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Wie gelingt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Frühe Fremdbetreuung, Kinderkrippe und Kindertagesstätte.

Liebe Eltern,



es gibt - nicht nur hier im Forum - ein großes Missverständnis bei der Beantwortung der Frage, ob der Anspruch, gleichzeitig einer Erwerbsarbeit nachzugehen und eine gute Mutter zu sein, grundsätzlich zu erfüllen ist oder nicht. Das Missverständnis besteht darin, dass einige Mütter glauben, die Auffassung derjenigen Fachleute oder Wissenschaftler, die eine solche Vereinbarkeit eher skeptisch betrachten oder darin geradezu einen Widerspruch sehen, liefe auch gleich auf eine vollständige Ablehnung hinaus. Das ist nicht der Fall.

Aber es wirft eine neue Frage auf. Wenn Vereinbarkeit angestrebt werden soll, wie müssen dann die Lebensverhältnisse in der Gesellschaft gestaltet sein, damit Familie und Beruf in ihrer parallelen Ausübung nicht zum Schaden der Kinder gereichen. In den folgenden Ausführungen will ich mich damit beschäftigen, wie dieser Anspruch verwirklicht werden kann, und trotz einiger Entbehrungen für die Kinder etwas Gutes für die Familie dabei herauskommen kann.

Die Unentschiedenheit der Kritiker in der Sachfrage macht die öffentliche Diskussion eher komplizierter als klarer, weil jetzt die Feindbildfunktion nicht mehr so einfach gelingt. Also werden diese Kritiker willkürlich einfach zu Gegnern gestempelt. Einen größeren Fehler kann man dabei jedoch nicht begehen. Denn die Darstellung einer kritisch hinterfragenden Gruppierung in der Bevölkerung als Feind behindert jede fruchtbare Diskussion.

Ich will im folgenden Text also auch versuchen, die Skepsis der Fachleute und auch vieler engagierter Laien zu begründen, vor allem aber gleichzeitig erklären, dass frühe Fremdbetreuung, und um die geht es hier in der Hauptsache, auch sinnvoll sein kann und für die Kinder unschädlich. Dabei komme ich zugleich auf den berechtigten Anspruch der Mütter zu sprechen, ihre berufliche Tätigkeit mit einem gesunden Familienleben zu verbinden und damit die Berufstätigkeit beider Eltern zu ermöglichen.
 

a) Frühe Fremdbetreuung als Experiment mit Kindern?



Ich spreche bewusst von „den Skeptikern“, denn bei der heutigen realen Faktenlage der mit einem weitgehenden Vollzeitjob beider Eltern unvermeidlich verbundenen frühen Fremdbetreuung der Kinder, ist eine Empfehlung für diese Betreuungsform nicht so einfach auszusprechen. Man darf nicht vergessen, dass hier eigentlich eine Art Experiment gestartet wird, eines, das durch so gut wie keine gültigen Studien abgesichert ist und das sozialpolitisch bei problematischer Kassenlage im Moment weitgehend nur durchgeboxt wird. Fehlende gültige oder valide Studien heißt nun aber keinesfalls, dass es ausreicht, einen Blick in andere Länder zu werfen und auf deren Erfahrungen zu vertrauen. Man muss sich auch die Mühe machen, im eigenen Land unter den landesspezifischen Bedingungen zu untersuchen, ob das Vorhaben auf Dauer unschädlich ist für die kindliche Entwicklung oder nicht. Ähnliche Verhältnisse liegen im Umgang mit der Ökologie vor, bei der das Vorbild Ausland auch nicht unkritisch übernommen wird.

Zwar gibt es in einigen dieser Länder tatächlich Studien, sogenannte Längsschnittstudien, die die Entwicklung der Kinder aus früher Fremdbetreuung bis ins Jugendalter begleiten (z.B. die NICHD-Studie in den USA). Und sogar in Deutschland gibt es hierzu Studien, z.B. die Mannheimer Längsschnittstudie. Aber die Aussagekraft all dieser Studien ist beschränkt, denn die Kriterien der Bindungstheorie sind bislang nirgendwo eingearbeitet. Dennoch zeigen diese Studien eines übereinstimmend; ihre Ergebnisse sind, was die Entwicklung der Kinder angeht, nicht unbedenklich. Weiter unten komme ich darauf wieder zu sprechen. Dieses Wissen veranlasst mich dazu zu sagen, wir machen ein Experiment mit unseren eigenen Kindern, der nächsten Generation also. Damit gehen wir ein hohes Wagnis ein!

Ich möchte diesen Standpunkt noch ein wenig präzisieren: Gute oder schlechte Verhältnisse in anderen Ländern in was für Dingen auch immer gibt es bekannterweise auf unserem Globus reichlich. Ein so hoch zivilisiertes und demokratisiertes Land, wie das unsrige, das viel Wert auf Kultur, Freiheit und Menschrechte legt, tut gut daran, schwer überprüfbare Modelle anderer Länder nicht vorschnell zu übernehmen. Ziehen wir vergleichbare Vorgänge heran: Von Land zu Land verschiedene Ansichten oder Vorschriften gibt es für Nahrungsmittel, für die Verwendung von Medikamenten, für den Umgang mit Energie und jeder anderen Ressource und neuerdings sogar für die Nutzung von Atomkraft. Da wird dann aber nicht einfach etwas von einem anderen Land übernommen, weil es dort als gut und richtig bezeichnet wird. Alles wird hier in unserem Land noch einmal hinterfragt und einer genauen Prüfung unterzogen. Aber bei Kindern wird nicht weiter nachgefragt. Da heißt es schlicht, die anderen machen es doch auch.
 

b) Der politische Aspekt der frühen Fremdbetreuung



Was das Heranziehen anderer Länder betrifft, gibt es Folgendes einzuwenden: Schon allein auf unserem eigenen Territorium lehrt die Vergangenheit, wie schwierig das mit der frühen Fremdbetreuung ist. Das von mir angesprochene Land auf unserem eigenen Boden hieß einmal Deutsche Demokratische! Republik. Es existiert nicht mehr. Vielleicht deswegen, weil in diesem Land trotz des Begriffes Demokratie in der Staatsbezeichnung das Volk wenig Rechte besaß und die Kinder am allerwenigsten. In den kapitalistischen Ländern wird allerdings auch enttäuschend wenig nach dem Recht und den Interessen der Kinder gefragt. Da müssen z.T. die Kinderrechte der Menschenrechtskonvention überhaupt erst einmal anerkannt und in nationalen Gesetzen verankert werden. Aber selbst wenn das geschehen ist, wird einfach nicht mehr weiter darüber nachgedacht, was eigentlich das Kind möchte und welches Recht das Kind besitzt, eine freie und seelisch gesunde Kindheit zu erleben.

Nun ist es ja nicht so, dass Familie und Job oder Beruf definitiv unvereinbar wären. Aber die strikte Trennung von Arbeitsplatz und Familie und die Unterbringung der Kinder in Gruppen, die von oft unzureichend geschultem Personal (das ist noch einmal ein Thema für sich) während der Arbeitszeit der Eltern betreut werden, ist zunächst einmal nicht mehr als nur die billigste Lösung. Nebenbei hat sie den unausgesprochenen Vorteil für den Staat, die Kinder gleich von Kindesbeinen an auf seine Ideologie, sein System einschwören zu können. Was das bedeuten kann, dafür brauchen wir nicht bis ins ferne Nordkorea zu schauen, wir müssen uns eben nur an unsere eigene Vergangenheit erinnern.

Erinnern müssen wir uns also auch an die Zeit vor sechzig bis siebzig Jahren, als der Sozialismus noch mit dem Begriff „National“ verknüpfte wurde. Also ob Sozialismus, Nazismus oder jetzt Turbokapitalismus, die Methode ist immer dieselbe, der Staat verbreitet die Ideologie von einer zwingenden Notwendigkeit, alle Arbeitskräfte in den Markt zu schicken und deren Kinder, die den Fortbestand der Gesellschaft sichern müssen, in staatliche gelenkten Kinderbetreuungsstätten großzuziehen. Ich für meinen Teil glaube nicht daran, dass in diesem Erziehungssystem das Wohl der Kinder - wie behauptet - im Vordergrund stünde.

Damit nun keiner im System sich dabei gegängelt und missbraucht fühlt, werden ideologisch aufgerüstete Parolen ausgegeben, die die gewünschte Vollbeschäftigung als emanzipatorischen Gemeinschaftsakt der Gesellschaft hochstilisieren und jede Form von individueller Vorstellung über Erziehung in der Familie als rückständig brandmarken. Politische Ökonomie geht hier über psychosoziale Ökologie. Die geschickte Verbindung mit der angeblichen Bildung des Kindes von Anfang an, für deren offensichtliche Instrumentalisierung die Migrationskinder als erschreckendes Beispiel von Bildungsferne Pate stehen müssen, ist nur eine der Methoden von Meinungsbeeinflussung des Volkes.

Wie denn, fragt sich der aufgeklärte Bürger, waren die früheren Generationen gebildet, die alle erst mit 4 Jahren in den Kindergarten kamen und manche von ihnen überhaupt nicht. Waren die großen Denker in unserem Volk, die Künstler, Handwerker und alle klugen Leute in Wirklichkeit nur bildungsferne Dummköpfe und wir haben es nicht gemerkt? Und was ist mit unserer eigenen Generation, die jetzt die Geschicke des Landes lenkt und deren Vertreter auch alle erst mit 4 Jahren in den Kindergarten gegangen sind? Sind wir auch ungebildete Dummköpfe? Oder dürfen wir nicht vielmehr auf ein Privileg zurückblicken, unsere ersten Lebensjahre in der Familie verbracht zu haben mit allen Angeboten zur Bildung, die ihr zur Verfügung standen?

Wer an dieser Stelle in der Politik am lautesten schreit, hat wahrscheinlich zu wenig in seine eigene Vergangenheit geschaut. Und dabei ist ihm dann auch entgangen, was ein Kind als allererstes braucht, nämlich Bindungen und ein zuverlässiges Elternhaus, das ihm Vorbild ist und seine individuelle Entwicklung fördert.
 

c) Eine neue Kinderpsychologie weist den Weg



Um das zuverlässige Elternhaus nun beurteilen zu können, kennt man seit ungefähr zwanzig Jahren die Erkenntnisse der Bindungstheorie. Diese sind, was die psychosoziale Entwicklung von Kindern angeht, so etwas wie ein Grundsatzkatalog. Und so wie sich vor gut hundert Jahren die Psychologie und Psychiatrie aufgemacht haben, die Gesetze der menschlichen Seele, soweit sie zu verstehen sind, zu erkunden und in das Leben der Gesellschaft hineinzutragen, immer in der besten Absicht, die Grausamkeiten der seelisch weitgehend blinden Jahrhunderte davor ein bisschen menschlicher zu gestalten, so hat sich vor gut fünfzig Jahren die Bindungstheorie aufgemacht, die Irrtümer und Belastungen der frühen Kindheit aufzuklären und fortan zu verhindern.

Wer also heute in den seelischen Entwicklungsprozess eines Kindes so massiv eingreifen möchte, dass er Kinder reihenweise in Gruppen vom ersten Lebensjahr erziehen lassen will, und westliche Industrienationen sind gerade dabei genau das zu fordern, der muss sich erst einmal sehr detailliert mit den Entwicklungsprozessen des Menschen in der frühen Kindheit auseinandersetzen. Was beim Finanzgebaren und der Energiepolitik von Staaten an Kenntnissen erwartet wird, dürfte doch in der Behandlung von Menschen nicht zuviel verlangt sein! Bei körperlicher Gesundheit wäre das überhaupt keine Frage, denn welche staatliche Institution würde an seine Bürger von der Verträglichkeit her noch kritische oder über das Haltbarkeitsdatum hinaus gelagerte Lebensmittel in den Umlauf bringen lassen? Welcher Staat würde für den Menschen gefährliche oder die Umwelt belastende Energieerzeuger heute noch genehmigen? Der Staat beansprucht doch für sich die Schutzfunktion für seine Bürger auszuüben; und was sind die Kinder?

Wie gesagt, dass frühe Fremdbetreuung in anderen Ländern seit Jahren gang und gäbe ist, ist kein Argument für unseren Staat, sie ungeprüft für unsere Kinder zu übernehmen. Natürlich gibt es auch in der frühen Fremdbetreuung Bindungen, aber diese sind viel weniger stabil als in der Familie, sind zumeist von kurzer Dauer, und vor allem entstehen sie zu Menschen, die nicht mehr Mutter oder Vater sind. Alle Eltern, die ihre Kinder früh und vor allem langwierig weggeben, müssen damit rechnen, auf Dauer nicht mehr als Eltern von ihren Kindern anerkannt zu werden. Zumindest gibt es starke Konkurrenz durch die öffentlichen Erziehungspersonen. Das ist eine schicksalhafte Entwicklung, für die es dann keine Umkehr mehr gibt.

Und jene schwach, viel und wechselnd gebundenen Kinder, die allesamt im Laufe ihres Lebens mehr oder weniger starke Bindungsprobleme entwickeln, weil sie keine ganz festen und über ihre gesamte Kindheit hinweg zuverlässigen Bezugspersonen mehr haben, sind vermehrt anfällig für aggressive Verhaltensweisen mit Störungen im Sozialverhalten sowie für emotionale Störungen mit Angsterkrankungen, Depressionen, Sucht und soziale Ängste. Dieses Ergebnis jedenfalls fördern alle bisher durchgeführten Längsschnittstudien zutage.
Anfällig sind diese Kinder darüber hinaus für die Gruppen- und Bandenbildung in der Jugend, wo sie dann von Verführern aller Art leichtens aufgelesen werden. Ist die Pubertät schon für gut und sicher gebundene Kinder eine problematische Phase im Zwiespalt zwischen noch bestehender Bindung an zu Hause und Neuorientierung in freiwillig ausgesuchter Gruppenbindung, um aus dem Elternhaus in die Gesellschaft herauszutreten, ist dieser Prozess für bindungsschwache Kinder ein reines Herausstolpern aus allen gelösten Bindungen verbunden mit hoher Sturzgefahr.
 

d) Die Not der Eltern mit der frühen Fremdbetreuung



Aber auch die Eltern und nicht nur die Kinder haben bei der Forderung des Systems nach früher Fremdbetreuung Probleme, Probleme, die ihnen oft gar nicht oder erst zu spät bewusst werden. Das allererste ist das, dass sie ihre Kinder weggeben müssen für eine Sache, die ihnen im Grunde gar nicht lieb ist. Im tiefsten Grunde ihres Herzens spüren sie, dass es ihren Kindern nicht gut tut, fort von Mutter und Vater von fremden Personen über große Teile des Tages erzogen zu werden. Sie spüren die Veränderungen ihrer Kinder zu Hause und sind über verschiedene Verhaltensweisen regelrecht erschrocken. Diese Verhaltensweisen zeigen sich zuerst in Entwicklungskrisen und Beziehungsstörungen. Das ist nicht immer so, aber überproportional häufig. Will man die Störungen reparieren, ist ein hoher familienpsychologischer Aufwand nötig. Also lässt man es so laufen und hofft auf spontane Besserung. Das Zauberwort dazu heißt: das Kind wird sich schon anpassen. Das jedenfalls propagiert die zugehörige Pädagogik. Aber diese Anpassung hat ihren hohen Preis, den letztendlich das Kind zahlt mit Veränderungen und Einschränkungen in seiner emotionalen, psychosozialen und letztlich auch kognitiven Entfaltung.

Das zweite Problem ist der Zwiespalt zwischen finanzieller Notwendigkeit des Doppelverdienertums und dem Bedürfnis nach einer intakten Familie. Weil das System beides gleichzeitig für unmöglich erklärt und statt einer Sowohl-als-auch-Lösung nur eine Entweder-oder-Lösung bietet, fügen die Menschen sich dem geforderten Trend nach Höherwertung des Berufs verglichen mit Hausarbeit und Kindererziehung und wählen den vorgezeichneten Weg: das Kind am Tage weggeben, damit beide Eltern arbeiten können. Erst abends dann gibt es die Familie wieder oder vielleicht noch am freien Wochenende. Irgendwann kommt dann das Gefühl einer Entfremdung von den eigenen Kindern auf. Und bei den Kinder kommt das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wer denn jetzt meine Mutter und wer mein Vater ist.

Mit dieser Feststellung gelange ich zu dem brandheißen Thema der Familie an sich. Es ist heutzutage inopportun, die Familie als den idealen Ort für das Großziehen von Kindern auszurufen. Allzu leicht zieht man sich in der Öffentlichkeit der Erwachsenen den Ruf einer Rückständigkeit zu. Bei den Kindern ist das selbstverständlich ganz anders, aber die fragt besser niemand. Insbesondere die aktuelle Politik ist geneigt, die Familie als soziales Auslaufmodell zu charakterisieren, weil sie als Hüterin ihres Systems sonst in Argumentationsschwierigkeiten geriete. Nicht zuletzt bietet die Familie eine Unüberschaubarkeit der individuellen Meinungsbildung, in einem demokratischen System eigentlich unabdingbare Grundlage, aber jetzt infrage gestellt.

In Wahrheit gibt es überhaupt keine klare Polarisierung zwischen der Familie und der Arbeit von Männern und Frauen bei gemeinschaftlicher Erziehung der Kinder. An diesem Punkt komme ich wieder auf das große Missverständnis zurück, von dem ich eingangs sprach. Biologisch gibt es grundsätzlich keine Alternative zur Familie, denn nur Mann und Frau können ein Kind zeugen, und sie haben die Aufgabe es gemeinsam großzuziehen. Die Familie ist der Biotop des Kindes. Gemeinschaftliches Verhalten und psychosoziale Kompetenz lernt der Mensch hauptsächlich in der Familie. Ob der Biotop gesund ist und Früchte tragend oder schlecht und verderblich, ist zunächst einmal eine zweite Frage. Denn an diesem biologischen Gesetz gibt es keinen Zweifel und die Triadik in der psychosozialen Entwicklung, erst Bindung, dann Loslösung und darauf folgend das autonome Selbst ist so unumstürzlich wie die Tatsache, dass sich die Erde um die Sonne dreht.

Ein Gesellschaftssystem, das in diesen biologischen und weiter gedacht auch den biopsychosozialen Prozess von oben herab eingreifen möchte, vorzugsweise damit es als System überleben kann, riskiert sein Scheitern auf dem Fuße. Dafür gibt es wie gezeigt Beispiele noch in der jüngsten Geschichte. Aber wie gut geschichtliche Beispiele korrigierend wirken und wie klug sich nachfolgende Generationen danach richten, ist ein eher trauriges Kapitel in der Menschheitsgeschichte. Es hat den Anschein, als müssten alle Fehler, zugegeben auf einem höheren Niveau, immer wieder neu gemacht werden, ausgehend von der überheblichen Haltung des jeweils herrschenden Systems, alles besser zu machen als es je gemacht worden ist. Diesem Irrtum erliegen nicht nur politische Gruppierungen, sondern die Regierungen selbst und ganze Systeme, offenbar unabhängig von ihrer gesellschaftstheoretischen Gesinnung. Es stünde uns zweifellos besser zu Gesicht, aus alten Fehlern zu lernen und keine neuen mehr zu begehen.
 

e) Das System Familie



Konkret gesprochen hat die Familie bei Säugetieren eine biologische Funktion und erfüllt einen existenziellen Auftrag. Menschspezifisch ist sie wegen der überhaus komplizierten emotionalen und psychosozialen Entwicklung der menschlichen Nachkommenschaft. Die Kompliziertheit besteht darin, dass das überaus intelligente biologische Wesen Mensch, anders als vielleicht zu erwarten, große Schwierigkeiten im Aufgehen in der Gemeinschaft der Individuen entwickelt. Denn die Intelligenz ist nicht zwangsläufig geartet, Sozialität über Eingenutz zu stellen. Vielmehr ist sie bestrebt, den eigenen Vorteil stets über die Unterordnung in der Gruppe zu setzen und sich wenn nötig rücksichtslos gegenüber der Gemeinschaft zu verhalten. Einzig die frühe Ausbildung sozial verträglicher Eigenschaften wie Empathie und Mitleid, Hineindenken in die Vorstellungswelt des Anderen und Ausbildung von Gewissen und Vernunft sind in der Lage, den angeborenen egozentristischen Akzent des Denkens zugunsten der Gesellschaft zu regulieren. Für den Erwerb dieser prosozialen Funktionen benötigt der Mensch aber unverzichtbar die Familie.

Für ein erfolgreiches und vor allem verträgliches Sozialverhalten müssen die notwendigen Funktionen im menschlichen Frontalhirn in das Selbstgefühl (die Vorstellung des eigenen sozialen Funktionierens) und in den Persönlichkeitskern als das Ich konstruktiv mit eingebaut werden. Das gelingt nur über die innerseelische Vereinnahmung beständig-stabiler und vorbildhafter Bezugspersonen insbesondere über die Identifikation mit anerkannten und geliebten Eltern. Mit fremden Bezugspersonen gelingt dieser Vorgang nur dann, wenn er extrem früh und unter Ausschluss von starken konkurrierenden Bezugspersonen stattfindet (z.B. bei der Adoption). Wie das geschieht, das lehrt die erweiterte Bindungstheorie. Es bedeutet, dass die intakte Familie jeder Fremdbetreuung in Gruppen frühpädagogisch deutlich überlegen ist. Vollständige Kollektiverziehung als alternative Erziehungsform hat in allen bisher dazu bekannten Systemen versagt.

Die Tatsache, dass heutzutage aus verschiedenen Gründen, die gesondert zu beleuchten wären, viele Familien vorzeitig auseinanderbrechen, ändert nichts am Prinzip. Das Leben der modernen Familien findet in großen Volksgemeinschaften statt, viel größer als jemals Völker gewesen sind. So ist es zwangsläufig extremen Belastungen ausgesetzt. Der Lebensalltag ist kompliziert geworden, das Beziehungsgefüge großen Irritationen ausgesetzt. Dazu kommt, dass eine strickte Trennung von Wohnbereich und Arbeitsplatz die Familien über viele Stunden am Tage auseinanderreißt. Überdies fordern die Berufe immer mehr Arbeitszeit und immer höheren Arbeitseinsatz. Dies sind die systemischen Voraussetzungen unserer Volkswirtschaften, die sich untereinander auch noch in einem hochdynamischen Konkurrenzprozess befinden. Das verschärft die Belastungen für den einzelenen Menschen weiterhin. Die Globalisierung des weltweit inzwischen weitgehend vereinheitlichten Wirtschaftssystems trägt noch einmal zusätzlich dazu bei. Die Familie als kleinste soziale Einheit wird darunter förmlich zerrieben.

Aber neben dieser weltpolitischen Bedrohung der Familie gibt es auch die hausgemachte, individualstaatliche. Da das Grundprinzip der Familie als entscheidender Raum des Wachstums für Kinder bekommt auf mehrfache Weise Risse. Durch die Entfernung des Menschen von der Natur, aus der erstammt, und auch von seiner eigenen Natur, die sein Funktionieren ausmacht, gehen wesentliche Verankerungen im seelischen Gefüge verloren. Für viele Menschen stellt sich die Familie nur mehr als ein das Selbst und die Persönlichkeit eingrenzender Ort dar. Die Vorstellung der Familie als Übertragungsort guter sozialer und kognitiver Eigenschaften von Eltern auf Kinder existiert so gut wie nicht mehr. Da heißt es schnell, dass ein Sich-stundenlang-beschäftigen mit dem eigenen Nachwuchs Verschwendung eigener Ressourcen und Fähigkeiten darstelle. Die Vorstellung einer biologischen Notwendigkeit, ja Pflicht, sein Kind seelisch gesund in die Gesellschaft zu führen, wird grundsätzlich infrage gestellt.

Mit der politischen Parole, alle potenziellen Arbeitskräfte auf den Markt schicken zu müssen und ihre Fähigkeiten zu nutzen, wird die Fähigkeit eben derselben Menschen, ihren Kindern emotional und sozial zu nutzen, abgesprochen. Auf der anderen Seite wird dann genau diese Fähigkeit, Kinder emotional und sozial zu versorgen, als Ausbildung an Fach- und Hochschulen wieder angeboten, freilich weit weg von aller praktischen Anschauung mit Kindern und quasi vom Reißbrett. Auf diese Weise wird das Großziehen der Kinder, das in der Familie auf natürliche Weise funktioniert, dann beruflich institutionalisiert mit einem emotional unverbundenen, weil nicht mit gewachsenem, Personal, das die angestammten Eltern ersetzen oder sogar verdrängen soll. Die so von der Erziehungsaufgabe zum Teil entbundenen Eltern können daraufhin in andere Berufe geschickt werden, wo man sie gesellschaftlich und sozialpolitisch besser gebrauchen kann. Im gleichen Atemzug sollen also Menschen, die zunächst einmal keinerlei Bindung zu ihren zukünftigen Zöglingen haben, die Eltern ersetzen, denen man die natürliche Bindung und Erziehungspflicht ausgeredet hat oder schlimmstenfalls noch durch wirtschaftliche Zwänge auseinandergerissen hat. Wie viel Humanismus hat eine solche Gesellschaft eigentlich noch zu bieten?
 

f) Ein Lösungsvorschlag für das entstandene Sozialproblem



Was wäre zu tun? Der politische Ruf lautet bekanntermaßen: baut die Krippen aus und verpflichtet Mütter und Väter in die Berufe. Anders wird unsere Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb der Märkte nicht mehr erfolgreich bleiben. Das notwenige Geld wird hierfür abgezweigt, wenn auch viel zu wenig. Abgesehen einmal von den vermutlich völlig falschen Anschauungen zu dieser Gegenüberstellung von globalen Märkten und sozialen Binnenverhältnissen wird die Frage nach der Menschlichkeit leichtfertig auf dem Altar der sozialen Marktwirtschaft geopfert. Die Menschlichkeit einer Gesellschaft bemessen wir doch, und darin sind sich alle Politiker einer aufgeklärten und säkularisierten Gesellschaft einig, an ihrem Umgang mit den schwächsten Mitgliedern. Es braucht nicht weiter begründet zu werden, dass die Kinder neben den sozialen Randgruppen diese schwächsten Mitglieder sind. Aber ihr Anliegen findet so gut wie kein Gehör oder wird in Anmaßung einer Beurteilungsfähigkeit ihrer Lebenswelt aus Erwachsenensicht unter den Tisch geredet. Es gibt noch ein Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft, denen ähnliches widerfährt, ich spreche von den Alten.

Die frühe Fremdbetreuung kann, wenn sie gelingen soll, nur eine Familien ergänzende Maßnahme sein für den Fall, dass einer der beiden Eltern oder sogar beide ihre Erziehungsaufgabe zu Hause nicht leisten können. Dies wäre die entscheidende Bedingung, die zu machen ist. Denn das Funktionieren der Volkswirtschaft auf einem System von Vollbeschäftigung der gegenwärtlichen Generation bei gleichzeitiger Fremderziehung der zukünftigen aufzubauen, ist menschlich und vermutlich auch wirtschaftlich ein viel zu großes Risiko. Wir dürfen ja nicht nur an die gerade arbeitsfähigen Menschen denken, sondern müssen vor allem auch an die nächste und übernächste Generation denken. Und was wissen wir über deren potenzielle Schädigung? Die neuesten Forschungsergebnisse der Epigenetik mit transgenerationalen Veränderungen des menschlichen Genoms durch Traumatisierung der vorangegangenen sollten uns eine Warnung sein. Fremdbetreuung kann also nur dann gelingen, wenn man grundsätzliche Einschränkungen macht und ihre Durchführung strengen Qualitätskriterien unterzieht. Wie diese Kriterien auszusehen haben, davon wird gleich die Rede sein.

Vorher soll noch Folgendes besprochen werden: Es ist fraglos richtig zu beklagen, dass die in ihrer Wohnblockwohnung isolierte Mutter mit ein oder zwei Kindern, die den ganzen Tag auf dem Boden spielend verbringt, Windeln wechselt und Essen zubereitet, ihre Fähigkeiten unterfordernd eingesetzt ist. Aber diese Vorgänge in der Natur haben eine andere Wichtigkeit als die, die man mit intellektuellen, kulturellen oder gar finanziellen Wertmaßstäben beurteilen kann. Hier auf dem Boden des Kinderzimmers geht es um existenzielle Werdungsprozesse. Wir Menschen sind heute nur nicht mehr in der Lage, das eigene Existieren und was damit grundsätzlich verbunden ist, als besondere Größe im Leben anzuerkennen. Und so sprechen wir auch den Kindern diese Grundbedürfnisse ab, die sich in der Tat auf einer weit einfacheren Ebene bewegen, als wir Erwachsenen das noch gewohnt sind. Aber das Leben eines Menschen beginnt nun mal auf dem Boden, im Spiel und in der scheinbar eintönigen Wiederholung recht simpler Handlungsabläufe. Wir Erwachsenen sind nicht mehr in der Lage, das für unsere Kinder abzuleisten, weil wir das Geschehen selbst längst bis zur Bedeutungslosigkeit abqualifiziert haben. Aber gerade das ist es nicht!

Ursprünglich wurde dieses Problem durch großfamiliäre Hilfe gelöst, und das angestrengte existenzielle Erleben der Einfachheit von natürlichen Vorgängen wurde gemeinschaftlich bewältigt und war überhaupt kein öffentliches Thema. Das Großelternprinzip stand dabei ganz vorne an. Heutzutage kann solchen Nöten und Bedrängungen der eigenen Empfindungslage mit dem Gefühl der Vereinsamung in der isolierten Kleinfamilie durch Vernetzung abgeholfen werden. Das ist mit dem vielfältigen Angebot für Eltern und Kinder in der Zeit zwischen Geburt und 3 bis 4 Jahren auch kein großes Problem. Gemeinsame Baby-Gruppen, Kinder-Spielgruppen und organisierte Tagesmütterbetreuung auf höherem Niveau als in den Kindertagesstätten vorhanden helfen dabei. Keine Mutter, auch kein Vater soll derart isoliert und mit dem Kind allein gelassen die fünf Arbeitstage zu Hause verbringen müssen. Die Wissenschaft mit ihren Erklärungen zum frühkindlichen Entwicklungsprozess hilft dabei nach, Verständnis für die große Bedeutung dieses frühzeitigen Beziehungs- und Handlungsgeschehens zu wecken.

Es ist also alles andere als verschwendete Zeit, sich mit seinem Säugling oder Kleinkind auf dem Spielteppich zu bewegen und ihm bei seiner Erforschung der einfachen natürlichen Vorgänge behilflich zu sein; ganz gleich, ob bei sich zu Hause oder in einer Spielgruppe. Nur weil die Prozesse so langwierig sind und das Verständnis aufseiten des Kindes Hunderte von Spieldurchgängen erfordert, ist es nicht weniger bedeutsam. Und es handelt sich hierbei auch keineswegs um bildungsfernes Tun und unnützen Zeitvertreib, der hoch komplexe soziale und kognitive Aufbau des menschlichen Gehirns nimmt hier seinen Anfang. Soll es denn so viel höhere Wertigkeit haben, Schulanfängern den Umgang mit dem Alphabet oder die ersten Rechenkünste beizubringen? Und seien wir doch ehrlich, auch diesmal braucht es wieder Hunderte von Durchgängen, bis das Erlernte im Gehirn seine Gedächtnisspuren hinterlassen hat. Nicht anders ist es in der Handwerkslehre und selbst bei den angeblich so hoch intellektuellen Prozessen in den akademischen Bildungsstätten wird am Anfang auch immer nur mit Wasser gekocht.

Gerade wegen dieser Bedeutung des Geschehens im Kinderzimmer darf man sich fragen, ob Muttersein oder Vatersein nicht auch eine Ausbildung erforderlich macht, wie sie ja FachschülerInnen und HochschülerInnen der Pädagogik angeboten wird. Wenn diese ausgebildeten SchülerInnen dann in ihren Beruf einsteigen, ist das Spielen mit den Kindern, das Wickeln, Füttern und alles, was mit einem Kind getan wird auch nichts anderes als das, was eine Mutter oder ein Vater tun. Aber an dieser Stelle ist es (mehr schlecht als recht) bezahlte Arbeit, im Kinderzimmer vorgeblich verschwendete Zeit mit Unterforderung des Ausführenden. Wie geht das zusammen?

Eltern sein heißt arbeiten in allen Bereichen, angefangen bei der Versorgung und Betreuung eines Menschen, weiter beim Erziehen und der Vermittlung von Bildung bis hin zur Garantie einer seelisch und körperlich gesunden Lebensweise. In allen diesen Bereichen kann es Mankos geben und regelrechtes Versagen. Die Familie ist leider nicht immer der beste Ort für das Großwerden des Kindes. Dies ist ein trauriges Kapitel in der menschlichen Gesellschaft über die Jahrtausende hinweg. Soziale Hilfseinrichtungen heutzutage wissen ein Lied davon zu singen. Aber dieses Problem trifft nicht die Familie an sich, es trifft nur die sozial schlecht gestellte, beziehungsmäßig in Bedrängnis geratene und emotional unzulängliche Familie. Familien mit Minderheitsstatus und Migrationshintergrund sind häufig darunter, grundsätzlich Familien bei drohender Armut (z.B. durch Arbeitsplatzverlust), und häufig solche Familien mit kranken Eltern. Auch eine zu junge Elternschaft schafft ein großes Risiko sowie das Phänomen des Alleinerziehens. Von diesen Familien leben viele am Rande der Gesellschaft, finanziell sowieso, aber auch sozial. Daher ist es richtig und wichtig, zunächst einmal die Situation der Familien zu stärken und zu verbessern und nicht allein die institutionalisierten Erziehungseinrichtungen mit Geldmitteln zu versorgen und zu fördern. Geldmittel benötigen auch die vielen Einrichtungen der "Frühen Hilfen", an denen sich Sozialhilfeträger, kirchliche Einrichtungen und Ämter für Soziales und Jugend beteiligen.

Erst in zweiter Linie ist daran zu denken, die betroffenen Kinder frühzeitig einen Großteil des Tages aus den Familien heraus zu lösen und in Gemeinschafteinrichtungen zu betreuen und zu bilden. Nur eines darf dabei nicht übersehen werden: Durch die institutionalisierte Fremdbetreuung der Kinder wird keine Familie besser.
 

g) Die Forderung



Familienarbeit und Hausarbeit müssen in der Zeit des Großziehens von Kindern bis zum 3. Lebensjahr bezahlt werden, so wie alle vergleichbaren Arbeiten auf dem freien Markt auch entlohnt werden. Die Ausbeutung von x-Millionen Frauen und einzelnen Männern in den reichen Industrienationen, die zu Hause veritable Arbeit leisten und vorübergehend dem Wirtschaftsmarkt fernbleiben, darf in einem sozialen und humanistischen Staatswesen nicht mehr vorkommen. Das ist Politik einer längst überkommenen Zeit. Das ist Konservatismus pur. Auch wenn dieses Programm viel Geld kostet, es ist die einzige Möglichkeit, soziale Gerechtigkeit in der menschlichen Gesellschaft herzustellen. Ein entsprechender Vorschlag für wirtschaftlich schwache Länder muss sicher etwas anders aussehen.

Ich stelle mir im Idealfall vor, dass beide Eltern bei Geburt eines Kindes wahlweise je eineinhalb Jahre einen bestimmten zu errechnenden Betrag als Elterngeld für ihre weitgehend berufsfreie Zeit vom Staat erhalten. Einen Teil übernimmt der Arbeitgeber, für den der vorübergehend ausfallende Arbeitnehmer home-work ausführt. Den anderen Teil übernimmt der Staat aus Steuermitteln. Dafür muss in anderen Sparten des nationalen Haushalts eingespart werden. Der Arbeitsplatz bleibt dem Arbeitnehmer garantiert, wenn die Voraussetzungen eingehalten werden. Die berufsmäßige Kontinuität für die beiden Eltern ist damit gewahrt. Ebenso die Sicherung der Altersrente, für die eingezahlt wird.

Eine frühe Fremdbetreuung wird in dieser Zeit nur notwendig sein, wenn dringende wirtschaftliche oder soziale Probleme die Familie zwingen, ihr Kind tagsüber eine Zeitlang abgeben zu müssen. Diese extrem frühe Fremdbetreuung darf nur unter absolut optimalen Bedingungen stattfinden. Sie muss mehr einer Tagesmutterbetreuung entsprechen als einer Gruppenbetreuung in der Kindertagesstätte. Die Tagesmutter ist immer eine feste Bezugspersoen für das Kind. Die strikte Begrenzung der Kinderzahl für eine Erziehungskraft ist schon allein deswegen bindend. So geben die OECD und mit ihr viele Fachgesellschaften (z.B. Deutsche Liga für das Kind, Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, Deutsche Sektion der Gesellschaft für die seelische Gesundheit in der Kindheit, kurz GAIMH usw.) einen genau berechneten Erzieherin-Kind-Schlüssel vor. Bei Kindern unter 2 Jahre liegt er bei 1:2, bei Kindern unter 3 Jahren 1:3 bis 1:5 usw.

Dieses Prinzip gilt für mindestens zwei Kinder pro Familie, denn zwei Kinder sind notwendig, um die Gesellschaft zu erhalten. Aber auch für ein drittes oder viertens Kind usw. muss es organisatorische und finanzielle Hilfen geben. Letztere muss im Einzelnen noch definiert und errechnet werden. Aber der Staat ist schließlich eines Tages Nutznießer all dieser Kinder. Und diese Kinder werden zum Wohle und Reichtum der Gesellschaft und des Staates umso mehr beitragen können, je gesünder und kindgerechter sie in ihren Familien oder bei einer Tagesmutter, bzw. Erzieherin aufgewachsen sind.

Ab 3 Jahre, spätestens 4 Jahre geht jedes Kind mit sanfter Ablösung in eine Kindertagesstätte und wird dort seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen gerecht betreut. Die Bindung an eine Bezugserzieherin muss immer noch gewährleistet sein. Bei Krankheiten und ErzieherInnenausfällen in der Einrichtung werden die Eltern wechselnd wie es auch derzeit schon möglich ist von der Arbeit freigestellt. Nur müssen die zeitlichen Grenzen weiter angehoben werden. Die Fortsetzung der Entlohnung übernimmt wie bisher das Gesundheitswesen. Die Kindertagesstätten müssen zahlreich und in der Nähe der Arbeitsplätze der Eltern eingerichtet werden. Betriebskindergärten sind erwünscht und besonders förderungswürdig.

Auch jetzt noch muss das ErzieherInnen-Kind-Verhältnis vernünftig definiert sein, die Umgebung in der Einrichtung kindgerecht. Die OECD-Kriterien sind hierfür ein guter Maßstab. Einen Zwang zur Kinderfremdbetreuung darf es in einem freien und demokratischen Staatswesen aber generell nicht geben. Das Volk ist der Souverän. Aber die Anreize der Kindertagesstätten müssen groß genug sein, dass kaum jemals Eltern auf diese die Familien ergänzende Maßnahme verzichten wollen. Die Fremdbetreuungszeit muss bei all dem so begrenzt sein, dass das Kind in der Hierarchie seiner Bezugspersonen seine Eltern niemals unter den FremderzieherInnen ansiedelt.

Die Familie gilt es mit Weiterbildungsangeboten zu begleiten. Die Ansprüche an die moderne, die Bindung und Bildung fördernde Familie sind heutzutage größer denn je. Dazu gibt es jetzt schon verschiedene Systeme, die im Einzelnen weiter durchzuspielen und wo nötig zu verbessern sind. So z.B. bieten der Kinderschutzbund und kirchliche Träger gezielt Kurse in früher Elternschaft an, die allerdings die Grundsätze der Bindungstheorie berücksichtigen sollten. Gleichwertige Angebote bestimmter Fachgesellschaften existieren bereits (z.B. „SAFE“, Sichere Ausbildung für Eltern). Internetforen wie das hier geöffnete erfüllen denselben Zweck auf sehr niedrigschwelliger Ebene. Fachliteratur, Broschüren und Zeitschriftenbeiträge müssen jedem Interessierten zur Verfügung stehen, genauso wie es auch im allgemeinen Gesundheitswesen der Fall ist. Die psychische Gesundheit eines Kindes darf der der körperlichen nicht untergeordnet werden. Nur das Beste ist für unsere Kinder gut genug!

Welche Vorgaben bei der Ablösung des Kindes in die frühe Fremdbetreuung zu beachten sind, damit ein weitgehend von Angst und Stresssymptomen freier Übergang gewährleistet ist, dazu gibt es in diesem Forum im Suchlauf passende Stichworte ("Trennung wie am besten?" und "Fremdbetreuung") oder z.B. auf der Seite www.sicherebindung.at die nötigen Empfehlungen.
 

h) Eine neuere Stellungnahme im Internet



Kommentar zu einem Internetaufruf pro Familie
Unphysiologischer Stress im frühen Kinderalter verursacht noch viel mehr als "nur" Instabilität der Knochenstruktur. Noch nicht genannt sind negative Veränderungen in der Immunität, Störungen der Hautregeneration, Auswirkungen im endokrinen Zyklus und vieles mehr.
Aber entscheidend sind doch die psychischen Langzeitauswirkungen. Mehrere Studien haben inzwischen beweisen können, dass es durch zu hohen, negativen Stress zu morphologischen und strukturellen Veränderungen der Amygdala im Gehirn kommt (MRT-Untersuchungen). Die Amygdala oder Mandelkerne sind das emotionale Zentrum im Gehirn. Arbeiten diese nicht mehr zuverlässig, was bedeutet, dass Stress und Angst nicht mehr ausreichend kontrolliert und abgewehrt werden können, zieht das Auswirkungen auf das Frontalhirn nach sich. Insbesondere der ventromediale Kortex wird beeinträchtigt (Biological Psychiatry 2002; 52: 776-84). Dadurch wiederum werden die sozialen Zentren im Orbitofrontalen Cortex geschwächt und das Handlungsplanungszentrum (Dorsolateraler Kortex) in seiner Kontrollierbarkeit eingeschränkt. Also alles Funktionen, die zur Steuerung des Selbst und seinen sozialen Beziehungen benötigt werden.
Die NICHD-Lanzeitstudie in den USA und die Mannheimer Risiko-Studie in Deutschland haben die Folgen dieser Beeinträchtigung schon gut nachweisen können. Von aggressiven Störungen über Angststörungen bis hin zu depressiven Erscheinungen im späteren Kindesalter und Jugendalter kommt alles vor. Natürlich versucht man, diese (unerfreulichen) Ergebnisse Schwächen im Studien-Design anzulasten. Verständlich, denn sie bedeuten ja, dass man am Prinzip der frühen Fremdbetreuung zweifeln muss. Man kann allerdings nicht alles der frühen Fremdbetreuung anlasten, aber doch sehr viel. Dysfunktionale Familien ziehen, das ist unbestritten, ähnliche Probleme in der Entwicklung nach sich. Gleichwohl ist das kein gutes Gegenargument, heißt es doch nur, dass man die schwierigen Familien von ihren großen Problemen befreien muss.
Wenn man erlebt, mit wie wenig Umsichtigkeit man an die ganze Sache der frühen Fremdbetreuung herangeht und wie unüberlegt man kleine Kinder einfach dem Anpassungszwang im Krippen- und Kita-alltag unterwirft, oft bar jeder Kenntnis von Entwicklungspsychologie, nur damit die sozialpolitischen Prämissen stimmen, dann wundert einen gar nichts mehr. Statt Familien zu unterstützen, vor allem eben auch Familien mit sozialen Schwierigkeiten (sozial, wirtschaftlich usw.), wirft man das viele Geld für eine oft erschreckend unpsychologische Konstruktion der Gruppenbetreuung von kleinen Kindern außerhalb der Familie heraus. Nicht einmal sanfte Ablösung lässt sich in den meisten Fällen praktizieren. Und ein Bezugserzieherinnen-System fehlt auch. Die Nubbek-Studie sagt Trauriges aus über den Zustand in Deutschen Kitas, und die Wiener Krippenstudie erklärt, wie viel Stress die kleinen Kinder über den Tag hinweg ausgesetzt sind.
Es geht nicht um eine neoromantische Vorstellung von Familie und Verdammung alternativer Lebensformen mit oder ohne Kind, ebenso wenig wie es um eine Rückkehr zur Natur durch Zerschlagung des industriellen Fortschritts geht. Es geht um die richtige Erfassung menschlicher Ressourcen zum Erhalt einer gesunden und lebenswerten Umwelt, ob im ökologischen Sinn oder im familiensystemischen. Bindungsprinzipien müssen in den ersten drei Lebensjahren über den Bildungsprinzipien stehen, denn nur in einer gesunden Seele wächst auch ein gesunder Geist. So jedenfalls verstehe ich die Aussagen zur Familie in unserem Grundgesetz. Wir haben noch viele Jahre späterer Kindheit, um unsere Kinder angemessen zu bilden. Akzeptieren wir doch, dass die frühen Jahre der Entstehung des Selbst und der Vorbereitung! auf das soziale Leben dienen.
Dafür ist seit Menschengedenken die Familie der beste Ort. Um den besten Ort für ein- bis dreijährige Kinder zu erhalten, müssen wir, müssen die Politiker, viel Geld für Familien ausgeben, um sie aus all ihren wirtschaftlichen Zwängen so gut es geht zu befreien. Almosen helfen da nicht. Will man die jungen Familien wirtschaftlich so unterstützen, dass sie sich tatsächlich zwei oder drei Kinder leisten können, muss man die Milliarden, die in den Ausbau von "Krippen" investiert werden, in verlängertes Familiengeld stecken.
Was wir uns dringend fragen müssen ist, welche Gesellschaft wollen wir eigentlich wirklich? Das individuelle Aufwachsen von Kindern in staatlich schwer kontrollierbaren Familien (wie es unser Grundgesetz mit seiner freiheitlich demokratischen Grundordnung empfiehlt), oder das uniformierte, gut kontrollierbare Aufwachsen in der frühen Fremdbetreuung (wie es in sozialistischen Staaten praktiziert wird und jetzt in spätkapitalistischen)?

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