Schreianfall, weil die Brust nicht da war?

 Biggi Welter Frage an Biggi Welter Stillberaterin der La Leche Liga Deutschland e.V.

Frage: Schreianfall, weil die Brust nicht da war?

Hallo liebes Team, meine Tochter ist 9 Monate alt und wird in den Schlaf gestillt. Nachts will sie häufig an die Brust, die Häufigkeit ist sehr unregelmäßig. Manchmal stündlich, manchmal schläft sie vier Stunden, bevor sie an die Brust möchte. Die Brust ist nachts für sie immer verfügbar. Wir haben ein Familienbett. Ich bin sehr selten nicht im Zimmer, meistens lege ich mich am Abend neben sie und lese noch. Sie hat in den 9 Monaten erst 3x geweint, weil ich aus dem Zimmer war und die Brust nicht, wie gewohnt, sofort verfügbar war. Da sie dabei immer sehr schnell weinte und schluchzte, haben wir versucht, das zu vermeiden, indem ich immer in der Nähe blieb. Gestern Abend war ich aus dem Zimmer gegangen, mein Mann schlief mit dem Baby im Bett, und nach 1 Stunde rief er mich an. Ich war innerhalb 1 Minute da, aber meine Tochter war bereits völlig aufgelöst. Sie schrie wie am Spieß und schluchzte, zitterte, bekam kaum Luft, und weder Brust noch meine Anwesenheit konnten sie beruhigen. In dieser Verfassung haben wir sie noch nie erlebt. Wir haben irgendwann was Licht angemacht und erst durch Ablenkung konnte sie sich beruhigen. Das dauerte ca. 45 Minuten. Die restliche Nacht war wie immer. Meine Fragen: Kann es sein, dass meine Tochter brust-verwöhnt ist? Sie zu selten Frustration erfahren hat und deshalb überhaupt nicht damit klar kommt, wenn die Brust und Mama einmal nicht sofort da sind? (Ich hatte erwartet, dass der gegenteilige Effekt eintritt- dass das Baby es mit der Zeit besser aushalten wird, wenn es einmal ohne Brust wach wird.) Kann ich mit ihr üben, indem ich ihr nachts die Brust erst mit einer kleinen Verzögerung gebe? Oder ist das unnötiger Stress für uns beide? Oder gibt's da andere Tricks? Kennen Sie solche extremen Reaktionen von anderen Babies? Vielen Dank vorab, Sepha

von Aphes am 21.11.2017, 07:49



Antwort auf: Schreianfall, weil die Brust nicht da war?

Liebe Sepha, das Verhalten deines Kindes wird sicher von manchen Menschen als extrem anhänglich oder mutterfixiert bezeichnet, doch es ist ein vollkommen normales Verhalten für ein Baby. Es ist sogar wichtig, dass ein Kind zunächst eine feste und verlässliche Bindung zu einer Person aufbaut (und diese Person ist bei einem gestillten Kind naturgemäß fast immer die Mutter). Aufbauend auf dieser Erfahrung kann das Kind dann später seinen Horizont erweitern und Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen. Doch das "Fundament" der engen Beziehung zur ersten Bezugsperson sollte fest sein und so zum Fundament der Beziehungsfähigkeit und Bindungsfähigkeit überhaupt zu werden. Wie schnell oder langsam das Kind dann seine Fühler ausstreckt und Kontakt zu anderen aufnimmt und dort Bindungen knüpft ist ebenso wie das Laufenlernen oder Sprechen von Kind zu Kind verschieden. Jedes Kind hat da seinen eigenen Zeitplan. Du würdest niemals an einer Blume ziehen, damit sie schneller wächst, denn Du weißt, dass sie dadurch verkümmern oder sogar sterben würde. Genau so wenig können wir an unseren Kinder "ziehen", um ihre Entwicklung zu beschleunigen. Keine Angst, dein Baby wird weder ein „Muttersöhnchen“ noch ein ewig unselbstständiger Mensch, sondern Du legst jetzt den Grundstock für einen in sich ruhenden, selbstbewussten und selbstständigen Menschen. Dein Kind kann nicht "verwöhnt" werden, wenn es viel Nähe und Zuwendung bekommt. Eine Kollegin von mir hat dazu einen schönen Text geschrieben, aus dem ich jetzt einen Abschnitt zitiere: "Das Kind wird verwöhnt und verzogen. "Ja, das ist jetzt schon total verwöhnt" "Ihr verzieht das Kind, nachher will es nur noch auf den Arm" "So lernt das Kind ja nie alleine einzuschlafen, alleine zu spielen, sich mit sich selbst zu beschäftigen ..." "Wie soll das Kind denn seinen Rhythmus finden, wenn Du es ständig mit der herumziehst". So und ähnlich lauten viele Aussagen wohlmeinender Freunde, Verwandte und auch wildfremder Menschen, von denen man auf der Straße angesprochen wird. Was ist dran an dieser Theorie, dass das Baby durch die Zuwendung, die es erhält verwöhnt und verzogen wird? Bernadette Stäbler beschreibt in ihrem Buch "Mama" die Angst, sein Kind nicht richtig zu erziehen: "Und schon ist sie da, diese Angst, sein Kind zu verziehen. Welche Ursachen hat sie? Denn, wer dieses unschuldige Baby anschaut, fühlt sich sehr glücklich. Niemand kann sich vorstellen, dass es eines Tages unerwünschte Handlungen vollbringen wird. Wenn wir also von "verziehen" sprechen, haben wir ein älteres Kind vor Augen. Das Kind im Trotzalter, das immer "nein" ruft, läßt seine Mutter denken: "Was für einen Dickkopf habe ich mir großgezogen. Sicher habe ich es falsch gemacht!" Ist es wirklich so wichtig, dass unsere Kinder vor der Zeit lernen, alleine zu schlafen, alleine zu sein und sich mit sich selbst zu beschäftigen? Ist es notwendig, dass wir Erwachsenen unseren Lebensrhythmus ändern und an das Baby anpassen, damit sich das Kind gut entwickelt? Auch hierzu möchte ich wieder aus dem Buch von Bernadette Stäbler zitieren: "In vielen ursprünglich lebenden Kulturen, die wir "primitiv" nennen, wurden inzwischen Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse eine Umwälzung unserer Ansichten über die herkömmliche Kindererziehung mit sich brachten. Ich möchte eine afrikanische Studie herausgreifen und vereinfacht darstellen: Die erste Gruppe gebar ihre Babys zuhause und ließ diese keinen Moment allein. Geborgen bei der Mutter, wurden sie nach Bedarf gestillt und mussten niemals schreien. Bald ging die Mutter wieder auf das Feld, um die gewohnte Arbeit zu verrichten, das Neugeborene in ein Tragtuch geschlungen. Die Kontrollgruppe bekam ihre Babys im Krankenhaus mit aller medizinischen Hilfe, einschließlich schmerzlindernden Medikamenten. Gleich nach der Geburt wurden Mutter und Kind getrennt, um zu ruhen. Die Babys bekamen Fläschchen und Schnuller, weil dies "das Moderne" war. Daheim schliefen die Kinder in ihrem Bettchen, in ihrem eigens dafür hergerichtetem Zimmer. Allein, ohne Körperkontakt. Alles ging recht zivilisiert zu, nämlich nach einem genauen Zeitplan, denn die Kinder sollten sich früh an ein geordnetes Leben gewöhnen und weder kleine Tyrannen noch nervös werden. Ein Jahr später offenbarte sich das Unerwartete: Die Kinder der ersten Gruppe waren in allem den anderen voraus: Sie waren intelligenter in ihren Verhaltensweisen und auch viel sozialer eingestellt, selbst die körperliche Entwicklung war besser, obwohl sie die ganze Zeit "festgebunden" waren. Ähnliche Ergebnisse ergaben vielseitige Studien in den verschiedensten Kulturkreisen. Wenn wir versuchen, dies mit einer natürlichen, einfühlsamen Intelligenz nachzuvollziehen, wissen wir, warum das Ergebnis so ausfallen musste. Das Baby fühlt sich bei seiner Mutter geborgen. Es muss seine Kräfte nicht für das Weinen verbrauchen. Der mütterliche Körper gibt ihm Wärme. Wenn das Baby sich an seine Mutter schmiegt, fühlt es ein wenig von dem Glück, das es neun Monate lang im Mutterleib haben durfte. Es kennt von daher ja auch schon die Herztöne seiner Mutter, es kennt sogar schon ihre Stimme und nun sieht es endlich ihr Gesicht, ihre Augen und darf an der Brust trinken, wenn es möchte. Das ist das Glück, die mütterliche Liebe, die Impulse gibt für die Intelligenz und das soziale Verhalten. Wenn das Baby sich an die Körperbewegungen der Mutter anpassen muss, während sie ihre alltägliche Arbeit verrichtet, übt es in wundervoller Weise seine Muskeln und den Gleichgewichtssinn." (Aus: Denise Both: „Tragen") Auch der Wunsch von uns Großen, dass ein Baby ab sechs Monaten (oder einer anderen Altersgrenze) nachts nicht mehr aufwachen darf und nachts keine Nahrung mehr braucht entspringt in keinster Weise dem natürlichen Verhalten und den Bedürfnissen eines Babys oder Kleinkindes, sondern er entstammt dem (verständlichen) Wunsch der Erwachsenen, die gerne ihre Nachtruhe hätten. (Und sicher ja auch brauchen.) Also, ganz klar: Du hast nichts falsch gemacht, und es liegt auch nicht an dir, dass deine Kleine sich verhält, wie sie sich verhält! (wäre es anders, warum glaubst du gibt es soooo viele Ratgeber zum Thema??) Überlege dir auch einmal zu einem Stillgruppentreffen zu gehen und tausch dich dort mit den anderen Müttern aus. Vielleicht hast Du sogar das Glück so wie ich vor Jahren, dass Du dort Mütter oder eine Stillberaterin kennen lernst, die bereits ältere Kinder haben und Du kannst miterleben, dass es sich lohnt noch etwas durchzuhalten. Ganz llliebe Grüße, ich hoffe, Du fühlst dich ein wenig gestärkt Biggi

von Biggi Welter am 21.11.2017



Antwort auf: Schreianfall, weil die Brust nicht da war?

Hallo Aphes, sie hatte einfach in dem Moment die Vertrautheit nicht 'sofort' so wie sonst immer. Wenn du ihr die Brust mit Verzögerung gibst wird das nur unnötiger Stress für beide sein,denn sie bekommt sie ja sowieso, wieso dann nicht gleich? Üben kannst du nur,wenn dein Mann sie beruhigt und sie dann eben schreien muss. Ein Nachtschreck war es aber nicht??? Das war bei uns die Einzige Situation, in der er sich nicht sofort mit stillen beruhigen lies. Alles Gute

von Ninja2015 am 23.11.2017, 01:17



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