Es scheint EU-weit Bewegung in die Energiepolitik zu kommen: "Energiepreiskrise Habeck für gestaffelten Strompreisdeckel Auf eine Kappung der Strompreise, eine Abgabe für fossile Unternehmen und Stromsparvorgaben haben sich die Energieminister:innen der EU am Freitag einigen können. Unklar bleibt, inwiefern auch die Gaspreise gedeckelt werden könnten – oder gar der Markt selber reformiert werden soll. Robert Habeck plädiert für ein Stufenmodell mit Differenzkontrakten. Florence Schulz Es seien „intensive Stunden“ gewesen, berichtete Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Freitagnachmittag vom Treffen der EU-Energieminister in Brüssel. Wie erwartet gab es keine offiziellen Beschlüsse, dafür aber eine Hausaufgabe für die EU-Kommission: In der kommenden Woche – Angaben variierten zwischen Dienstag und dem Wochenende – soll sie rechtliche Vorschläge ausarbeiten, die die Energieminister:innen dann noch in diesem Monat beschließen wollen. Auch wenn noch keine endgültige Einigkeit herrscht – der Kurs ist erkennbar und die meisten Punkte vereinbart. Laut einer Zusammenfassung der tschechischen Ratspräsidentschaft beauftragen die Mitgliedsstaaten die Kommission, folgende Punkte auszuarbeiten: Eine Methode zur Abschöpfung von Übergewinnen am Strommarkt Eine Solidaritätsabgabe für fossile Unternehmen Maßnahmen zur Verringerung der Stromnachfrage zu Zeiten des Spitzenbedarfs Instrumente zur Sicherung von ausreichender Liquidität für Stromhändler Notfallmäßige und temporäre Eingriffe, zu denen explizit auch ein Gaspreisdeckel gehört Bis auf den letzten Vorschlag hatte die Kommission dazu bereits detaillierte Modelle ausgearbeitet (Background berichtete). Ungeklärt und umstritten bleibt die Frage, inwiefern die Gaspreise gedeckelt werden sollten. Wie dies aussehen könnte, wird voraussichtlich auch erst später veröffentlicht, hieß es seitens der tschechischen Ratspräsidentschaft. „Wir brauchen dafür etwas mehr Zeit.“ Mehrere Modelle sind im Gespräch, sie waren von den Mitgliedsstaaten unterbreitet worden. Mehrheit fordert Gaspreisdeckel Immerhin zeigte sich vergangenen Freitag, dass eine Mehrheit generell für einen Gaspreisdeckel plädiert: 15 Mitgliedsstaaten sprachen sich laut des italienischen Ministers dafür aus, drei forderten gar einen Deckel nur auf russische Importe, drei weitere wollten dies nur mittragen, wenn Russland versichern würde, auch dann noch Gas zu liefern und fünf Staaten verhielten sich ablehnend oder neutral. Zu ihnen gehören Deutschland und Österreich. Beide Länder fürchten, dass Gazprom, wenn es sein Gas nur noch zu einem gedeckelten Preis in die EU verkaufen könnte, die letzten bestehenden Lieferungen in andere EU-Länder ebenfalls einstellen und die Gasknappheit in der EU damit noch weiter anheizen würde. „Da werden noch einige Gespräche geführt werden müssen denke ich mit Norwegen, aber auch mit süd- und südosteuropäischen Staaten“, sagte Robert Habeck nach der Tagung. Es müsse sichergestellt werden, „dass sie bereit sind das Risiko zu tragen, dass dann gar kein Gas mehr aus Russland kommt“. Deutschland werde keine Geschäfte „zu Lasten Dritter“ eingehen. Dass die Mitgliedsstaaten aber eine Lösung finden würden, stehe fest. „Keine Einigung ist keine Option.“ Differenzkontrakte statt Merit-Order Nach der geplanten Kappung der Strompreise durch eine Übergewinnsteuer befragt, sagte Habeck, „Das ist die zweite Option. Die richtige ist, die Preise gar nicht erst so hoch werden zu lassen“. Damit bezog sich der Minister auf die von der EU-Kommission (und auch von Deutschland anvisierte) Energiemarktreform. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte angekündigt, Anfang 2023 einen Plan vorzulegen, wie die noch absehbar lange sehr teuren Kosten von Gaskraftwerken vom restlichen Strommarkt abgekoppelt werden könnten. Dies soll laut Habeck aber schon „in diesem Kalenderjahr“ erfolgen. Die Kommission werde seinem Verständnis nach Vorschläge machen, sodass „das Marktdesign unangetastet bleibt, der höchste Preis aber nicht mehr voll auf die anderen Energieformen weitergegeben wird“. Dies würde zumindest ein Auflockern der bestehenden Merit Order bedeuten, nach der sich die Großhandelspreise für Strom bilden, indem der Erzeuger mit den höchsten, noch nachgefragten Kosten den Marktpreis für alle bestimmt. Laut Habecks Erklärung schwebt dem Minister eine Art Preiskappung vor, die nach Erzeugungsart des Stroms unterscheidet, möglicherweise basierend auf Differenzkontrakten (Contracts for Difference). „Wenn man für jede Energieart einen eigenen Preis definiert, der immer noch in der Stufe der Günstigkeit unterschiedlich ist, baut sich das System von unten nach oben auf“, so Habeck. Dabei spare man das „große Delta“ zwischen den derzeit extrem hohen Gaspreisen und den günstigen Erzeugungskosten der Erneuerbaren. Eine Abstufung in der Kappung sei notwendig, so Habeck, denn „wir wollen ja die günstigen Stromerzeuger zuerst im Markt haben“. Abgeschöpft würden aber in diesem Modell die zusätzlichen Einnahmen über den vorab definierten Höchstpreis hinaus – der Übergewinn. Diese Einnahmen sollen nach Plänen der EU und der Mitgliedsstaaten an Haushalte und Unternehmen verteilt werden. Letztendlich ergebe sich so „eine Treppe, die die verschiedenen Energieformen so vergütet, dass sie ihre guten Gewinne machen, aber die Übergewinne, die Zufallsgewinne, nicht in vollem Umfang realisieren können“, schloss der Minister. 20 Milliarden durch Verschmutzungsrechte Zugleich warnte er vor überstürzten Eingriffen in den Markt: „Ich will noch mal unterstreichen, dass es anspruchsvoll ist, das muss jedem klar sein. Wir verändern ein Marktsystem, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde, hochkomplex ist, das auf Robustheit immer wieder optimiert wurde und da greifen wir jetzt politisch ein. Ich würde sagen das ist normalerweise eine Operation für eine Legislaturperiode.“ Parallel drängt die Kommission auf eine weitere Möglichkeit, Geld für Entlastungen einzunehmen: Indem Millionen Zertifikate aus dem EU-Emissionshandel verkauft würden, ließen sich geschätzt 20 Milliarden Euro einnehmen. Auch dies wurde am Freitag beim EU-Rat debattiert. Eine solche Maßnahme würde es auch Staaten erlauben, in denen derzeit keine großen Übergewinne generiert werden, ihre Bürger:innen gegen die hohen Energiepreise abzuschirmen. Klimaschützer warnen allerdings vor vorgezogenen oder gar zusätzlichen CO2-Emissionen – auch wenn es im Abschlussdokument des Rates heißt, man stehe zu seiner Verpflichtung, „unsere gemeinsam vereinbarten Treibhausgasemissionsziele kosteneffizient zu erreichen“." (Quelle: background.tagesspiegel.de)