Regulationsstörung, 14 monatiges Kind

Dr. rer. nat. Meike Bentz Frage an Dr. rer. nat. Meike Bentz Diplom-Psychologin

Frage: Regulationsstörung, 14 monatiges Kind

Liebe Frau Dr. Bentz, vielleicht können Sie mir einen Rat geben. Meine Tochter ist fast 14 Monate alt. Sie war zwar kein Schreibaby nach Definition, aber es bestand eine Regulationsstörung. Nun ist es so, dass der Alltag sehr schwierig ist: - Mein Kind schläft nur, wenn ich dabei bin - Tag und Nacht. D.h. ich stille in den Schlaf und bleibe die ganze Zeit dabei oder fahre Kinderwagen. Damit habe ich mich inzwischen arrangiert, das ist also nicht mein Hauptproblem. - Mein Kind lässt sich seit einer Weile nicht mehr in den Hochstuhl setzen. Sie sträubt sich so, dass ich Sorge habe, sie könnte runter fallen. Sie lässt sich auch nicht füttern (außer Fläschchen), sondern will alles selber essen. Das bedeutet, dass mein Kind essend durch die Wohnung spaziert. Sie isst daher auch nur Dinge, die man mit der Hand essen kann wie Brot und Obst. Gesünderes wie Gemüse oder Müsli isst sie daher praktisch nicht. - Zähne Putzen ist jeden Abend ein großes Drama. Wir haben schon alles mögliche versucht (Zahnputzhandschuh, Fingerling, verschiedene Handzahnbürsten, elektrische Zahnbürste, ohne oder mit Zahnpasta, mit Singen oder anderer Animation). Alles klappt nur vorübergehend. Oft dauert es lange, bis es klappt oder es geht gar nicht. Das abendliche Einnehmen der Fluorid-Tablette ist ebenso schwierig. - Wickeln ist ebenfalls ein großes Problem. Mein Kind bleibt nicht liegen und ich wickle sie, während sie auf dem Wickeltisch herum turnt. Daran habe ich mich gewöhnt, aber seit kurzem fängt sie schon zum Schreien an, wenn ich sie auf den Wickeltisch hebe. Sie möchte immer ins Waschbecken nebenan krabbeln und wenn ich ihr das nicht erlaube, schreit sie umso mehr. Umziehen ist ebenso schwierig, so dass ich sie abends gar nicht umziehe, sondern mit der Tageskleidung schlafen lege (mit Schlafsack, den ich ihr in den letzten Tagen oft erst anziehen kann, wenn sie schon halb schläft). - Regeln, an die sie sich bis vor kurzem noch gehalten hat (nicht mit der Klobürste spielen, Mülleimer nicht ausräumen), beachtet sie auch nicht mehr und schreit ganz fürchterlich, wenn sie etwas nicht darf. Es fällt mir schwer, dieses Schreien zu ertragen. Sie sehen also, es klappt eigentlich gar nichts. Ich bin mit meinen Kraftreserven am Ende und frage mich, wie es weiter gehen soll, wie ich den Alltag schaffe, wie die Kita-Eingewöhnung in 8 Monaten gelingen soll und wie wir so ein für alle Beteiligten halbwegs erträgliches Familienleben erreichen können. Liegt das alles an der Regulationsstörung? Oder daran, dass ich zu wenig streng bin (wie ich von verschiedenen Seiten zu hören bekomme)? Oder ist es einfach normal und ich bin zu wenig belastbar, um damit zurecht zu kommen? Können Sie mir irgendwelche Tipps geben? Ach ja, wir haben schon an verschiedenen Stellen versucht, Hilfe zu bekommen: Der Kinderarzt nimmt uns nicht ernst, die Schreiambulanz hat bei uns nicht geholfen und bei einer öffentlichen Beratungsstelle sagte man mir nach Telefonat und Hausbesuch, dass alles bestens sei und ich mich eben erst in meine Mutterrolle einfinden müsse. Vielen Dank & Grüße marienkäfer15

von marienkäfer15 am 11.07.2016, 13:31


Antwort auf: Regulationsstörung, 14 monatiges Kind

Liebe marienkäfer15! Vielen Dank für Ihren Bericht! Ihr Alltag klingt in der Tat sehr anstrengend, und es ist schade, dass Sie bisher nicht die passende Hilfe gefunden haben. Dennoch würde ich Ihnen raten, dran zu bleiben. Wenn Sie sich beim Kinderarzt nicht ernst genommen fühlen sollten Sie diesen wechseln. Hier ist eine Vertrauensbasis einfach unendlich wichtig, da Sie dieser Mensch ja in den kommenden Jahren weiterhin begleiten wird. Es ist nicht immer leicht, den passenden Arzt zu finden, und nicht immer gehör es von heute auf morgen, doch die Mühe, die Sie hier investieren, sparen Sie an anderer Stelle doppelt ein, wenn Sie dann eben eine gute Anlaufstelle haben. Die Diagnose „Regulationsstörung“ hat ja irgendwer gestellt. D.h. Sie können um eine Überweisung an ein Sozialpädiatrisches Zentrum oder einen Kinder- und Jugendpsychotherapeuten bitten. Selbst wenn Sie im ersten Schritt sich nicht gut betreut gefühlt haben, ist es einen weiteren Anlauf wert ggf. sogar bei Ihrer alten Anlaufstelle, der Schreiambulanz von damals. Ich würde mit diesem Thema ganz offen umgehen, denn dann kann man mal gucken, warum Sie so unzufrieden waren. Manchmal liegen einfach Missverständnisse über ein Vorgehen oder eine Methode vor, manchmal sind es einfach Erwartungen, die nicht ausgesprochen wurden. Es ist ganz normal, dass man nicht auf Anhieb die passende Hilfe findet, nicht ohne Grund gibt es etwa bei Psychotherapeuten Probesitzungen. Alternativ gibt es gute Elternprogramme, die Themen wie Grenzen setzten und Regeln vereinbaren beinhalten. So bietet vielerorts der Kinderschutzbund den Elternkurs „starke Eltern – starke Kinder an“, oder Sie googlen mal nach Elternschulen und Angeboten wie familylab oder tripple p. Solche Workshops bieten den Vorteil, dass man mit anderen Eltern in Kontakt kommt und sich austauschen kann. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Mit meinem Rat, sich weiterhin um Hilfe zu bemühen möchte ich nicht ausdrücken, dass Sie inkompetent sind oder Schuld haben. Ich kann hier gar nicht beurteilen, ob Sie zu wenig konsequent sind, zu wenig streng oder sonst was. Ich weiß aber nur, dass es bei derartigen Familiendynamiken keine einfachen Ursache- Wirkungs-Zusammenhänge gibt. Ein Tipp würde Ihnen daher auch nicht wirklich weiterhelfen. Dafür haben sich die Dinge meist zu sehr verstrickt, und Sie haben sicher auch schon unendlich viel versucht und ausprobiert. Doch wenn man nicht an die Ursachen kommt, warum Dinge ebenso laufen, wie sie laufen, kann eine Methode einfach nicht funktionieren. Es gibt Gründe, warum es so schwierig ist, etwas zu verändern, und an die muss man ran. Für die Lösung ist es zudem zunächst unerheblich, ob Ihre Tochter durch ihr Temperament und Ihre Anlagen den Ausschlag für die Probleme gegeben hat oder Sie durch ungünstige Interaktionsmuster. Jetzt muss einfach ein Weg gefunden werden, wie man die jetzige Situation entzerrt und verbessert. Ein neutraler Blick von außen ist dafür einfach ungemein hilfreich, denn als Mutter / Vater schleppt man eben seinen eigenen Rucksack mit und sieht sein Kind mit anderen Augen, als jemand ohne die gemeinsame Historie. Es wird Ihnen wenig nützen, wenn ich Ihnen an dieser Stelle sage, dass ich überzeugt bin, dass vieles eben doch gut bei Ihnen klappen wird, denn gute Seiten in einer so stressigen Situation zu sehen, ist für Betroffene weitaus schwieriger, als die Probleme zu benennen. Das liegt in der Natur der Sache. Doch es reicht eben nicht aus, Einzelmaßnahmen für kritische Dinge wie etwa Zähneputzen, beim Essen sitzen bleiben etc. vorzuschlagen. Vielmehr muss ein Gegengewicht her, der einen positiven Blick auf die eigenen Rolle und das eigene Kind ermöglicht, sonst fehlt die Kraft, um langfristig wirklich etwas zu ändern. Immer nur kontrolliert ist auf die Dauer anstrengend, es muss eine natürlich Grundmotivation, ein Grundvertrauen und Lebensfreude gefördert werden, um mit den Herausforderungen, die Ihre Tochter sicherlich an Sie stellt, auf Dauer klar zu kommen ohne Auszubrennen. Abwarten und einfach hinnehmen – das wäre von allen Varianten die schlechteste! Leider ist dieses Erdulden und sich Aufopfern immer noch implizit als Tugend in unseren (weiblichen) Köpfen verankert. Ist jemand, der erkennt, dass eine Situation schwierig ist und alle stresst wirklich stark, wenn er das blind hinnimmt, oder ist es nicht vielmehr ein Zeichen von Verantwortung, persönlicher Reife und Stärke, sich Hilfe zu holen, wenn man Sie benötigt? Was will man einem Kind an Werten vermitteln - passives Erdulden oder aktives Problemlösen? Will man eine Mutter sein, die Freude an Ihrem Leben und Ihrem Kind hat oder eine Mutter die die Zähne zusammenbeißt? Und was bedeutet Hinnehmen eigentlich? Es bedeutet, dass ich kein Vertrauen mehr in mein Kind haben kann, dass ich es aufgebe. Dass ich die Probleme als unveränderliches Schicksal akzeptiere und damit einzementiere. Doch Ihr Kind ist keine 41 Jahre, sondern 14 Monate! Es ist keineswegs in den Brunnen gefallen! Sie sind bei weitem nicht die einzige mit Problemen wie diesen, also auch kein hoffnungsloser Fall. Doch je länger man das Handeln nach hinten schiebt, desto schwieriger wird es . Also geben Sie sich und Ihr Kind nicht auf! Regulationsstörungen lassen sich gut behandeln, auch wenn man hierfür an der ein oder anderen Stelle seine Komfortzone verlassen muss und es sicher lustigere Beschäftigungen gibt. Mal abgesehen davon, wie geht es Ihnen? Nicht nur als Mutter, sondern auch als Frau? Auch hier lohnt sich ein sorgsamer Blick, denn hinter so manchen Problemen verbirgt sich vielleicht auch eine unerkannte postpartale depressive Verstimmung. Es ist normal, wenn man den Alltag mit einem kleinen Kind stressig und schwierig findet. Es ist auch normal, wenn man sich mal überfordert, hilflos fühlt oder wütend oder enttäuscht fühlt. Doch wenn der Alltag von dieser Grundstimmung bestimmt wird („eigentlich klappt gar nicht“) ist hier ein genauerer Blick wichtig. Ich will Ihnen hier nichts andichten, doch informieren Sie sich doch mal unter www.schatten-und-licht.de. Vielleicht erkennen Sie sich wieder. Und wenn ja, ist es wichtig, den Fokus nicht nur auf Ihre Tochter zu setzten, sondern auch darauf, dass es Ihnen besser geht. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Tochter alles Gute! Herzlichst, Ihre Meike Bentz

von Dr. Meike Bentz am 12.07.2016


Antwort auf: Regulationsstörung, 14 monatiges Kind

Hallo marienkäfer15, ich möchte dir gern Mut machen. Als ich deinen Text gelesen habe - er hätte bis vor einigen Tagen auch von mir stammen können! Ich weiß natürlich nicht, seit wann sich deine Kleine sich so verändert hat aber es wäre möglich, dass es sich um einen Wachstumsschub handelt. Laut Internet steht dieser um die 55. Woche an. Bei uns passte alles haargenau wie man nachlesen kann. Sachen, die bisher kein Problem waren sind auf einmal alle doof. Zähne putzen, wir haben ebenfalls sehr viel versucht, es endete zuletzt damit, dass wir unseren Sohn festhalten mussten um zu putzen :-( Wickeln, schlafen, essen.. Alles fand er blöd. Er war extrem Mama-anhänglich und wollte ständig auf den Arm, aber nur zu mir! Jetzt, nach ca. 6 Wochen klingt das alles langsam wieder ab. Es ist alles nur eine Phase ;-) Ich wünsche dir weiter viel Kraft und Geduld! Ich finde immer, wenn man weiß woran es liegt dass die Kleinen so anstrengend sind, dann kann man selbst viel mehr Geduld und Verständnis haben. Vielleicht passt das ja bei euch. Liebe Grüße

von Moni Zitroni am 11.07.2016, 20:55