Geschichten, die das Leben schreibt....

Im Leben mancher Menschen gibt es Augenblicke, wo sie nur einen Wimpernschlag entfernt sind vom Wahnsinn. Einen Sekundenbuchteil getrennt vom Durchdrehen.

So einen Moment gab es auch in meinem Leben.
Ich habe ihn überlebt. Und ich werde euch diese Geschichte erzählen….

Es ist lange her, mein Sohn war damals ca. 13 Jahre alt. Ich hatte mich mal wieder in die Niederungen der Trivialliteratur begeben und einen Roman von Stephen King gelesen. Schön schaurig…

Dann wollte ich schlafen gehen. Aus dem Bad kommend, brauchte ich nur am Schalter neben der Badezimmertür das Flurlicht löschen, 4 Schritte geradeaus gehen und mich dann in einem 90°Winkel meiner Schlafzimmertür zuwenden.

Ich weiß nicht, warum und wieso, aber irgendwie geriet ich bei diesen wenigen Schritten im Dunkeln ins Taumeln. Ich stolperte und konnte mich vor dem Stürzen gerade noch fangen. Okay, ganz ruhig…
Ich versuchte, mich zu orientieren und tastete nach der Schlafzimmertür. Irgendwie ging meine Hand aber immer ins Leere da, wo eigentlich die Tür sein sollte!

Doch dann Aufatmen: Ich spürte die vertraute Holzfüllung der Schlafzimmertür unter meiner Hand. Nur… irgendwas war anders als sonst. Ich fand die Türklinke nicht!
Mittlerweile fuhr ich mit beiden Händen über die Türfüllung. Verdammt, irgendwas lief hier ganz verdammt schief!

Allmählich beschleunigte sich mein Herzschlag, und ich spürte feine Schweißperlen auf meiner Stirn.

So, jetzt mal ganz tief Luft holen und die Lage checken. Also, rechts von der Tür muss doch der Winkel sein, und danach kommt dann die Kinderzimmertür.
Ja, der Winkel ist da! Aber halt, was ist das? Da ist keine Tür, da ist nackte Wand! Das kann nicht sein!

Ein mittlerer Anflug von Panik.

Dann taste mal links vom Türrahmen, da kommt der Wandspiegel des Flurs. Aaaahhh, was ist das??? Da ist plötzlich noch ein Winkel!!!

Okay, okay, nicht durchdrehen. Einen Schritt zurück, nachdenken, das kann alles gar nicht sein, irgendwas hast du falsch gemacht!

So, jetzt ganz in Ruhe noch mal. Und ab sofort kein Stephen King mehr, hast du verstanden?!

Also wieder einen Schritt vor. Meine Hände tasteten über die Türfüllung. Verdammt, ich fand immer noch keine Türklinke! Meine Hände krümmten sich zu Krallen, und meine Fingernägel kratzten mit enervierenden Geräuschen immer hektischer über das Holz. Ich begann zu stöhnen, zu ächzen, zu wimmern. Ich wisperte Beschwörungen und sinnlose Gebete.

Oh mein Gott, ich glaube, ich bin in einem Paralleluniversum gelandet. Oder Matrix reloaded? Verschiebung des Raum-Zeit-Kontinuums? Gefangen in einem Kubus von 1m³ Seitenlänge?

Ich öffnete gerade den Mund, um mein Entsetzen herauszuschreien, als ich plötzlich doch die Türklinke in der Hand hatte. Dem Himmel sei Dank! Voller Erleichterung drückte ich sie hinunter und griff gleich um die Ecke, um den Lichtschalter zu betätigen. Was ich jetzt als erstes brauchte war LICHT!

Und dann namenloses Erschrecken. Wo die Wand mit dem Lichtschalter sein sollte, war ein Mauervorsprung! Der Horror ging weiter! Ich war nicht gerettet! Ich war nur auf einem anderen Level gelandet!

Mein Atem ging schwer. Ich hatte keine Wahl. Was hinter mir lag, wusste ich. Dort gab es kein Entrinnen. Ich musste vorwärts gehen. Vielleicht gab es irgendwo Rettung…

Und wenn ich jetzt einfach so tu, als sei gar nichts? Wenn ich jetzt einfach zwei Schritte vorwärts gehe und mich dann nach rechts wende, wo eigentlich das Bett stehen soll?

Okay, so mach ich’s! Also zwei Schritte vor, dann eine Vierteldrehung nach rechts.
Auf, ich hab mir die Zehen gestoßen! Was war das? Hastig taste ich nach dem Gegenstand. Oh, nur eine Nachtkonsole! Da kann das Bett nicht weit sein, oder?

Ich bücke mich, taste wild in der Luft herum, bis meine Hand tatsächlich auf ein Bett fällt. JAAAA!!!

Doch was ist das? DA LIEGT SCHON JEMAND DRIN!!!! Sollte das MEIN Körper sein, während ich hier nur als Astralkörper….…..

Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gebracht, als plötzlich ein eisenharter Griff mein Handgelenk umspann. Gleichzeitig wurde ein Licht angemacht. Und ich starrte in das kreidebleiche Gesicht meines Sohnes…….

„MUTTERN!!!! Hast du `ne Ahnung, wie unheimlich das stundenlange Schaben und Kratzen an der Tür war??? Und was hast du für gruselige Geräusche von dir gegeben? Ich mach mir hier vor Angst fast in die Hose!!! WAS SOLL DAS????“

Fassungslos stand ich da und stammelte nur „Oh, Entschuldigung, ich habe mich verlaufen!!!“

Ja ne, ist klar, wer verläuft sich nicht mal in einem Flur von maximal 5 qm, gelle?

Wie ein geölter Blitz flitze ich ins Schlafzimmer, warf mich in mein Bett und zog mir die Bettdecke über den Kopf, einem Herzkasper näher als je zuvor im Leben.
Und so langsam dämmerte mir, was passiert war:

Erst wenige Tage zuvor hatten wir die Türen von Schlaf- und Kinderzimmer vertauscht. Die ursprüngliche Kinderzimmertür hat 8 Sprossenfenster, die mein Sohn allerdings mit Beginn der Pubertät mit einer Amerikaflagge verhängt hatte. Da der Flur dadurch sehr dunkel wurde, hatte ich die Idee, unsere Türen zu tauschen.

Nur hatte ich das dann komplett vergessen, und als meine Hände immer über die geschlossene Türfüllung glitten, konnte das nach meinem Verständnis nur die Schlafzimmertür sein!

Warum ich allerdings die Türklinke so lange nicht gefunden habe, hat sich mir bis heute nicht erschlossen.

Na ja, nachdem das Geheimnis gelüftet war, stellte ich mir vor, wie mein sonst so cooler pubertierender Sohn schreckensbleich im Bett gelegen und meinen jedem Gruselfilm zur Ehre gereichenden Geräuschen lauschte, und ich bekam den längsten Lachanfall meines Lebens.

Mein Sohn brauchte etwas länger, bis er darüber lachen konnte….

Ach ja, und Stephen King lese ich noch immer gern. Aber jetzt mach ich erst immer die Wandleuchte im Schlafzimmer an, bevor ich das Flurlicht lösche *ggg*.

Was passt denn nun besser: Oma Tüddelich oder Oma Gruselig?

Dumdidumdidum…..