Sehr geehrte Frau Dr. Bentz, in dieser Angelegenheit möchte ich Sie gerne um Ihre Einschätzung bitten: Unser Sohn (7,5 Monate) ist ein ehem. Schreibaby. Er war ein Kaiserschnittgeburt (BEL, 2 1/2 Wochen vor errechnetem Geburtstermin) und von Beginn an motorisch sehr unruhig (überstrecken, zappeln mit Armen und Beinen).Wir haben in den ersten Wochen und Monaten viel versucht, um ihm (und uns) ein wenig Entlastung zu verschaffen (Sab Simplex, Osteopathie, Homöopathie); leider vergebens. Dazu haben wir ihn – bis heute – stets vor zu vielen Reizen bewahrt, viel getragen, schlafen im Familienbett, stets liebevoller und einfühlsamer Umgang mit ihm, etc. Mit ca. 5 Monaten wurde das Schreien langsam besser. Jedoch gibt er seitdem fast ständig Unmutsäußerungen von sich (Unzufriedenheit, Quengeln, bis hin zum Zorn). Wir versuchen immer herauszufinden, was genau sein momentanes Begehr ist. Es war und bleibt aber immer recht schwierig, ihn zu "lesen". Dazu kommt, dass er beim Füttern (Stillen und Brei) motorisch sehr unruhig ist, oft zudem sehr zornig. Er schläft tagsüber eher wenig, nachts sehr unruhig mit vielen Unterbrechungen. Laut Kinderarzt ist organisch alles in Ordnung. In den ersten Monaten waren wir oft verzweifelt und am Rande unserer Kräfte.Von außen wurde uns das "Durchhalten" zugerufen ("Es wird besser, wenn die Drei-Monats-Koliken vorbei sind / er mehr von seiner Umwelt mitbekommt / die Beikost startet / die Motorik sich entwickelt / ..."). Jeder neue Meilenstein brachte aber keine Verbesserung. Mitlerweile haben wir uns damit abgefunden, ein 24-Stunden-Baby mit einem sehr unruhigen, fordernden und leicht zu frustrierendem Temperament zu haben und können auch auf die Unmutsäußerungen – in den meisten Fällen – ruhig und unserem Sohn gegenüber gelassen reagieren. Was uns jedoch große Sorge macht, ist, dass diese ständige Unzufridenheit und negativen Gefühle ihre Spuren im Gehirn unseres Sohnes hinterlassen und er sein Leben lang nie richtig glücklich wird. Aus diesem Grund haben wir vor einigen Wochen letztendlich doch eine Schreiambulanz/Beratung aufgesucht. Dort wird nach dem Prinzip der "Emotionellen Ersten Hilfe" vorgegangen (kennen Sie vermutlich). In den ersten beiden Sitzungen wurden zunächst wir Eltern mittels Atemtechnik und Visualisierungen "stabilisiert", um im nächsten Schritt / der nächsten Sitzung unserem Sohn gut "Halt" geben zu können. Dies soll nach dem Prinzip des "gehaltenen Weinens" erfolgen: Das Baby wird von der Mutter gehalten und darf ein – angeblich vorhandenes – Geburtstrauma durch Sichausweinen endlich trauernd verarbeiten. Das Kind wird solange im Arm der Mutter festgehalten, bis das heftige Weinen vorüber ist. Anschließend, so stellte man uns in Aussicht, würde uns unser Kind in die Augen schauen und dann entspannt einschlafen. Zudem würden generell seine Unmutsäußerungen weniger und seine Äußerungen, was er in welchem Moment braucht, differenzierter werden. Auch das unruige Schlafen würde sich verbessern. Nun bin ich sehr verunsichert, was ich von dieser Vorgehensweise halten soll. Zum Einen ist mir das Ganze zu esoterisch / unwissenschaftlich. Hier werden komplexe kognitive Vorgänge eines Erwachsenen (Trauer empfinden) einfach auf ein Baby übertragen. Das Ganze soll zudem "auf Knopfdruck" geschehen. Das Einschlafen am Schluss geschieht aus meiner Sicht aus Erschöpfung (und nicht aus Entspannung). Zum anderen sträubt sich mein Instinkt dagegen, mein Baby weinen zu lassen und nicht wie bisher zu trösten, und dabei auch noch festzuhalten, so dass es sich nicht bewegen kann. Ich habe Angst, hierdurch eher noch mehr kaputt zu machen (Wille des Babys wird gebrochen, Vertrauensbruch zur Bindungsperson, Macht des Stärkeren) und psychische Langzeitfolgen zu riskieren. Haben Sie Erfahrungen mit dieser Art von Therapie; bzw. was halten Sie davon? Ich frage mich auch, wie – falls wir die Therapie abbrechen – eine Alternative aussehen würde. Ein Gang zum Kinderpsychiater? Ist übergaupt eine Alternative notwendig? Ich bin hin- und hergerissen, mein Kind nicht pathologisieren zu wollen, aber auch nicht rechtzeitig notwendige Schritte eingeleitet zu haben (z.B. Fütter- und Schlafstörung). Ganz herzlichen Dank für Ihren Rat und Einschätzung!
von MuddaC am 17.03.2016, 12:04