Sehr geehrter Dr. Paulus,
vor 3 Jahren wurde ich aus pathologischen Gründen an der Nase operiert (Septumplastik und Fensterung). Seitdem verwende ich gerade in der kälteren Jahreszeit häufig das Coldastop-Nasenöl. So leider auch in Unwissenheit einer möglichen fruchtschädigenden Wirkung in der 5. und 6. SSW. Über einen Zeitraum von ca. 7-8 Tagen habe ich in jeweils 1-2 Tagesdosen die Gesamtmenge von ca. 4 ml verbraucht (entsprechend 60.000 IE laut Packunsgbeilage), was umgerechnet auf die Einzeldosis bzw. den Durchschnittswert eine Überschreitung der Höchstmenge laut Hersteller bedeutet. Nun habe selbstverständlich direkt das Nasenöl abgesetzt, bin aber sehr beunruhigt hinsichtlich der teratogenen Wirkungsmöglichkeit und hierzu ein paar konkrete Fragen:
- Wie sind vor dem Hintergrund der von mir genommen Menge Risken einzuschätzen?
- Gibt es Studien, aus denen ein Grenzwert (Höchstmenge statt Bedarfsmenge) oder eine Wahrscheinlichkeit teratogener Wirkungen hervorgeht?
- Kann ich das Retinol (welches doch noch in der Leber "zwischengespeichert" wird) antidotieren?
- Wieviel / welcher Anteil des über die Nasenschleimhaut aufgenommenen Retinols geht tatsächlich in die Blutbahn über?
- Die Höchstmenge für Retinol ist grds. ja auf ca. 3 mg oder 10.000 IE festgelegt, während der Bedarf bei 0,8 - 1,1 mg liegt. Ich habe mit der Nahrung tgl. ca. 0,5 mg Retinol über Eier, Milch, Butter und Käse aufgenommen. Ist dies zuzurechnen und erhöht damit das Risiko oder geht es in den Empfehlungen/Richtlinbien um reine Supplemente?
- Können Sie mir sagen, wann ich über welche Tests (Sonographie, Serum, etc.) herausfinden kann, ob eine teratogene Wirkung stattgefunden hat?
Herzlichen Dank für Ihre Antworten!
Ich wünsche Ihnen einen guten Start ins Jahr 2011!
Grüße, Sonnenmone
Mitglied inaktiv - 31.12.2010, 11:33
Antwort auf:
Coldastop Nasenöl in 6. SSW - Grenzwert teratogene Wirkung
Mehr als 10.000 IE Vitamin A pro Tag sollten in der Schwangerschaft längerfristig nicht eingenommen werden. Überdosen von Vitamin A und seinen Abkömmlingen sollten vor allem im ersten Schwangerschaftsdrittel vermieden werden, da sonst Schäden in verschiedenen Organsystemen (zentrales Nervensystem, Gesicht usw.) ausgelöst werden können
Nach Einnahme von über 25.000 IE Vitamin A wurden Anomalien beobachtet, die dem Retinoidsyndrom ähneln. Vor einer bedenkenlosen Einnahme solcher Vitaminpräparate ist zu warnen. Mehr als 10.000 IE Vitamin A pro Tag sollten in der Schwangerschaft längerfristig nicht eingenommen werden.
Unter dem Retinoidsyndrom werden folgende Stigmata zusammengefasst:
· Störungen der Gesichts- und Gaumenbildung
· Fehlanlage der Ohren
· Defekte im Herz-Kreislauf-System
· ZNS-Defekte mit neurologischen Ausfällen, Hydrozephalus
· Schäden an Augen und Ohren
Die Bedenken gegen Vitamin A in der Schwangerschaft beruhen auf der embryotoxischen Wirkung von Retinoinsäure und ihren Verwandten. Tretinoin verursacht einen Anstieg angeborener Anomalien bei vielen Tierarten. Das Aknemittel Isotretinoin wird für Aborte und Fehlbildungen bei den Nachkommen exponierter Mütter verantwortlich gemacht.
Retinoide verursachen bei Labortieren Störungen von ZNS, Extremitäten und kardiovaskulärem System (Cohlan 1954, Geelen 1979, Fantel et al 1977, Kamm 1982, Rosa 1986, DiGiacomo et al 1992) sowie Verhaltensstörungen (Saillenfait 1988). Bei Tierversuchen mit Affen waren Dosen von 20.000 I.E erforderlich, um teratogene Effekte auszulösen (Hendrickx et al 1997).
Beim Menschen liegen zahlreiche unkontrollierte Fallberichte zu Fehlbildungen nach Vitamin-A-Einnahme vor (Bernhardt & Dorsey 1974, Rosa 1986, Pi-lotti & Scorta 1965, Stange et al 1978, Van Lennap et al 1985, Rosa et al 1986, Evans & Hickey-Dwyer 1991). Beispielsweise wurden Harnwegsanomalien nach täglicher Einnahme von 25.000 bzw. 40.000 I.E. (Bernhardt & Dorsey 1974, Pilotti & Scorta 1965 ) und ZNS-Anomalien nach 150.000 I:E beobachtet (Van Lennap et al 1985, Rosa et al 1986). Anomalien von Gesicht, Gaumen, Herz und Ohren wurden nach täglicher Vitamin A - Einnahme von 25.000 I.E. und mehr registriert (Rosa 1986, Evans & Hickey-Dwyer 1991).
Eine kontrollierte Studie mit mehr als 22.000 Schwangeren geht von einem erhöhten Fehlbildungsrisiko bei einer Tagesdosis über 10.000 I.E. aus (Rothman et al 1995). Die Fehlbildungsrate bei Dosen ab 10.000 I.E. lag gegenüber der Gruppe mit maximal 5.000 I.E. um den Faktor 2,4 höher. Die Schlussfolgerungen dieser Studie sind jedoch umstritten. Weitere epidemiologische Studien konnten diese Annahmen nicht bestätigen (Shaw et al 1996, Werler et al 1996, Mills et al 1997; Khoury et al 1996).
Das European Network of Teratology Information Services erfasste die Nach-kommen von 394 Schwangeren nach Einnahme von mehr als 10.000 I.E. Vitamin A (Mastroiacovo et al 1999). Ein Anstieg der Fehlbildungsrate ließ sich nicht feststellen. Selbst nach Exposition mit Dosen über 50.000 I.E. in der Frühschwangerschaft fand sich bei 120 betroffenen Kindern keine Zunahme kongenitaler Anomalien.
Eine Fall-Kontroll-Studie zu Kindern mit Neuralrohrdefekten ergab keinen Zusammenhang mit der Vitamin-A-Aufnahme (Shaw et al 1997). Die Baltimore-Washington Heart Study (Botto et al 2001) fand ein erhöhtes Risiko für eine Transposition der großen Gefäße nach täglicher Einnahme von 10.000 I.E. Vitamin A.
Frauen mit Kinderwunsch sollten zumindest keine Tagesdosen von Vitamin A über 25.000 I.E. verabreicht werden (Rosa et al 1986). Zwei kleinere epidemiologische Erhebungen legen den Schluss nahe, dass bei Tagesdosen unter 10.000 I.E. keine fruchtschädigenden Effekte zu erwarten sind (Martinez-Frias & Salvador 1990; Dudas et Czeizel 1992). Die Häufigkeit angeborener Anomalien war bei 1.203 Kindern nach kontinuierlicher Exposition mit einer Vitamin-A-Tagesdosis von 6.000 I.E. nicht erhöht. Während noch 1987 eine Tagesdosis von maximal 8.000 I.E. angeraten wurde (Teratology Society 1987), wurde die Empfehlung inzwischen auf 2.700 I.E. reduziert (National Research Council 1989).
Coldastop Nasenöl enthält pro ml Lösung 15.000 I.E. Vitamin A. Der Hersteller rät daher, in der Schwangerschaft eine Tagesdosis von max. 2 Tropfen pro Nasenöffnung nicht zu überschreiten.
Natürlich ist es ratsam, kindliche Strukturanomalien durch Ultraschallfeindiagnostik (speziell um die 20.SSW) auszuschließen. Leider lassen sich damit jedoch funktionelle Einschränkungen (z. B. am zentralen Nervensystem) nicht unbedingt ausschließen.
Wenn Sie jedoch 4 ml Coldastop verteilt über ca. 8 Tage angewandt haben, dürften Sie pro Tag durchschnittlich nur ca. 7.500 I.E. aufgenommen haben. Diese Dosis ist bei vorübergehender Anwendung in der Frühschwangerschaft nicht als bedenklich einzustufen.
von
Dr. Wolfgang Paulus
am 31.12.2010
Antwort auf:
Coldastop Nasenöl in 6. SSW - Grenzwert teratogene Wirkung
Zunächst einmal ein ganz herzliches Dankschön für Ihre umfassende Antwort und ein gutes neues Jahr für Sie, Herr Dr. Paulus!
Nachdem Sie die Einnahme als grds. nicht bedenklich eingestuft haben und ich mir die von Ihnen angegebenen Studien (zumindest die Abstracts und Diskussionen) über google scholar selbst noch angesehen habe, bin ich überwiegend beruhigt. Es gab zwar vermutlich ca. 2 Tage, an denen meine Tagesdosis mehr als 10.000 IE betrug (+ Vitamin A aus tierischen Lebensmitteln), allerdings hoffe ich, dass dies nicht direkt zu einer Schädigung führte. Ich werde über Spezialdiagnostik dann in der 12. und 20. SSW mögliche Fehlbildungen hoffentlich ausschließen können.
Zwei kurze Fragen habe ich allerdings noch:
1. Wird Retinol über die Nasenschleimhaut besser oder schlechter resorbiert als oral eingenommen über den Verdauungstrakt?
2. In der Packungsbeilage bzw. der pharmakologischen Fachinformation von Coldastop steht, dass 33 Tropfen des Nasenöls 1 ml ergeben, was 8,25 mg RetinolPALMITAT und damit 15.000 IE entspricht. Widersprüchlich (!?) hierzu steht bei den Informationen zu Schwangerschaft und Stillzeit, dass die maximale Tagesdosis (2x2 Tropfen je Nasenloch = 8 Tr. gesamt) 2,4 mg Retinol-ÄQUIVALENTE und damit 8.000 IE beträgt. Habe ich hier einen Denk- oder Rechenfehler? Ist nicht das Palmitat ein Äquivalent? Ich habe bereits in meiner Apotheke nachgefragt, aber die konnten mir trotz Fachbuchrecherche hierbei nicht weiterhelfen.
Vielen Dank nochmal und beste Grüße, Sonnenmone
Mitglied inaktiv - 05.01.2011, 22:19
Antwort auf:
Coldastop Nasenöl in 6. SSW - Grenzwert teratogene Wirkung
Nachtrag:
Laut genereller Umrechnung von Retinol entspricht doch ein mg ca. 3.300 IE bzw. 10.000 IE = 3 mg.
Auch das passt nun gar nicht zu den bei Coldastop angegebenen Werten.
Mitglied inaktiv - 05.01.2011, 22:45
Antwort auf:
Coldastop Nasenöl in 6. SSW - Grenzwert teratogene Wirkung
Die Berechnung der Vitamin A - Dosis in I.E. hängt von der jeweils angege-benen chemischen Retinolverbindung ab:
· Retinol: 1 mg entspricht 3.333 I.E.
· Retinolacetat: 1 mg entspricht 2.900 I.E.
· Retinolpalmitat: 1 mg entspricht 1.800 I.E.
Das passt durchaus zu den Angaben in der Packungsbeilage von Coldastop Nasenöl.
von
Dr. Wolfgang Paulus
am 06.01.2011
Antwort auf:
Coldastop Nasenöl in 6. SSW - Grenzwert teratogene Wirkung
Vergleichende Untersuchungen zur Aufnahme von Retinol bei nasaler bzw. oraler Applikation liegen nicht vor. Höher als bei oraler Anwendung dürfte die Aufnahme der Substanz jedoch nicht liegen.
von
Dr. Wolfgang Paulus
am 06.01.2011