Was halten Sie von "gehaltenem Weinen"?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Was halten Sie von "gehaltenem Weinen"?

Sehr geehrte Frau Dr. Bentz, in dieser Angelegenheit möchte ich Sie gerne um Ihre Einschätzung bitten: Unser Sohn (7,5 Monate) ist ein ehem. Schreibaby. Er war ein Kaiserschnittgeburt (BEL, 2 1/2 Wochen vor errechnetem Geburtstermin) und von Beginn an motorisch sehr unruhig (überstrecken, zappeln mit Armen und Beinen).Wir haben in den ersten Wochen und Monaten viel versucht, um ihm (und uns) ein wenig Entlastung zu verschaffen (Sab Simplex, Osteopathie, Homöopathie); leider vergebens. Dazu haben wir ihn – bis heute – stets vor zu vielen Reizen bewahrt, viel getragen, schlafen im Familienbett, stets liebevoller und einfühlsamer Umgang mit ihm, etc. Mit ca. 5 Monaten wurde das Schreien langsam besser. Jedoch gibt er seitdem fast ständig Unmutsäußerungen von sich (Unzufriedenheit, Quengeln, bis hin zum Zorn). Wir versuchen immer herauszufinden, was genau sein momentanes Begehr ist. Es war und bleibt aber immer recht schwierig, ihn zu "lesen". Dazu kommt, dass er beim Füttern (Stillen und Brei) motorisch sehr unruhig ist, oft zudem sehr zornig. Er schläft tagsüber eher wenig, nachts sehr unruhig mit vielen Unterbrechungen. Laut Kinderarzt ist organisch alles in Ordnung. In den ersten Monaten waren wir oft verzweifelt und am Rande unserer Kräfte.Von außen wurde uns das "Durchhalten" zugerufen ("Es wird besser, wenn die Drei-Monats-Koliken vorbei sind / er mehr von seiner Umwelt mitbekommt / die Beikost startet / die Motorik sich entwickelt / ..."). Jeder neue Meilenstein brachte aber keine Verbesserung. Mitlerweile haben wir uns damit abgefunden, ein 24-Stunden-Baby mit einem sehr unruhigen, fordernden und leicht zu frustrierendem Temperament zu haben und können auch auf die Unmutsäußerungen – in den meisten Fällen – ruhig und unserem Sohn gegenüber gelassen reagieren. Was uns jedoch große Sorge macht, ist, dass diese ständige Unzufridenheit und negativen Gefühle ihre Spuren im Gehirn unseres Sohnes hinterlassen und er sein Leben lang nie richtig glücklich wird. Aus diesem Grund haben wir vor einigen Wochen letztendlich doch eine Schreiambulanz/Beratung aufgesucht. Dort wird nach dem Prinzip der "Emotionellen Ersten Hilfe" vorgegangen (kennen Sie vermutlich). In den ersten beiden Sitzungen wurden zunächst wir Eltern mittels Atemtechnik und Visualisierungen "stabilisiert", um im nächsten Schritt / der nächsten Sitzung unserem Sohn gut "Halt" geben zu können. Dies soll nach dem Prinzip des "gehaltenen Weinens" erfolgen: Das Baby wird von der Mutter gehalten und darf ein – angeblich vorhandenes – Geburtstrauma durch Sichausweinen endlich trauernd verarbeiten. Das Kind wird solange im Arm der Mutter festgehalten, bis das heftige Weinen vorüber ist. Anschließend, so stellte man uns in Aussicht, würde uns unser Kind in die Augen schauen und dann entspannt einschlafen. Zudem würden generell seine Unmutsäußerungen weniger und seine Äußerungen, was er in welchem Moment braucht, differenzierter werden. Auch das unruige Schlafen würde sich verbessern. Nun bin ich sehr verunsichert, was ich von dieser Vorgehensweise halten soll. Zum Einen ist mir das Ganze zu esoterisch / unwissenschaftlich. Hier werden komplexe kognitive Vorgänge eines Erwachsenen (Trauer empfinden) einfach auf ein Baby übertragen. Das Ganze soll zudem "auf Knopfdruck" geschehen. Das Einschlafen am Schluss geschieht aus meiner Sicht aus Erschöpfung (und nicht aus Entspannung). Zum anderen sträubt sich mein Instinkt dagegen, mein Baby weinen zu lassen und nicht wie bisher zu trösten, und dabei auch noch festzuhalten, so dass es sich nicht bewegen kann. Ich habe Angst, hierdurch eher noch mehr kaputt zu machen (Wille des Babys wird gebrochen, Vertrauensbruch zur Bindungsperson, Macht des Stärkeren) und psychische Langzeitfolgen zu riskieren. Haben Sie Erfahrungen mit dieser Art von Therapie; bzw. was halten Sie davon? Ich frage mich auch, wie – falls wir die Therapie abbrechen – eine Alternative aussehen würde. Ein Gang zum Kinderpsychiater? Ist übergaupt eine Alternative notwendig? Ich bin hin- und hergerissen, mein Kind nicht pathologisieren zu wollen, aber auch nicht rechtzeitig notwendige Schritte eingeleitet zu haben (z.B. Fütter- und Schlafstörung). Ganz herzlichen Dank für Ihren Rat und Einschätzung!

von MuddaC am 17.03.2016, 12:04


Antwort auf: Was halten Sie von "gehaltenem Weinen"?

Liebe MuddatC, eigentlich ist die Frage, was ich von diesem Vorgehen halte viel weniger entscheidend als die Frage, was Sie von davon halten. Sie sagen selbst, dass sich bei Ihnen alles gegen das Vorgehen sträubt und Sie die Grundlage für zu unwissenschaftlich halten. Das reicht doch, um von dieser Therapie Abstand zu nehmen. Das gleiche rate ich übrigens Eltern, die zu mir in die Praxis kommen und sich nicht gut aufgehoben fühlen. Für wen macht man denn eine Behandlung oder Therapie: doch nicht für den Therapeuten! Natürlich ist es so, dass man in einer Behandlung gleich welcher Art auch seine bisherige Komfortzone verlassen muss und sicher ist es nicht immer angenehm, sich selbst gewissen Themen zu stellen. Doch das ganze sollte niemals so weit gehen, dass man etwas tut, was man eigentlich für falsch hält. Seriöse Anbieter verstehen das und suggerieren auch nicht, dass es nur den einen (ihren) Weg gibt. Das soll jedoch im Umkehrschluss nicht heißen, dass es im Grunde beliebig ist, was man macht. Natürlich gibt es hinsichtlich der Anbieter und Methoden Unterschiede. Diese hier zu diskutieren, führt jedoch zu weit. Ich persönlich teile jedoch Ihre Zweifel, was die Übertragung kognitiver Vorgänge Erwachsener auf ein Kind betrifft und bin der Meinung, dass der Begriff "Trauma" momentan gerade sehr überstrapaziert wird. Den Gegenbeweis kann ich selbstverständlich auch nicht antreten - doch wer kann das schon? Uns fehlt einfach der sprachliche Zugang sehr und alle Analogien die wir bilden können, sind eben begrenzt aussagekräftig. Grundsätzlich rate ich daher zu Musstrauen, wenn jemand den Aus-Knopf verspricht und aus Methoden Religionen macht - gleich um wen und um welche Schule es sich handelt. Wo ich ihre Skepsis nicht ganz teile, ist das begleitete Weinen, sofern es sich dabei nicht um Festhaltetherapien handelt, sondern um einen "Methode" ein Kind beim Schlafen zu begleiten, ohne dabei auf die Anwesenheit der Eltern zu verzichten. Dieser Ansatz stellt für mich oft den besten Kompromiss zwischen bindungsorientier-ten und lernorientierten Methoden da, wenn ein Kind noch im Säuglingsalter ist. Hier wird zwar auf elterliche Einschlafhilfen verzichtet, nicht jedoch auf die Anwesenheit der Eltern - es ist also kein allein Schreienlassen! Ich denke, dass das auch am ehesten für Sie ein Weg sein könnte. Ob Sie dabei nochmals externe Hilfe in Anspruch nehmen wollen, ist wiederum keine objektivierbare sondern Ihre individuelle Entscheidung. Ich verstehe den Zwiespalt, in dem Sie stecken, doch halte ich das Risiko der Stigmatisierung und des Pathologisierens bei so jungen Kindern für eher begrenzt. Schwieriger wird das ganze, wenn Erzieher, Lehrer und das sonstige Umfeld involviert werden (müssen). Letztendlich geht es ja auch nicht darum, dass Ihr Kind gestört ist, sondern darum, dass die Regulation gestört ist (und die Gründe dafür liegen selten nur beim Kind oder nur bei den Eltern). Ich denke, dass Sie aufgrund Ihrer gesunden kritischen Haltung sehr gut in der Lage sind, zu erkennen, was Ihnen wirklich hilft. Ich habe daher auch keine Zweifel, dass Sie den richtigen Weg für sich finden. Wenn Sie dabei anecken oder nicht mit Experten oder Lehrbüchern konform gehen, ist es so. Alles Gute! Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 21.03.2016


Antwort auf: Was halten Sie von "gehaltenem Weinen"?

Hallo, mir wurde das gleiche geraten! Mein Sohn solle einfach mal "erzählen "sprich schreien dürfen was ihn so belastet von der Geburt. ich halte dies für Hirngespinst. ..und hatte kein gutes Gefühl dabei und bin nicht mehr hin! Ich halte nix von Trauma in Bezug auf die Geburt. und ich glaub auch nicht daran..dass mein Sohn einfach mal genügend Zeit zum erzählen sprich schreien gebraucht hätte... LG mimmininni

von MimmiNinni am 17.03.2016, 14:00