mein besonderes Kind

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: mein besonderes Kind

Auch ich bin Mama von so einem besonderem Kind, einem ehemaligen 24- Stunden Baby. Mein Sohn war als Baby die größte Herausforderung meines Lebens und ich war wirklich am Ende meiner Kräfte. Sein Rythmus waren keine 2 Stunden, sondern 15-30 Minuten. Er hat scheinbar nie geschlafen und forderte 100% Aufmerksamkeit. Ich konnte häufig 10 Stunden lang (so lange mein Mann nicht zu Hause war) noch nicht einmal aufs Klo gehen, geschweige denn Essen oder irgendetwas anderes (ich war mit 1 Jahr dann bei 47 kg bei einer Größe von 174). Er war besonders in jeder Hinsicht: er hat scheinbar keinen Schlaf gebraucht, er war extrem aktiv und er hat sich an keine Vorgaben, was die Entwicklung angeht gehalten - in jeder Hinsicht sehr sehr früh - so ein richtiges Baby war er fast nie gewesen. Er war besonders sensibel- extrem gefremdelt, frühes Gefühl für Emphatie etc. Mein zweites Baby ist nun scheinbar meine erste richtige Babyerfahrung und ich habe das Gefühl, dass ich erst jetzt weiss, wie es mit einem Baby ist. Mit Beginn der Fremdbetreuung kam dann zunächst ein Entwicklungsstopp- mein Sohn, der bis dahin schon gelaufen war, höerte plötzlich auf zu laufen etc. Mit Wechsel der Einrichtung normalisierte sich die Situation und er entwickelte sich in normalen Zügen. Nun bleibt mein Kind dennoch nach wie vor ein besonderes Kind und jeden Tag eine große Herausforderung. Als fast dreijährigeer hat er eine extrem komplexe Gedankenwelt. - Er denkt über Dinge nach, die er emotional nicht verarbeiten kann: Mama meine Katze ist gestorben, weil sie alt war. Mama, wenn ich alt werde, muss ich sterben. Mama, ich möchte nicht, dass du alt wirst. Mama, ich habe Angst, dass du und Papa sterben müsst. Mama, ich bin traurig - dieses Gespräch begleitete und wochenlang vor dem Einschlafen. - er kann scheinbar nicht vergessen- er erinnert sich an absolut alles. der Grundsatz, Kinder erinnern sich nicht an ihre Babyzeit gilt bei ihm nicht. Er erinnert sich an Details als 3 Monate altes Baby, die er nicht wissen kann. - er spricht überdurchschnittlich komplex, mit passiv, konjunktiv, korrekten Satzbau etc. obwohl er mehrsprachtig aufwächst - scheint ein Gefühl für Zahlen und Mengen zu haben, zählt derzeit bis 40, in Mengen bis 15 kann er schon ordentlich denken, Mama, wenn ich 7 Trauben esse, dann bleiben dir nur noch 5 übrig. - er ist extrem Geräuschempfindlich, reagiert extrem auf Stimmungsänderungen, auf Licht und andere Reize. Veränderungen überfordern ihn extrem. Geräusche machen ihn regelrecht panisch. - alltägliche Aufgaben überfordern ihn, sich eine Route durch den Raum zu überlegen, ohne etwas anzurempeln, ordentlich die Hose nach dem Toilettengang hochzuziehen etc. ebenso wie sich in neuen Situationen zurecht zu finden. - er ist sehr schmerzempfindlich. kann Schmerzen aber richtig zuordnen, Kopfschmerzen sind Kopfschmerznen, Knieschmerzen sind Knieschmerzen - der ehemalige motorische Überflieger als Baby, ist nun ein motorisch ängstliches und sehr unsicheres Kind (Mama ich fahre nicht Dreirad, weil ich hinfallen kann. Meine Freundin (Name) ist hingefallen und hat sich weh getan, ich möchte deshalb nicht Dreirad fahren). - er ist überdurchschinttlich phantasievoll und kreativ - er kann sich sehr intensiv und kreativ mit Materialien wie Sand, Holz etc. beschäftigen. - er schläft nach wie vor nicht durch, kann nicht alleine einschlafen, war vergleichsweise früh trocken, spielt gut mit anderen Kindern, aber braucht auch intensive und viele Auszeiten. Diese Beobachtungen decken sich mit der Beobachtungen aus seinem Kindertagesstätte und geben im Grunde, die dort genannten Sachverhalte wieder. Dort wurden wir darauf hingewiesen, dass er auch Unterstützung bedarf. Dort sagte man uns auch, dass scheinbar so viel in seinem Kopf vorgeht, dass er Dinge wie ein Glas vernünftig abzustellen vergisst - Reize überfordern ihn - Begriffe wie "Wahrnehmungsstörung", "Hochbegabung", "Reizverarbeitungsstörung" kommen zum Einsatz. Er ist unser großer Sohnenschein, aber nach wie vor eine Herausforderung. Schwierig finde ich die Situationen insbesondere, anderen Müttern zu erklären, warum mein Kind so reagiert, wie es reagiert. Schwierig sind die Panikattacken vor Geräuschen, vor Stimmungssveränderungen in seiner Umwelt etc. Haben Sie eventuell Tipps, welche Mechanismen man als Eltern entwickelt um solchen besonders "anspruchsvollen" Kindern gerecht zu werden? Wie kann ich ihn dabei unterstützen besser mit alltäglichen Dingen zu recht zu kommen? Wie kann ich ihn unterstützen, dass er emotional durch seine Gedankenwelt nicht überfordert ist und lernt damit umzugehen?

von lilule am 09.02.2016, 21:41


Antwort auf: mein besonderes Kind

Liebe Lilule! vielen Dank für Ihren Bericht! Ich finde Ihre Aussage „ich glaube, ich weiß erst jetzt, wie es ist ein Baby zu haben“ besonders wertvoll, denn sie zeigt, wie sehr sich der Alltag mit einem Schreibaby sich vom Alltag anderer junger Familien unterscheidet. Die verlorene Babyzeit ist demnach auch ein Thema, was psychologisch oft „nachhängt“. Es ist schmerzhaft, jedoch wichtig, sich dieser Gefühle bewusst zu sein, denn vielfach haben sie einen großen Einfluss darauf, wie Eltern mit ihren ehemaligen "Brüllern" umgehen. Nicht selten führt der Versuch, diese Zeit zu kompensieren zu wollen dazu, dass Eltern sich scheuen Konflikte einzugehen oder ihren Kindern etwas zuzutrauen. Mein Psychologenherz freut sich daher für Sie, denn es ist Ihnen bereits gelungen, Zugang zu diesen Aspekten zu haben und diese zu reflektieren. Das ist nicht selbstverständlich, denn viele Eltern verlieren in dieser Zeit den Zugang zu sich selbst. Diesen wieder zu finden, Zutrauen zu sich und seinen Kompetenzen zu haben, auch für sich zu sorgen, achtsam mit seinen Grenzen umzugehen, nicht nur Mutter / Vater sondern auch Frau / Mann zu sein ist einer der wichtigsten (und schwierigsten) Erfolgsschlüssel, um wieder zurück in ein „normales“ Familienleben zurückzufinden bzw. es überhaupt erst aufzubauen. Doch nun zu Ihrer Frage: Meine Mutter würde an diese Stelle sehr schmunzeln, denn sie berichtet mir liebend gern, wie ich sie im Kleinkindalter mit ähnlichen, teils bizarren Fragen gelöchert habe. Das Ausdenken möglicher Katastrophenszenarien gehörte quasi zu meiner Lieblingsbeschäftigung und ließ – ähnlich wie bei Ihnen – Grübeln über meine seelischen Gesundheit und ihrer Kompetenz als Mutter aufkommen. Ich bin sicher nicht hochbegabt, doch Ihre Berichte und die Einschätzungen der Erzieher legen so eine Vermutung für Ihren Sohn schon nahe. Auch das „Vergessen“ scheinbar einfacher, bereits gelernter Dinge bzw. die Schwierigkeit, sich vergleichsweise simple Dinge zu eigen zu machen, kommt bei Hochbegabung durchaus vor. Ich würde Ihnen daher raten, sich an die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (www.dghk.de) zu wenden, um kompetenten Rat und eine Einschätzung zu erhalten. Für dieses Thema bin ich nämlich keine Expertin. Ein paar Gedanken, die aus meiner Sicht wichtig sind, kann ich Ihnen dennoch mitgeben: Immer wenn ein Kind von der Norm abweicht – egal in welche Richtung – ist es wichtig, nicht nur die Diagnose zu sehen, sondern auch das Kind. Ein Kind mit ADHS ist eben nicht nur der Zappelphillip, ein Kind mit Down-Syndrom nicht nur gehandicapt, ein Kind mit Mukoviszidose nicht nur chronisch krank. Das ist wirklich schwer, den Diagnosen lassen sich nicht einfach ausblenden. Gerade das Thema Intelligenz ist sehr sensibles Thema, berührt es doch Donge wie Stolz, Leistungserwartungen, oder auch Scham etc.Hat man so etwas erstmal schwarz auf weiß, können Erwartungen Realitäten schaffen. Man konnte z.B. in Experimenten zeigen, dass fiktive IQ-Ergebnisse z.B. die Beurteilung eines identischen Aufsatzes erheblich beeinflussten. Wurde von Beurteilern angenommen, ein Kind sei intelligent wurde derselbe Aufsatz im Mittel besser bewertet, als wenn Beurteiler die Vorinfo hatten, es sei weniger intelligent. Im Falle von Hochbegabung mag das ja noch ganz positiv sein, jedoch reicht ein hoher IQ eben nicht aus, um Erfolge zu erziehen und gut in eine Gesellschaft integriert zu sein. Kinder mit Hochbegabung werden oft wie faszinierende Exoten betrachtet und leider teilweise auch von überehrgeizigen Eltern auch so vorgeführt. Doch selbst wenn bei Ihnen einige Dinge sicher anders laufen, sie sind Kinder, die Orientierung in der Welt brauchen und nicht nur Quantenphysik. In diesem Sinne viel Freude an Ihren beiden Kindern! Es erwartet Sie sicher eine spannende Zeit! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 12.02.2016