emotionales/ängstliches Baby

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: emotionales/ängstliches Baby

Liebe Frau Dr.Bentz, vor ca 2 Monaten wandte ich mich schon einmal an Sie, da meine Tochter (damals 8 Wochen, heute 4,5 Monate) abends plötzlich Schreiattacken bekam. Danke für Ihre damalige Antwort! Die Attacken verschwanden wieder, es war tatsächlich nur eine Phase und es war sehr gut für mich zu lernen, dass es wirklich im Leben eines Kindes solche Phasen gibt, die kommen und wieder gehen... Danke auch für Ihre, für mich sehr erleichternde Einschätzung, dass Bonding nach der Geburt (bei uns waren es 3 Tage Trennung aufgrund meines Gesundheitszustandes) zwar wichtig, aber nicht ausschlaggebend für eine gute Eltern-Kind Beziehung/die positive Entwicklung des Kindes ist. Das hat mir sehr gut getan. Ich habe nun jedoch erneut eine Frage an Sie als Psychologin und hoffe, Sie können mir nochmals weiterhelfen. Uns fällt immer wieder auf, dass unsere Tochter ein recht emotionales Baby zu sein scheint. Z.B. ist sie im Babykurs diejenige, die am herzhaftesten lacht und sich freut, aber auch diejenige, die am meisten weint, wenn sie sich z.B. erschreckt oder mich aus den Augen verliert. Auch zu Hause lacht sie mitunter sehr viel und herzhaft - oder ärgert sich stark oder ist traurig oder hat Angst. Aber alles scheinbar nach dem Motto "wenn, dann richtig". Es gibt zwischendurch auch Zeiten, in denen sie ruhig und ausgeglichen ist, aber auch dann können sie z.T. (je nach Tagesform, Müdigkeit) Kleinigkeiten aus der Bahn werfen. Was würden Sie mir zum Umgang mit ihrer Emotionalität raten? Wie kann ich sie da gut begleiten? Und speziell zum Thema Angst: sie scheint neue Situationen wenig gern zu mögen und hat oft schon stark gefremdelt, wenn wir Besuch hatten oder zu Besuch waren. Sie kann sich dann richtig in rage schreien, obwohl wir sie ohnehin schon nicht in fremde Arme geben, bzw, nur wenn sie grade sehr gut gelaunt ist. Was würden Sie hier raten? Sollen wir neue Orte/Personen meiden oder es ihr ruhig zutrauen und dann ggf trösten? Ich selbst habe irgendwie das Gefühl Sicherheit und Entwicklung einer sicheren Bindung zu uns (durch Schutz?) steht momentan vor Ausprobieren und ihr zu viel zumuten. Mich würde sehr interessieren wie Sie das sehen.... Ich bedanke mich schon vorab sehr herzlich bei Ihnen für Ihre Zeit und Mühe! emre

von emre am 04.02.2016, 19:34


Antwort auf: emotionales/ängstliches Baby

Liebe Ich erinnere mich an Sie und freue mich, dass ich Ihnen etwas helfen konnte! Verständlicherweise reagieren Sie sensibel auf Themen wie Bindung und beobachten Ihr Kind ganz genau. Dass Sie ihre Kleine beschützen wollen, versteht sich von selbst. Doch wie genau schützt man sein Kind? Der Schutz eines Kindes sollte vor allem darin liegen, dass wir Eltern Gefahren für das Kind abwehren und es langfristig in die Lage versetzten, selbstständig und aktiv sein Leben zu führen. Wir sind also Wegbeleiter und nicht Straßenbauer. Ihr Kind ist sensibel und reagiert ängstlich auf Neuerungen und Unbekanntes. Worin könnte da der Schutz liegen? a) Das man ihm solche Situationen nicht zumutet? b) Das man nicht möchte, dass es sensibel und ängstlich ist c) Das es lernt, mit seinem Temperament, Persönlichkeit und Eigenarten in der Welt klarzukommen. Sie ahnen es sicher, meine favorisierte Antwort ist c. Antwort a hat sicher eine Kurzfristwirkung, führt aber langfristig zu einer Verschlimmerung, b) hieße, die Eigenarten des Kindes zu übergehen und es in ein Gerüst zu zwingen. Natürlich macht bei allem die Dosis das Gift. Es spricht nichts dagegen, auch mal explizit für Ruhe und Routine zu sorgen, wenn sonst gerade andere Themen schwierig sind und Ihre Kleine gerade an anderen Baustellen (Krankheiten, Entwicklungsschübe etc.) zu kämpfen hat. Doch bei einem körperlich und geistig gesunden Kind, gibt es keinen Grund herausfordernde Situationen zu meiden. Im Gegenteil. Man weiß aus der Pädagogischen Psychologie das leicht überfordernde Aufgaben den meisten Wert für den Selbstwert haben. Ihrer Kleinen ist das natürlich noch nicht bewusst, doch wird sie etwas herausgefordert und es gelingt dann, baut das Selbstwert auf. Ist eine Aufgabe zu leicht, hat sie keinen Aussagewert für den Selbstwert, ist sie zu schwer ebenfalls nicht und sorgt für Frust. Hier ist natürlich immer etwas Fingerspitzengefühl gefragt und vor allem positive Motivation und aktives Vorleben durch Sie! Anstatt auf „es könnte sie überfordern, stressen, ängstigend“ sollte Ihr Fokus positiv auf dem sein, was man ihr zumuten kann. Jedes Kind braucht Herausforderungen, Erfolge und Misserfolge, nur so kann es sich die Welt zu Eigen machen. Unsere Aufgabe ist es daher auch nicht, Kinder vor allen Fehlern, Rückschlägen, Misserfolgen und allgemein unangenehmen Erfahrungen zu bewahren – denn das wird uns eh nicht gelingen!- sondern ihnen den richtigen Umgang damit zu zeigen. Haben Sie daher auch keine Angst vor der Angst Ihrer Tochter! Angst ist, ebenso wie Wut zwar kein angenehmes, aber wichtiges Gefühl mit hohem Informationsgehalt. Ihre Tochter darf also ängstlich oder wütend sein, genauso wie sich sie freuen darf. Nur müssen Sie ihr zeigen, wie Sie mit Ihren Gefühlen umgehen kann. Von daher ist es auch schon bei Kleinkind wichtig, Ihre Achtsamkeit zu fördern. Das tun Sie am besten durch Spiegeln von Gefühlen (oh, bist du ärgerlich), durch Lesen von Büchern und dabei spielerischen Bennen von Emotionen (guck mal, was hat der Bär? Wie geht es dem Pony. Ist der Frosch fröhlich) und Fragen („Wann bist du denn froh?, Wann bist du traurig“) sowie aktiven Modellernen. („oh, ich hab gleich einen Termin und bin ganz aufgeregt, ich ärgere mich darüber, dass…, )“ Die ganze Entwicklung geht natürlich Schritt für Schritt und manche Dinge wie Empathie, Perspektivenübernahme und die sogen. Theory-of- mind sind erst im Vorschulter zu beobachten, dennoch kann man hier einen guten Grundstock legen, dass Kinder einen guten Zugang zu ihren inneren Zuständen haben (ich mag jetzt nicht mehr), diese als Information nutzen (ich muss mal eine Pause machen). Das gilt übrigens nicht für Gefühle wie Angst, sondern auch für Dinge wie Essen und Bewahrung körperlicher Grenzen (diese Berührung ist mir unangenehm, das will ich nicht) Letztendlich hat alles hat seine Preis. Ihre Tochter „zahlt“ vielleicht mit einer erhöhten Neigung zum Ängstlichsein und etwas dünneren Nerven, doch sie gewinnt dafür sicher ein erfüllendes, intensives Leben, dass sie mit ihren feinen Antennen voll auskosten kann. So intensiv wie sie sich ängstigen und ärgern kann, wird sie sich auch freuen können. In diesem Sinne: weiterhin viel Freude an- und miteinander! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 10.02.2016