Schreibaby oder nicht?

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Schreibaby oder nicht?

Bin zwillingsmama und mein einer sohn schreit am tag viel.ausser am hüpfball oder kiwa ab und zu.er kann nicht selber einschlafen oder sich lang selber beschäftigen.wippe, tragetuch, arm wippen.einmal ostheopathie.nichts hilft.das einzige was funktioniert am abend pucken und er schläft selber ein.am tag funktionierts nicht mit dem pucken.kamen per kaiserschnitt, sind jetzt 3 monate, 4 wochen zu früh auf die welt.er hat einen abgeschrägten kopf,hat es damit was zu tun?ist schwierig mit ihm wohin zugehen,da man ihn dann schwer beruhigen kann.laut arzt ist alles ok und mir wird immer gesagt,nicht jedes kind ist gleich aber ich hab den vergleich zum anderen sohn und er kann überall selber einschlafen am tag und schreit nur,wenn er hunger hat.hab ich ein schreibaby? Haben sie nen tipp für mich?

von leamuller am 01.08.2016, 07:10


Antwort auf: Schreibaby oder nicht?

Liebe leamuller, es ist klar, dass Sie sich wundern, warum Ihre Kinder so unterschiedlich sind. Ich vermute, Ihre Jungs sind eineiige Zwillinge, d.h. sie haben dasselbe genetische Grundgerüst. Dennoch muss bei ihnen nicht alles gleich sein. So ist bei Mehrlingsgeburten oft festzustellen, dass die Geschwister mit unterschiedlichem Reifegrad geboren werden, d.h. meist ist einer deutlich schwächer und hat Probleme mit Atmung, Temperatur, dem Trinken etc. während es beim Geschwisterkind besser klappt. Das kann sich natürlich auf das Thema Schlaf auswirken. Die letzten Schwangerschaftswochen sind zwar dank der modernen Medizin nicht mehr wichtig fürs Überleben, und mögliche Entwicklungsdefizite werden meist auch schnell aufgeholt, dennoch darf man nicht vergessen, dass auch vier Wochen weniger einfach Auswirkungen haben. Das Thema Unruhe und Schlaf sind dabei natürlich Dinge, die sehr auffallen, weil sie die Familie unmittelbar belasten. Möglicherweise hat auch das Brüderchen noch das ein oder andere außerhalb des Mutterleibes nachzuholen, doch das in Bereichen, die weniger belasten. So ist der Kontrast zwischen den beiden sicherlich sehr verunsichernd, muss aber nicht gleich bedeuten, dass ein Kind ein Schreibaby ist und das andere nicht. Um dies wirklich zu prüfen, sollten Sie sich an Kollegen vor Ort wenden. Ohnehin macht es auch bei späten Frühgeburten Sinn, sich einmal in einem Früherkennungszentrum oder einen Sozialpädiatrischen Zentrum vorstellig zu werden, um zu gucken, wie die beiden sich entwickeln. Ein Kinderarzt ist sicher immer die erste Adresse, doch für weitergehende Diagnostik kann es ratsam sein, hier nochmal interdisziplinär zu gucken. In so einem Zentrum arbeiten Mediziner, Psychologen, Physiotherapeuten und andere Fachdisziplinen zusammen, und jeder hat noch mal einen anderen Blick auf ein Problem. Das bedeutet sicher wieder Rennerei und ist oft aufgrund der begrenzten Kapazitäten ein Geduldsspiel, doch Sie können dann wirklich sicher sein, dass nichts übersehen wurde. Allein diese Gewissheit kann schon viel bewirken, denn wenn man als Mutter immer im Hinterkopf die Sorge hat, es könne etwas nicht stimmen, kann man zwangläufig nicht ruhig und entspannt sein. Ansonsten finde ich, ist Ihr Ansatz mit dem Pucken wirklich gut. Dass Ihr Kind abends so dann von allein einschläft zeigt mir, dass er schon einiges in Richtung Selbstregulation kann. Solange er das toleriert, würde ich das beibehalten. Aufgrund der Ablenkung und der vielen Reize kann es dann am Tag etwas schwieriger sein, ein Kind zu Ruhe zu bringen. Vielleicht helfen aber schon ganz einfach Maßnahmen wie regelmäßige Pausen (schon nach ca. 1,5 Stunden), ein ruhiger, strukturierter Tagesablauf und nicht zu viele Reize. Vielleicht klappt es besser, wenn Sie Ihre Kinder in einem abdunkelten Raum zum Schlafen legen und auch dafür Begrenzung (Pucken oder Lagerungskissen) sorgen. Egal was sie machen, wichtig wäre, dass Sie bei einer Sache bleiben, also nicht raus aus dem Bettchen, rein in die Wippe, rein in den Kinderwagen, rein ins Tragetuch usw. Das bringt nur noch mehr Unruhe rein. Beruhigen kommt von Ruhe. Wenn Ihr Kind nicht einschlafen kann, ändern Sie durch ständig neue Beruhigungsversuche nichts, denn damit aktivieren Sie Ihr Kind wieder. Vielleicht dauerst es dann mal eine halbe Stunde bevor Ihr Kind schläft, doch das ist völlig ok. Ich empfehle bei Unruhe immer einen Spaziergang am Vormittag, da Licht und Bewegung wichtige Hilfen sind, um einen stabilen Tag-Nachtrhythmus zu fördern, und zudem eine stimmungsaufhellende Wirkung auf die Mütter haben, die oft durch den Schlafmangel und die Anstrengungen stark erschöpft und deprimiert sind. Nacht hingegen sollten auf stundenlanges Tragen und Wippen verzichtet werden, sonst kann es zu einer Gewöhnung an diese intensiven elterlichen Einschlafhilfen kommen, die auf die Dauer für Probleme sorgen kann. Ansonsten ist es für Eltern mit Säuglingen wichtig, sich gedanklich immer wieder bewusst zu machen, dass jetzt die Uhren anders ticken. Man ist es vielleicht gewohnt, am Tage viel zu leisten, viel zu schaffen und hat auch jetzt diese Ansprüche. Doch mit einem Baby (und erst recht mit zweien) ist dies nicht immer darstellbar! Hier heißt leisten eben schon, dass alle gewickelt und satt sind und man selbst gerade noch so was einigermaßen Sauberes zum Anziehen ohne Spuckflecken findet. Perfektionismus hat erst einmal ausgedient. Versuchen Sie nicht alles 100% zu machen, wenn 75% auch reichen, lassen Sie sich helfen und unterstützen und nehmen Sie sich ganz bewusst auch mal Zeit für sich. Ihre Ressourcen sind begrenzt und daher sehr kostbar. Gehen Sie deshalb auch achtsam und wertschätzend mit sich um! Ihnen und Ihrer Familie alles Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 02.08.2016