Mehrsprachig aufwachsen

Mehrsprachig aufwachsen

Fotogalerie

Redaktion

 

Geschrieben von Kaka_b am 23.10.2008, 18:54 Uhr

Gegenfrage

So, jetzt muss ich nach all der interessanten Lektuere doch auch mal mitmischen :-) Ich habe beide Erfahrungen gemacht, bin als Kind im Ausland (Italien) zur Schule gegangen und nach dem Abi nach Deutschland zum Studieren zurueck. Hab's da aber nur zwei Jahre ausgehalten und bin seither nicht wieder laenger in Deutschland gewesen - erst habe ich in Italien fertig studiert und bin dann nach England gezogen.

Die Rueckkehr nach Deutschland war voellig unerwarteterweise ein riesiger Kulturschock. Ich muss dazu sagen, dass meine Eltern, die ueber die Arbeit sowohl italienische als auch internationale Bekanntschaften hatten und pflegten, darauf Wert legten, dass zuhause Deutsch gesprochen und gelebt wurde. Mir waere damals auch niiie in den Sinn gekommen, mich vor meinem inneren Auge als etwas anderes als eine Deutsche zu sehen, ganz klar, obwohl wir fliessend Italienisch sprachen.

Als ich dann, Abi in der Tasche, beschloss nach Deutschland zu gehen, betrafen meine Sorgen vielleicht den Lehrplan, wie die Profs so seien oder ob das Geld ausreichen wuerde - ich haette nie damit gerechnet, mit Deutschland, den deutschen Jugendlichen, der deutschen Sprache solche Probleme zu haben !!! Ich kam einfach nicht klar.

Zum grossen Teil lag es wahrscheinlich auch an mir. Meine Sprache war zwar akzentfrei, aber "erwachsen", ich kannte so viele Begriffe meiner Altersgenossen nicht. Von "geil" hatte ich ja schon gehoert, wenn auch nie selber benutzt, aber was bitte sollte heissen "er outet sich" ? Man kann ja auch nicht fragen in dem Alter, sonst outet man sich naemlich sofort ;-))
Auch bestimmte Floskeln hatte ich nicht drauf - sowas wie "da nicht fuer" oder "gern geschehen", mir ist zweimal "nichts" rausgerutscht ("di niente") und einmal "das fregiert mich nicht" (fuer "das ist mir egal", so hatten wir's halt zuhause gesagt, ohne das uns richtig bewusst war, dass das Italianismen sind).

Viele Deutschen kannten sich untereinander schon seit Ewigkeiten und liessen keinen mehr in ihre Gruppe, und wer etwas weiter weg wohnte, fuhr am Wochenende heim zu Mami. Bei Parties ging es nicht darum, ueber Politik oder neueste Ereignisse zu reden, sondern hauptsaechlich darum, sich zu besaufen. Wenn ich auf der Strasse gruesste, wurde ich komisch angesehen und bekam keine Antwort. Ich trat einem Chor bei in der Hoffnung, dort jemanden kennenzulernen, aber kaum waren die Proben zuende, packten alle zusammen und hasteten nach Hause - die kamen doch tatsaechlich zum Singen und nicht, um soziale Kontakte zu knuepfen *lach* ! Auf der Arbeit, wo ich nebenbei jobbte, meinte mein Vorgesetzter nur, mein "ok" klinge nicht deutsch, sondern mehr wie ein "okai" (??!!), ob ich einen rauskehren lassen wolle, dass ich aus Italien kaeme.

Ich habe die Zeit gehasst, und letztendlich waren meine einzigen Bekanntschaften Auslaender, viele Italiener, aber das war glaub ich eher Zufall, weil es an der Uni einfach viele Kontakte und Austauschprogramme mit Unis in Italien gab. Wie gesagt, nach zwei Jahren bin ich dann wieder zurueck nach Italien.
Ich bin spaeter, kurz vor Abschluss des Studiums, noch einmal fuer ein paar Monate zurueck, weil ich einen speziellen Schein nur in D machen konnte. Diesmal war alles anders - meine Einstellung hatte sich geaendert, ich erwartete nicht mehr viel, ich war vielleicht auch etwas weniger empfindlich und nahm Zuruecksetzungen weniger persoenlich - und ich fand auch ein paar deutsche "Freunde", die ganz nett waren und die eher mit mir auf einer Wellenlaenge schwammen. Vielleicht waren auch meine Altersgenossen inzwischen nicht mehr ganz so kindische Abiturienten wie im ersten Semester. Aber zu keinem habe ich heute noch Kontakt.

Andersherum hatte ich die Erfahrung in England, dass es sehr von der Region abhaengt. Zunaechst habe ich einige Jahre in den "Midlands" gelebt, und da waren Kontakte schnell geknuepft. Es war eine sehr schoene und angenehme Zeit. Manchmal war es mir fast zuviel, wie schnell und offen die Leute auf einen zugingen, wenn man nur irgendwo seinen Kaffee schluerfen und die Wand anstarren wollte !

Inzwischen leben wir auf halber Strecke zwischen Oxford und London in Buckinghamshire, und Mann! ist es hier schwierig, mit Leuten in Kontakt zu kommen!! Ueber Nachbarn geht gar nichts, Eltern-Kind-Treffen finden grundsaetzlich um 10 Uhr frueh oder 2 Uhr nachmittags statt, obwohl hier doch viele sehr frueh wieder arbeiten gehen. Ich muss sagen, dass sich unsere Bekanntschaften, von einem ruehrigen lieben Ehepaar bei uns im Ort einmal abgesehen, auf Arbeitskollegen beschraenken.

Wir versuchen ueber lokale Gruppen, neue Bekanntschaften zu schliessen - erst wieder Chor, dann Fitnesscenter, Kirche, jetzt gerade eine Handvoll Freiwilliger, die eine vierteljaehrig erscheinende Zeitung herausbringen, und einen Verein, der sich um die hiesige Waldlandschaft kuemmert und Wanderungen etc organisiert - aber es ist alles sehr zaeh, sehr schleppend und bisher nicht besonders erfolgreich. Vielleicht wird es ja besser, wenn Sarah in die Schule kommt, denn ihr Kindergarten ist auch nicht lokal. Oder wir ziehen zurueck in die Midlands :-)

Mein Fazit waere: nimm nichts persoenlich. Viele sind selbst heute noch mit Fremdem ueberfordert. Wahrscheinlich ist es sogar etwas normales, durchweg menschliches - bei allem Multikulti der vergangenen Jahre (Jahrzehnte) und Englischsingen im Kiga hat es sich naemlich noch nicht verinnerlicht, das da ausserhalb unserer Haustuer Fremde leben, mit denen es sich durchaus lohnen koennte, in Kontakt zu treten. Es gibt noch viel Misstrauen oder vielleicht einfach Scheu; ich weiss auch nicht...
Immer wieder probieren, und am besten durch etwas, von dem die anderen profitieren koennen - etwa zu einem typisch spanischen Fest einladen oder sonst ein Thema, zu dem es allen Gruppen einfach faellt, Zugang zu finden und ein Gespraech beginnen koennen, bei dem sie sich auf sicherem Boden fuehlen (z.B. Essen ist immer wieder gut, einen Spezialitaetenabend oder aehnliches).

Ups, sorry - das wurde jetzt sehr lang!
LG Katia

 
Unten die bisherigen Antworten. Sie befinden sich in dem Beitrag mit dem grünen Pfeil.
Die letzten 10 Beiträge im Forum Mehrsprachig aufwachsen
Mobile Ansicht

Impressum Über uns Neutralitätsversprechen Mediadaten Nutzungsbedingungen Datenschutz Forenarchiv

© Copyright 1998-2024 by USMedia.   Alle Rechte vorbehalten.