Ist so viel Schreien und Klammern bei einem Kind mit 16 Monaten angemessen?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Ist so viel Schreien und Klammern bei einem Kind mit 16 Monaten angemessen?

Liebe Frau Bentz, zunächst ein großes Lob für Ihr Forum! Ich konnte aus den ausführlichen Antworten, die sie anderen Eltern gegeben haben schon viele hilfreiche Tipps entnehmen. Toll, mit welchem Engagement Sie die Fragen beantworten. Ich wende mich an Sie, da ich mir Sorgen um unseren 16 Monate alten Sohn mache. Er hat von Geburt an viel geschrieen und wirkt sehr oft unzufrieden und unausgeglichen. Momentan schreit er ganz oft und ganz heftig, weil er zu uns auf den Arm möchte oder weil er mit irgendetwas nicht zufrieden ist. Es gibt kaum Momente, in denen er richtig entspannt wirkt. Wenn er auf dem Arm ist, will er nicht mehr herunter, er krallt sich richtiggehend fest und schreit wie am Spieß, wenn man ihn absetzen möchte. Das gilt für mich und meinen Mann gleichermaßen. Es klappt nur selten, dass man ihn durch Ablenkung dazu bewegen kann, sich zu beschäftigen. Auch das "Übergeben" von meinem Arm auf den meines Mannes oder umgekehrt ist mit großem Geschrei verbunden. Wenn mein Sohn zu lange auf etwas warten muss, wenn er etwas möchte, was nicht geht oder wenn er etwas nicht möchte, was notwendig ist, gerät er außer sich und wird ganz zornig. Es dauert sehr lange, bis er sich wieder beruhigen lässt. Das kommt viele Male am Tag vor. Seit er 11 Monate alt ist, besuchen mein Sohn und seine Zwillingsschwester eine Kita (4,5 Stunden täglich). Auch dort bekommen wir die Rückmeldung, dass er vom Arm der Bezugserzieherin nicht herunter möchte und sehr viel schreit. Die Erzieherinnen sprechen auch von "Wutanfällen", wenn er nicht bekomme, was er wolle. Mein Sohn möchte grundsätzlich nur zu seiner Bezugserzieherin und zu keiner anderen Erzieherin. Wenn ich ihn abhole, möchte er oft auch bei ihr auf dem Arm bleiben und schreit, wenn ich ihn nehmen möchte. Meine Tochter kommt in der Kita prima zurecht und fühlt sich wohl dort, ich denke die Einrichtung ist o.k.. Wenn ich mit den Kindern nachmittags alleine bin, kämpfen sie ständig um meine Aufmerksamkeit. Wenn ich beide auf den Schoß nehme, hauen sie sich und brüllen los. Hat mein Sohn dadurch, das er uns immer mit seiner Schwester teilen muss, Angst, zu kurz zu kommen? Mit seiner Schwester gibt es auch ganz häufig Geschrei, weil sie ihm zu nahe kommt oder ihm etwas wegnimmt. Wenn meine Mutter da ist, dann will er hingegen die ganze Zeit nur auf ihren Arm und lässt sich von ihr nicht mehr absetzen oder an mich übergeben. Dann bin ich ziemlich abgeschrieben. Er ist extrem auf seine Oma bezogen, obwohl er sie wegen der räumlichen Distanz nur selten sieht. Wenn mein Sohn auf andere Kinder trifft, machen diese ihm Angst und irritieren ihn. Er weicht dann nicht von meinem Arm und weint und schaut weg, wenn sie ihm zu nahe kommen. Auf dem Spielplatz bleibt er auch nur auf meinem Schoß sitzen und klammert sich an mich, er spielt dort nur zögerlich. Nachmittags habe ich zur Unterstützung zwei Kinderfrauen, die jeweils 1 Nachmittag kommen. Zu ihnen mag mein Sohn seit einiger Zeit auch nicht mehr so gerne gehen, obwohl er sie schon recht lange kennt. Wenn sie mit den Kindern im Kinderwagen weggehen, schreit er heftig, weil ich zurückbleibe. Der Zustand ist nicht ganz statisch. Es gibt immer wieder Tage oder kurze Phase, in denen es ein bisschen besser ist. Aber die meiste Zeit ist es so, wie oben beschrieben. Noch als Zusatzinfo: Meine Zwillinge wurden in der 38. SSW per Kaiserschnitt geborgen. Sie laufen noch nicht, und mein Sohn ist motorisch noch etwas instabil, wir machen deshalb Krankengymnastik. Mein Sohn wurde bereits osteopathisch abgeklärt, dabei wurde nichts Auffälliges gefunden. Der Kinderarzt hat uns schon mehrfach homöopathische Mittel gegeben, die folgenlos geblieben sind. Folgende Fragen gehen mir nun durch den Kopf: Ist das Verhalten meines Sohnes für sein Alter angemessen? Sollten wir uns Sorgen machen und Hilfe holen oder eher abwarten? Was kann hinter diesem vielen Geschrei und hinter seinem Klammern stecken? Ist die Kita für ihn überfordernd? Sollten wir ihn eher aufnehmen und im Nähe geben, wenn er das einfordert oder versuchen, ihn nicht so viel hochzunehmen? Wie können wir mit dem wütenden Schreien umgehen? Gibt es irgendetwas, was wir tun können, damit mein Sohn ausgeglichener wird und freudiger seine Umgebung erkundet? Ich hoffe, ich habe sie mit meinen langen Ausführungen und vielen Fragen nicht überflutet... Ich würde mich über eine Einschätzung der Situation aus Ihrer Sicht sehr freuen. Herzliche Grüße, s.marti

von s.marti am 10.08.2015, 21:06


Antwort auf: Ist so viel Schreien und Klammern bei einem Kind mit 16 Monaten angemessen?

Liebe Frau Marti, vielen Dank! Es freut mich, dass Ihnen das Forum gefällt! gleichzeitig möchte ich mich entschuldigen, dass ich Ihnen so spät antworte - mein Jüngster war nicht fit. Zu Ihren Fragen: Ihr Bericht zeigt sehr schön, wie unterschiedlich Kinder sind, auch wenn Sie unter wirklich gleichen Bedingungen aufwachsen und gleich alt sind. Ihr Tochter kommt mit den Umständen prima zurecht, während Ihr Sohn Schwierigkeiten hat. Es kann also nichts grundsätzlich falsch oder richtig sein, nur anders - sprich hier spiegeln sich andere Bedürfnisse wieder. Hieraus ergeben sich zwei Fragen: a) sind diese besonderen Bedürfnisse noch "normal" b) wie auf die Bedürfnisse eingehen / ihnen gerecht werden zu a) Aus der Ferne ist es wirklich schwer zu beurteilen. Mit 16 Monaten ist Ihr Sohn noch sehr jung und vieles ist durch die rasende Entwicklung einfach noch unstet. Zu den frükindlichen Regulationsstörungen zählt auch übermäßiges Klammern / Ängstlichkeit. Allerdings ist es immer riskant, vorzeitig zu pathologisieren.Andererseits scheint Ihr Sohn situationsüberfgreifend sehr ängstlich und anklammernd zu sein und ja auch sonst noch etwas förderungsbedürftig. Hier könnte aus meiner Sicht tatsächlich noch eine kleine Entwicklungsverzögerung bestehen - körperlich und geistig - die eben zu Überforderungsreaktionen / Anpassungsproblemen wie die beschriebenen führen kann. Vielleicht recherchieren Sie mal nach einem Früherkennungszentrum, einer an eine Klinik angebundene Schreiambulanz oder fragen Ihren Kinderarzt nach Adressen für Frühförderung? Hier könnte man unter Beobachtung eine genauere Diagnose erstellen und entsprechende Therapien einleiten. dies führt mich zu b) natürlich ist der Weg, wie ihn meine Vorrrednerin beschreiben hat, eine Möglichkeit, gegen die auch nichts einzuwenden ist. Ich denke aber, der Weg wird mit Zwillingen kaum in der Form gangbar sein. Zudem können Dinge, die bei anderen Kindern gut funktionieren, bei Kindern mit Regulationsstörungen kontraproduktiv sein. Hierzu gehört z.B. die Idee, dass Kinder aus sich selbst heraus eine eigene Struktur entwickeln zu lassen und als Eltern in einer eher passiven, reagierenden Haltung zu bleiben. Die Nähe-Distanz-Regulation gehört zu den selbstregulatorischen Entwicklungsaufgaben in der frühen Kindheit. Liegt hier ein Defizit bzw. eine frühkindliche Störung vor (was eben geprüft werden müsste)t, muss anders reagiert werden, als wenn es sich um eine "normale" Phase des Fremdelns / Anklammerns handelt. Ich würde daher nicht empfehlen, einfach abzuwarten und das Problem "auszukuscheln" (obwohl gegen Kuscheln natürlich gar nichts einzuwenden ist!!), sondern gemeinsam mit einem Profi zu gucken, was Ihr Sohn nun wirklich braucht. Hier ist ein sensibles Vorgehen gefragt, damit Ihr Sohn lernt, dass Explorieren und Loslassen auch Spaß macht und nichts Schlimmes passiert, wenn er seine Umwelt erkundet. Gegen Fremdbetreung spricht grundsätzlich nichts, doch vielleicht müsste man gucken, ob eine andere Form Ihren Sohn gerechter wird (eine Kinderfrau / Tagesmutter auch vormittags, Heilpädagogioscher Kindergarten mit kleineren Gruppen, intensiverer Betreuungu.ä..). Ok reicht in diesem Fall für eine Betreuung nicht aus, denn solch gesonderte Bedürfnisse sind in einer normalen U3-Gruppe nur schwer aufzufangen. Aber es gibt auf jeden Fall auch hierfür Lösungen! Auf jeden Fall drücke ich Ihnen die Daumen, dass Sie schnell passende Hilfe finden und Ihr Sohn bald seine Freunde am Erkunden dieser Welt entdeckt! Mich würde es sehr freuen, wenn Sie mal berichten, wie es weitergegangen ist! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 12.08.2015


Antwort auf: Ist so viel Schreien und Klammern bei einem Kind mit 16 Monaten angemessen?

Hallo, ich hatte(!) das gleiche "Problem" mit unserem Sohn. ich dachte mir irgendwann einfach: wenn Kinder Hunger haben, füttert man sie solange, bis sie satt sind. und habe damals einfach gehofft, dass das bei der Liebe und Zärtlichkeit der Eltern genauso funktioniert. und das hat es tatsächlich!!! da mein Sohn absolut auf mich fixiert ist, habe ich mich lange am Tag mit ihm beschäftigt, geschaut,was ER möchte und wielange er das möchte. und genau so lange habe ich ihn auf dem Arm gehabt, mit ihm auf dem Schoss auf der Couch Bücher angeschaut, ihn gestreichelt usw. halt einfach seeeeehr viel Nähe und Geborgenheit gegeben. und es hat sich gelohnt. nach 2Wochen oder vllt auch weniger - weiß ich nicht mehr genau- hat er nach immer kürzerer Zeit einfach keine Lust mehr gehabt auf dem Schoss usw zu sein, gestreichelt zu werden usw. und man konnte ihn sogar ohne geschrei vom Arm herunterlassen oder mal für 5Min ins Bad gehen, ohne dass er gebrüllt hat oder so. all das war vor der INTENSIVKUR nicht möglich. lass den Haushalt mal Haushalt sein, versuch es. solange kuscheln wie er will und sooft er will. es lohnt sich!!!

von mama-nika am 11.08.2015, 11:31