, warten Sie bitte nicht ewig. Es ist keineswegs immer eine Therapie erforderlich, doch der nächste Schritt wäre dann wirklich zunächst einmal zum Kinderarzt. Ich drücke Ihnen die Daumen und wünsche alles Gute! Herzlichst, Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 18.05.2016