Frage: Paracetamol - gefährlich in der Schwangerschaft?

Sehr geehrter Hr. Dr. PAULUS, aufgrund einer Rachenentzündung hat mir der HNO für 3 Tage 2 x tgl. PARACETAMOL 500mg verschrieben. Jetzt habe ich in einem Forum gelesen, dass mittlerweile vor der Einnahme von PARACETAMOL in der Schwangerschaft gewarnt wird. http://www.schmerzklinik.de/2011/01/20/paracetamol-aktuelle-warnung-vor-der-einnahme-in-der-schwangerschaft/ Ich bin total verunsichert und traue mich nicht die Tabletten zu nehmen, da ich meinem Baby nicht schaden möchte. Ist an der Studie etwas drann? Falls ja, hoffe ich, dass meine Rachenentzündung auch mit Tantum Verde verschwindet, denn Schmerzen und Fieber habe ich Gott sei Dank nicht. Paracetamol wurde mir zur Entzündungshemmung verschrieben, wovon ich im Beipacktext gar nichts gelesen habe. Sind Paracetamol nicht entzündungshemmend? Was gibt es für Alternativen? Ich bin in der 30. SSW. Danke für Ihre Antwort. MfG Anamorana

von Anamorana am 20.07.2012, 16:27



Antwort auf: Paracetamol - gefährlich in der Schwangerschaft?

Paracetamol galt bislang als Analgetikum und Antipyretikum der 1.Wahl in allen Phasen der Schwangerschaft (3-4 x 500 mg pro Tag). Seit Jahrzehnten wird Paracetamol als Schmerzmittel erster Wahl in Schwangerschaft und Stillzeit eingesetzt (Black & Hill 2003). Ein erhöhtes Risiko für kongenitale Anomalien wurde bislang nach mütterlicher Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft nicht angenommen. Neuere retrospektive Studien vermuten einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol und kindlichem Asthma bzw. Hodenhochstand (Kryptorchismus). Inwieweit mit diesen Studien eine Kausalität nachgewiesen werden kann, ist kritisch zu hinterfragen. Paracetamol entfaltet seine Wirkung wohl hauptsächlich durch eine Prostaglandinsynthesehemmung im zentralen Nervensystem. In Tierversuchen mit Mäusen (Wright 1967, Reel et al 1992) und Ratten (Burdan 2002, 2003) zeigten sich keine fruchtschädigenden Effekte. Lediglich hohe Paracetamol-Dosen führen bei Ratten und Mäusen zu Einschränkungen der Spermiogenese und Hodenatrophie (Jaqueson et al 1984, Boyd 1970, Placke et al 1987, Wiger et al 1995). Eine prospektive Studie zum Einsatz von Analgetika in der Schwangerschaft fand eine erhöhte Abortrate unter NSAID, nicht aber unter Paracetamol (Li et al 2003). Zahlreiche Fall-Kontroll-Studien ergaben keine Hinweise auf ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nach Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft (Heinonen et al 1977, Thulstrup et al 1999, Pastore et al 1999, Cleves et al 2004, Werler et al 2003, Rebordosa et al 2008). Nach Anwendung von Paracetamol im ersten Trimenon beobachtete man bei den Nachkommen von 697 Schwangeren keine Zunahme von Fehlbildungen (Aselton et ak 1985). Unter 538 Kindern mit Neuralrohrdefekten ergab sich kein Zusammenhang mit einer Paracetamol-Einnahme im ersten Trimenon (Shaw et al 1998). Eine Fall-Kontroll-Studie im Rahmen der National Birth Defects Prevention Study in den USA zeigte auf der Basis von 11.610 Fällen keinen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft und kongenitalen Anomalien. Bei Applikation von Paracetamol wegen Fiebers bzw. Infektionen in der Frühschwangerschaft sank vielmehr das Risiko für Neuralrohrdefekte, Anotie / Mikrotie, Lippenspalten und Gastroschisis (Feldkamp et al 2010). Selbst nach Überdosen von Paracetamol registrierte man in 300 Schwangerschaften keinen Anstieg der Fehlbildungsrate (McElhatton et al 1997). Eine Evaluation der Danish National Birth Cohort (Jensen et al 2010) berichtet von einem Zusammenhang zwischen der Gabe von Paracetamol im ersten bzw. zweiten Trimenon und der Diagnose Kryptorchismus bei den Nachkommen, allerdings mit einem statistisch grenzwertigen Resultat (adjusted hazard ratio 1,33, 95%-Konfidenzintervall 1,00 – 1,77). Insbesondere in der kritischen Phase zwischen SSW 9 und SSW 14 beobachtete man kein erhöhtes Risiko. In diesem Zeitraum wäre die größte Empfindlichkeit für Einflüsse auf die embryonale Androgenproduktion zu erwarten. Ein Zusammenhang mit der Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) oder Ibuprofen ließ sich in keiner Phase der Schwangerschaft erkennen. Eine weitere retrospektive Analyse von dänischen und finnischen Schwangerschaften (Kristensen et al 2011) postuliert einen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Paracetamol im zweiten, nicht aber im ersten Trimenon und der Entwicklung eines Kryptorchismus (adjusted OR 2,78; 95%-Konfidenzintervall 1,13 - 6,84). Diese Studie stellte auch einen entsprechenden Zusammenhang zur Einnahme von ASS, nicht jedoch Ibuprofen, her. In der finnischen Teilpopulation der Studie fehlte jeglicher Anhaltspunkt für einen Anstieg des Kryptorchismus-Risikos nach mütterlicher Medikation mit Paracetamol, ASS oder Ibuprofen. Die Angaben zur Arzneimittelexposition in der Schwangerschaft basieren auf einem Interview der Mütter im letzten Trimenon, nicht auf prospektiv erhobenen Daten. Eine signifikante Zunahme von Kryptorchismus wurde in dieser Studie nach Einnahme von mehr als einem milden Analgetikum (ASS, Ibuprofen, Paracetamol) in der dänischen Teilpopulation (adjusted OR 7,55; 95%-Konfidenzintervall 1,94 – 29,3), nach Anwendung von ASS im ersten Trimenon (adjusted OR 5,60; 95%-Konfidenzintervall 1,83 – 17,1) sowie im zweiten Trimenon (adjusted OR 3,76; 95%-Konfidenzintervall 1,15 – 12,3), nach Einnahme von Ibuprofen im zweiten Trimenon (adjusted OR 4,69; 95%-Konfidenzintervall 1,1 – 19) und nach Applikation von analgetischen Kombinationspräparaten im zweiten Trimenon (adjusted OR 16,1; 95%-Konfidenzintervall 3,29 – 78,6) beobachtet. Das höchste Risiko ergab sich für die Therapie mit milden Analgetika über mehr als zwei Wochen im ersten bzw. zweiten Trimenon (adjusted OR 21,7; 95%-Konfidenzintervall 1,83 – 258). Die relativ geringen Fallzahlen dieser Studie führen zu sehr weiten Konfidenzintervallen: 27 von 42 Müttern mit betroffenen Söhnen (64,3%) gaben die Einnahme von milden Analgetika an, während dies nur bei 249 von 449 Müttern gesunder Jungen (55,5%) der Fall war (adjusted OR 1,43; 95%-Konfidenzintervall 0,73 – 2,79). Eine statistische Signifikanz im Gesamtkollektiv fand sich für die Nicht-Opioid-Analgetika insgesamt nicht. Zur Untermauerung ihrer Hypothese eines antiandrogenen Effektes von Paracetamol auf die fetale Entwicklung präsentierten die Autoren ein Tierexperiment an Ratten: Unter hohen Paracetamol-Dosen von 250 mg/kg/d verringerte sich dabei die anogenitale Distanz bei den männlichen Nachkommen um 9%. Widersprüchliche Aussagen existieren auch zur Auslösung von kindlichem Asthma durch intrauterine Exposition mit Paracetamol. Während Studien aus Großbritannien (Shaheen et al 2002, 2005), Singapur (Koniman et al 2007), Dänemark (Rebordosa et al 2008), Spanien (Garcia-Marcos et al 2008) und den USA (Persky et al 2008, Perzanowski et al 2010) einen Zusammenhang nahelegen, geht eine weitere amerikanische Studie von einem protektiven Effekt aus (Kang et al 2009). Die Schädigung des respiratorischen Epithels durch Paracetamol soll auf einem oxidativen Effekt beruhen. Da das respiratorische Epithel mit zunehmender Schwangerschaftsdauer durch entsprechende Differenzierung empfindlicher wird, sollte eine Schädigung bevorzugt im letzten Trimenon auftreten. Die dänische Studie beobachtet hingegen einen Effekt bevorzugt im ersten Trimenon (Rebordosa et al 2008). Selbstverständlich sollte eine Medikamentenanwendung in der Schwangerschaft grundsätzlich nur unter strenger Indikationsstellung erfolgen. Dies gilt auch für die Anwendung milder Analgetika. Angesichts der sehr inhomogenen Datenlage erscheint es jedoch nicht angebracht, die Einnahme von Paracetamol als Auslöser für eine allgemeine Verschlechterung der Spermienqualität in den letzten Jahrzehnten verantwortlich zu machen. Unser Beratungs- und Pharmakovigilanzzentrum beobachtet seit über 30 Jahren die Anwendung von Medikamenten in Schwangerschaft und Stillzeit. Ein Therapieverzicht oder ein Wechsel auf unerprobtere Alternativen könnte nach der aktuellen Datenlage zu noch schwerwiegenderen Komplikationen führen. Daher sollten diese vorläufigen Studienergebnissen Anlass zu umfangreicheren Untersuchungen geben, nicht aber durch massive Warnungen Panik bei den betroffenen Schwangeren auslösen. Wenn nötig, dürfen Sie in der aktuellen Phase der Schwangerschaft durchaus Paracetamol anwenden. Allerdings ist der Wirkstoff nur schmerzlindernd und fiebersenkend, nicht entzündungshemmend. Bei Benzydamin (Tantum verde) handelt es sich um eine entzündungshemmende Substanz, die zur Lokalbehandlung bei Entzündungen des Mund- und Rachenraumes benutzt wird. Vorbehalte gegen die Anwendung von Benzydamin in Form einer Gurgellösung in der Schwangerschaft bestehen nicht.

von Dr. Wolfgang Paulus am 24.07.2012



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