Nächtliche Flasche abgewöhnen und Einschlafen am Tag

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Nächtliche Flasche abgewöhnen und Einschlafen am Tag

Liebe Frau Dr. Bentz, es geht um meinen 2. Sohn, der mittlerweile 1,5 Jahre alt ist. Ob er ein typisches Schreibaby war, weiß ich nicht. Allerdings musste ich ihn die ersten Monate tagsüber zum Schlafen tragen (ansonsten wachte er immer nach 30 Minuten unausgeschlafen wieder auf und fand bloß in der Trage erneut in den Schlaf) und das Einschlafen war fast immer mit mehr oder weniger heftigen Schreiattacken verbunden. Im Wachzustand war er sehr happy, allerdings wurde er immer schnell wieder müde und kam dann schlecht zur Ruhe. Stillen klappte auch nicht gut, also konnte ich ihn leider auch damit nicht beruhigen. Im Alter von ungefähr 8 Monaten wurde es besser und fortan schlief er tagsüber im Kinderwagen oder im Bettchen (jeweils mit vorherigem Tragen und nur auf dem Bauch) auch mal 60-90 Minuten am Stück. Nachts schafft er nun bis zu 4-6 Stunden am Stück. Er ist ein sehr fröhlicher, aufgeschlossener Junge, allerdings reißt ihm sehr schnell die Hutschnur. Er nörgelt schnell, wenn ihm etwas nicht passt und protestiert lautstark und mit vollem Körpereinsatz gegen Wickeln sowie jegliche Körperpflege, nicht einmal eincremen akzeptiert er. Alleine schaffe ich es z. B. nicht, ihm die Zähne zu putzen. Manchmal schreit er sich richtig in Rage, dann scheint er völlig panisch und abwesend zu sein und es gelingt lange nicht, ihn zu beruhigen. Nun zu meinen eigentlichen Fragen: Er trinkt abends zum Einschlafen und nachts (zw. Mitternacht und 04:00 Uhr, selten später) noch ein Fläschchen. Abends unverdünnt 150-180 ml. Kindermilch, nachts 180 ml verdünnt (mittlerweile nur noch 1,5 Löffel Milchpulver, anstatt 4 Löffel). Obwohl es sich ja mittlerweile mehr um Wasser als um Milch handelt, wacht er jede Nacht auf und schläft bloß weiter, wenn er sein Fläschchen bekommt. Wir haben alles probiert, rumtragen usw. Er schläft dann auch irgendwann wieder ein, wacht aber nach wenigen Minuten wieder auf. Von meinem ersten Sohn kenne ich das gar nicht, er ließ sich so leicht abstillen und später dann die Milchflasche entwöhnen. Wie sollen wir das bei unserem kleinen Löwen bloß anstellen? Es ist z. B. auch völlig unerheblich, ob er abends gut gegessen hat oder nicht, es scheint einfach reine Gewohnheit zu sein. Unser zweites Problem ist das Einschlafen, v.a. am Tag. Abends schaffen wir es mittlerweile oft, dass er im Liegen seine Flasche trinkt und innerhalb 10-30 Minuten nach wildem Gezappel und eifrigem Geplapper einschläft. Gerade bei meinem Mann klappt das oft ganz gut. Bei mir erleidet er leider oft Rückschläge und will wieder auf den Arm. Er steht zunächst auf und streckt die Arme aus, wenn das nicht hilft, schreit er so lange, bis ich es nicht mehr aushalte und ihn hochnehme. Dann lege ich ihn wieder hin/nehme ihn wieder auf den Arm usw. bis er dann meistens sogar im Liegen einschläft. Ist mein Vorgehen so sinnvoll oder wie kann ich ihm besser den Arm abgewöhnen? Mittags schafft er es übrigens überhaupt nicht mehr ohne Schreien und ohne Protest, wenn ich versuche ihn einfach ins Bett zu bringen. Und da hilft auch der Arm nicht mehr. Er wehrt sich mit aller Kraft und schreit lauthals, bis er irgendwann vor Erschöpfung einschläft. Daher bringe ich ihn tagsüber nicht mehr einfach ins Bett (zumal ich seinem Widerstand rein körperlich kaum noch stand halten kann), sondern lasse ihn im Auto oder KiWa einschlafen und lege ihn dann um in sein Bett. Das klappt prima. Komischerweise schaltet er sofort runter, wenn er angeschnallt ist und schläft dann innerhalb weniger Minuten ganz friedlich ein. Das hat sich echt bewährt und ist für uns alle so schön sanft und stressfrei. Allerdings kommt er nun bald in die Kita und ich habe Angst, dass er da dann nicht einschlafen wird. Meinen Sie, das erledigt der „Gruppenzwang“ oder haben Sie eine Idee, wie ich ihn noch (sanft) umgewöhnen kann? Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Ratschläge und sorry, dass ich so weit ausgeholt habe. Dachte, es ist für Ihre Beurteilung evtl. wichtig…

von Lotta79 am 07.09.2015, 08:29


Antwort auf: Nächtliche Flasche abgewöhnen und Einschlafen am Tag

Liebe Lotta, nun ja, ob Ihr Sohn nun ein typisches Schreibabay war oder nicht, ist für Sie als Eltern zunächst einmal nicht relevant. Ich würde aber nach Ihrem Bericht schon sagen, dass er zumindest eine gewisse Neigung mitbringt, auf Reize sensibel zu reagieren und gleichzeitig Schwierigkeiten hat, mit all dem, was er so fühlt und erlebt, klar zu kommen. Mit dem Wegschreien signalisiert er z.B. ganz deutlich, dass er nicht mehr weiter weiß und gerade "gefangen von einer Situation ist". Der Versuch, es Ihrem Kind in so einer Situation Recht zu machen, wird scheitern. Hier hilft nur Ruhe bewahren, ggf. aus der Situation rausnehmen und zeigen, dass jetzt nichts Schlimmes passiert ("Du bis jetzt wütend, gleich wirds besser. Ich warte hier und wenn du aufm Arm willst, kommst du einfach"). Kinder wie Ihr Sohn haben ein besonderes Bedürfnis nach Struktur und Orientierung. Sie brauchen klare, einfache Anweisungen (Das Kind angucken und berühren), Rituale und Regeln. In diesem Alter kann man nicht zuviel erwarten, doch durch immer wiederkehrende Abläufe, Sie als Vorbild /Rollenmodell und positive Erfahrungen (Lob!) holt man die Kinder gut ab. Gleichsam brauchen sie viel Verständnis, denn allzu oft wird Ihnen direkt oder indirekt signalisiert, dass sie "falsch", "gestört" oder "böse" sind. Dabei wird leider vergessen - auch diese Kinder möchten gefallen, sie können es nur manchmal nicht! Machen Sie wiederholt diese Erfahrung des "Scheiterns", d.h. erleben sie, dass sie nicht "richtig" sind, kann dies zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Leider geraten Eltern häufig unter Druck, mit besonderer Härte und Disziplin das Kind auf Spur zu bringen, doch wird dabei vergessen, dass Erziehung kein Selbstzweck ist, sondern Kindern helfen soll "groß" zu werden und dass mit allen den Eigenschaften, die sie eben haben. Das ganze ist ein Prozess, dessenn Früchte nicht an dem ein oder anderen Wutanfall zu sehen sind, sondern langfristig an der Gesamtentwicklung. Auch darf man nicht den Fehler machen und davon ausgehen, dass Kinder, die viel Wut zeigen, auch besonders "Hart im Nehmen sind" - das Gegenteil ist der Fall. Sie reagieren sehr sensibel auf lautes Schimpfen und Meckern, auch wenn man das Gefühl hat, es dränge nichts durch. Ich sage dies nicht mir Vorwurf an Sie, sondern ich möchte Sie bestärken, Gedluld zu haben, da ich aus meiner Praxis weiß, dass der Druck auf und die Kritik an Eltern von kleinen Wutzwergen besonders hoch ist. Doch dies nur vorweg! Natürlich dürfen all diese Dinge nicht dazu führen, dass man den Kleinen aus Angst vor Anfällen oder weil man sie schonen will, alles Mögliche erlaubt. Das ist gerade nicht, das was sie brauchen. D.h. wenn Sie nachts von dem zweiten Fläschchen runterkommen wollen, weil es nichts als eine Gewöhnung (wirklich Kalorien bekommt er ja nicht) ist und seinen Schlaf stört, dann dürfen Sie das mit liebevoller Konsequenz auch durchsetzen! Einfach die Flasche nicht mehr anbieten, nach 1-2 Wochen Schreierei wird sich das Thema erledigt haben. Zeigen Sie Verständnis, dass er wütend ist und schimpfen sie nicht, aber geben sie auch kein Fläschchen. Machen Sie sich bewusst: Es ist für ihn kein Drama, sondern nur eine liebgewonnene Gewohnheit, die Ihnen nicht gut tut. Wenn Sie selbst überzeugt sind, das Richtige zu tun, wird es leichter (und auch wenn sie sich vielleicht einen nicht ganz so stressigen Zeitpunkt aussuchen). Natürlich dürfen sie auch athentisch sein und mal schimpfen, ärgerlich oder enttäuscht sein, doch die Konzentration auf das Postive ist überaus wichtig, um nicht in die oben beschriebene Negativespirale zu kommen. Ansonsten: Wenn der Mittagsschlaf gut im Kinderwagen klappt, ist es doch ok. Vom Autofahren würde ich abraten. Zwar ist die schnelle "Erlösung" zunächst sehr verführerisch, doch diese Gewohnheit kann wirklich sehr hartnäckig werden und auf Dauer dazu führen, dass sich die Probleme verschärfen. Und täglich Autofahren kann und wollen Sie sicher nicht leisten, oder? Daher: schaffen Sie nie Gewohnheiten, die Sie nicht zumindest mittelfristig aufrechterhalten können. Ansonsten ist es so, dass gerade die Kinder, die viel Struktur und Routine brauchen, sehr von dem Besuch einer Kita oder Tragesmutter profitieren können, dass hier eben klare Abläufe und wiederkehrende Rituale nach festen Zeiten vorherrschen, die man so manchmal zu Hause eben nicht so leicht leben kann, weil eben noch andere Dinge zu erledigen sind und nicht eben alles nur auf Kinder ausgerichtet ist. Die Welt kann daher dort einfacher und übersichtlicher sein. Zudem haben die Kleinen durch die anderen Kinder sehr viele Orientierungspunkte und Rollenmodelle "auf Augenhöhe". Ich denke daher, dass sich viele der Themen, die Sie beschäftigen, kein Problem darstellen und sich im Gegenteil leichter lösen lassen. Sehen Sie die Erzieher einfach als Ihre Partner, die gemeinsam mit Ihnen die Entwicklung Ihre Kindes fördern und tauschen Sie sich regelmäßig aus. Haben Sie auch keine Scheu, bestimmte Sorgen und Ängste, wie etwa "was passiert, wenn es beim Mittagsschlaf schwierig wird", anzusprechen. Ich wünsche Ihnen und Ihrem Sohn eine gute Eingewöhnung und auch sonst alles Gute, Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 07.09.2015