Wie können wir mit seinem Regulationsproblem jetzt und in Zukunft umgehen?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Wie können wir mit seinem Regulationsproblem jetzt und in Zukunft umgehen?

Sehr geehrte Frau Dr. Bentz, zuerst möchte ich Ihnen und Ihrer Familie ein frohes neues Jahr wünschen, welches hoffentlich viele schöne Momente für Sie bereit hält. Ich bin immer wieder gerne in Ihren Forum unterwegs und erlebe Ihre Ratschläge oft als sehr hilfreich. Aus diesem Grund wende ich mich heute zum 3. Mal an Sie. Im Moment bin ich mir sehr unsicher, wie ich mit dem Regulationsproblem unseres Sohnes und den damit verbundenen Schlafproblemen umgehen soll. Mittlerweile ist er 9,5 Monate alt und aufgeweckt, neugierig und unglaublich aktiv. Wir witzeln oft, dass er wieder „auf Turbo“ ist. Gott sei Dank schreit er nur noch selten. Leider ist Schlafen immer noch nicht seine Stärke, besonders seit er mobil geworden ist, kommt er im Bett schwer zu Ruhe und möchte in einer Tour turnen. Das geht soweit, dass sein Kopf zwar vor Erschöpfung immer wieder auf die Matratze fällt, aber er einfach nicht aufhören kann seine neuen Fähigkeiten zu üben. Bis vor kurzem hat er im Beistellbett neben mir geschlafen, seit einigen Wochen schläft er aber in seinem eigenen Bett. Das steht zwar in unserem Schlafzimmer, ist aber durch eine Wand von uns getrennt. Leider können wir uns aus räumlichen Gründen nicht neben seinem Bett liegen, sondern nur auf einem Stuhl sitzen. So kommt er aber kaum zur Ruhe, tobt abends und nachts bis zu 2 Stunden in seinem Bett (teilweise auch mit starkem Geschrei), obwohl er hundemüde ist (haben wir ungefähr 2 Wochen ausprobiert). Da wir nicht wieder in den „Bewegungsreiz- bzw. Stillteufelskreis“ geraten wollten, haben wir dann angefangen uns in sein Bett zu legen (vielleicht trifft es quetschen aber tatsächlich besser), ihn zu streicheln und ihn so zu beruhigen. Wenn er weiter krabbeln möchte, legen wir ihn wieder hin und sagen ihm, dass jetzt Schlafenszeit ist. Das klappt auch ganz gut und er schläft schneller bzw. in der Nacht wieder besser ein. ABER: mein Mann und ich haben das Gefühl, dass er nun auch öfter in der Nacht wach wird (teilweise stündlich). Kann es sein, dass wir uns jetzt zu Einschlafhilfen „gemacht“ haben und er nur noch einschlafen kann, wenn wir neben ihm liegen? Unsere Nächte laufen jetzt so ab, dass er entweder beruhigt wird (also meist in seinem Bett) oder gestillt (Ich versuche eine Stillpause von mind. 2 Stunden einzuhalten). Andere Beruhigungsmethoden wie Nuckel oder Kuscheltier akzeptiert er nicht. Dieses „Spiel“ läuft meist bis in die frühen Morgenstunden (so gegen 5 Uhr) und dann holen wir ihn zu uns ins Bett, wo er dann meist sehr schnell und noch einmal 1.5 bis 3 (!) Stunden schläft. Machen wir etwas falsch? Unser Tagesablauf hat sich nicht verändert, er läuft relativ ritualisiert ab. Den Nachmittag lassen wir mit Spazieren gehen, Spielen, Abendbrot und Schlafritual ausklingen. Abends erscheint er ausreichend müde, der letzte Schlaf liegt meist 4-5 Stunden her ( er macht einen kurzen Vormittagsschlaf und 1-2 h Mittagsschlaf). Was wäre in unserem Fall eine realistische Herangehensweise? Noch haben mein Mann und ich gemeinsam 6 Wochen Elternzeit, also auch Ressourcen Dinge zu verändern. Wir haben auch schon versucht, nicht sofort auf sein nächtliches „Meckern“ zu reagieren, machen aber damit eher die Erfahrung, dass er dann richtig wach wird und zu spielen anfängt und es noch länger dauert ihn zu beruhigen. Und eine weitere Frage hätte ich noch: Wächst sich dieses Regulationsproblem mit der Zeit aus? Oder wird Schlafen in den nächsten Jahren ein Thema bleiben? Und wenn ja, wie könnten wir dann damit umgehen? Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meinen Sohn, aber ich möchte nicht in 5 Jahren noch eine Stunde neben seinem Bett sitzen. Vor allem, weil ich ihn ja bei zunehmender Mobilität nicht an sein Bett „fesseln“ kann. Entschuldigen Sie, dass es so lang geworden ist, aber wir sind wirklich etwas ratlos. Vielen Dank für Ihre tolle Arbeit hier im Forum und Ihre Mühe! Ich freue mich schon auf Ihre Antwort. Viele liebe Grüße Audi85

von Audi85 am 12.01.2016, 21:44


Antwort auf: Wie können wir mit seinem Regulationsproblem jetzt und in Zukunft umgehen?

Liebe Audi84, vielen Dank! Ich bin nach einer längeren Pause tatsächlich gut ins neue Jahr gestartet und wieder mit sehr viel Freude an der Arbeit hier im Forum. Ihre letzte Frage möchte ich zuerst beantworten: Niemand kann in die Zukunft gucken. Doch es ist sehr unwahrscheinlich, dass aus einem „Turbo“ eine Schlaftablette wird. Was sich aber ändert – und meistens dann eben auch eine große Entspannung der Situation herbeiführt – sind die Möglichkeiten zur Selbstregulation dieser Energien. Jetzt sind Ihre Einflussmöglichkeiten als Eltern immer noch sehr begrenzt. Mit dem Alter steigen jedoch die geistigen und motorischen Fähigkeiten, so dass ein Kind auch in Bezug auf die Selbstregulation immer selbstständiger werden wird. Dabei ist aus meiner Erfahrung Folgendes wichtig: - Ein Kind das chronisch unruhig ist und sehr viel Temperament mit sich bringt, wird oft als „schwierig“, „störend“ oder „schlecht erzogen“ erlebt und provoziert übermäßige Härte in der Erziehung. Doch hiermit erreicht man genau das Gegenteil: gerade diese Kinder nehmen sehr viel wahr und fühlen viel. Ihnen fehlt oft ein Puffer gegen äußere Einflüsse. Durch ständiges Schimpfen und harte Strafen wird das Kind weiter überfordert und an einer Verhaltensänderung gehindert. Es schottet sich ab und / oder fällt durch aggressive Verhaltensweisen noch mehr auf. Das kann dann zu einer sich-selbst-erfüllenden Prophezeiung werden, sprich der Störenfried fängt irgendwann an, seine Rolle zur erfüllen. Was diese Kinder brauchen, ist: - Eine liebevolle, aber konsequente Erziehung mit wenigen, altersangemessenen, klaren Regeln! - Eine klare Alltagsstruktur mit widerkehrenden Abläufen und Ritualen als Ruhepunkte im Alltag. Routine ist wichtig, denn oft reagieren Turbos sehr empfindlich auf Veränderungen. - Der Fokus in der Erziehung sollte positiv sein: Anstatt Schimpfen, Drohen und Bestrafen also Loben, Anreize setzen, Motivieren und selbst kleine Fortschritte anerkennen. Lieber „wenn es gut klappt, dann…“ als „Wenn du das nicht machst, dann…“. Hier können Sie kreativ sein, denn diese Kinderlassen sich für vieles begeistern und manches muss man einfach nur gut verkaufen. - Wenn Strafen notwendig sind, dann reicht eine einmalige Ankündigung und dann muss die Konsequenz erfolgen. Time-Out und ähnliche Methoden halte ich immer noch für sinnvoll, um Eskalationen zu vermeiden. - Auch Ignorieren von unerwünschten Verhalten ist gerade dann, wenn Kinder dazu neigen, den Clown zu spielen, eine gute Methode, wenn es die Situation zulässt. - Unruhige Kinder brauchen eine gute körperliche Auslastung, sprich regelmäßige Bewegung und das meist mehr, als andere Kinder. Sie können einfach nicht still sitzen. Nicht, weil sie frech sind oder provozieren wollen, sondern weil ihr Motor sich nicht einfach so runterschalten lässt. Gleichsam ist es wichtig, den Kindern Möglichkeiten zu geben, bewusst auch körperliche Entspannung wahrzunehmen, etwa durch Massagen, Kinderyoga, Fantasiereisen mit Kuscheln etc… - Auf Fernsehen reagieren viele unruhige Kinder mit Überforderungssymptomen wie vermehrte Unruhe, Schlafstörungen und Aggressivität. Also immer wohl dosieren! - Fordern Sie Ihr Kind geistig und knüpfen Sie an seine Interessen an. Eine Dauerbespaßung sollte vermieden werden, doch die Anregung zum kreativen Spiel ist wichtig, damit ein unruhiges Kind auch geistig ausgelastet ist. Auch hier bieten sich Lebensräume an, wo ein Kind viel Freiheit erfährt, wie etwa Toben im Wald, im Garten etc. Und zu Letzt sollten Eltern sich immer bewusst machen, dass das wirksamste Erziehungsinstrument sie selbst sind. Kinder sind auf das Lernen am Modell geprägt und wir Eltern fungieren mit unserem Verhalten als Vorbild – im Positiven wie im Negativen. Eltern brauchen für die Erziehung von unruhigen Kindern viel Geduld, Kraft und innere Ruhe. Es ist daher unbedingt notwendig, dass Sie sich selbst nicht vergessen und gut für sich sorgen! Was konkret Ihr Sohn betrifft, so finde ich es bewundernswert mit welcher Geduld Sie ihn sanft auf ein besseres Schlafverhalten hinführen. Leider hat natürlich ein sanfter Weg immer auch den Nachteil, dass er nicht so schnell funktioniert, wie die „harte Tour“. Zudem ist es so, dass man sich vergegenwärtigen muss, wieviel Zeit ein Kind hatte, sich an ungünstige Interaktionsmuster zu gewöhnen und wie vergleichsweise schnell dann eine Umgewöhnung stattfinden soll. Ich würde Sie daher ermutigen, einfach weiter am Ball zu bleiben! Dass er nun besser einschläft zeigt ja, dass er grundsätzlich die selbstregulativen Fähigkeiten hat. Nun muss er erst herausfinden, dass er das auch beim nächtlichen Aufwachen kann. Von daher meine Empfehlung: mit möglichst wenig Interaktion und aktiven Beruhigungsversuchen das Durchschlafen weiter fördern. Ihre Beobachtung, dass bei weniger elterlicher Reaktion Ihr Kleiner erst richtig aufdreht, ist sicher richtig, aber durchaus normal und kein Zeichen, dass es nicht klappt! Er ist müde, wacht auf und will eine Lösung dieses unangenehmen Zustandes. Uns ginge es ja ähnlich, wenn wir nachts mehrfach wach würden und nicht schlafen könnten – nur dass wir mehr Möglichkeiten haben als Schreien. Doch Sie müssen sich bewusst machen, dass er die Lösung dieses Problems (wieder einschlafen) selbst finden muss und kann. Seien Sie da, so dass er keine Angst haben muss, doch helfen Sie ihm nicht aus der Patsche, indem Sie wieder stillen, tragen u.Ä. Er muss einfach die Erfahtung machen, dass es auch anders geht, wenn sich etwas ändern soll. Ob Sie dabei auf das Familienbett zurückgreifen oder nicht, ist für mich nicht entscheidend. Wichtig wäre mir nur, dass die Entwicklungsrichtung stimmt, also Ihr Kleiner mit einer Lösung eben besser schläft und Sie ebenfalls zufrieden sind. Eine Garantie, dass eine Methode funktioniert kann Ihnen eh keiner geben und auch nicht sagen, ob es später dann Probleme beim Gewöhnen ans eigene Bett gibt. Viele Befürworter des Familienbettes berichten, dass die Kinder irgendwann von selbst in ihr eigenes Bett wollen, doch ich kenne genauso gut auch andere Fälle. Gucken Sie daher einfach, was für Sie das kleinere Übel ist – jetzt lieber gleich ans Bett gewöhnen oder später. So oder so, ich bin mir sicher, Sie finden Ihren Weg und haben noch viel Spaß mit Ihrem Turbo! Weiterhin alles Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 18.01.2016


Antwort auf: Wie können wir mit seinem Regulationsproblem jetzt und in Zukunft umgehen?

Ich bin auch auf die Antwort von Frau Dr Bentz gespannt. Meine Tochter ist ebenso 9,5 Monate alt und wir haben ein sehr ähnliches Problem.

von NaDa23 am 13.01.2016, 15:30


Antwort auf: Wie können wir mit seinem Regulationsproblem jetzt und in Zukunft umgehen?

Seit 2 Tagen läuft es bei uns den Nächten tatsächlich etwas besser: wir haben unseren Sohn in unser Bett geholt und das scheint ihn sehr zu beruhigen, so dass er auch schon mal 5 Stunden zwischen dem Stillen geschafft hat. PS: Liebe NaDa23, ich muss gestehen, ich bin immer ein bisschen erleichtert, dass auch andere unsere Probleme kennen und wir damit nicht allein sind.

von Audi85 am 15.01.2016, 15:24