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Sprechen durch Lesen?

Thema: Sprechen durch Lesen?

Hallo zusammen! Kennt so etwas jemand von einem mehrsprachigen Kind? Meine Große ist ja jetzt 4,5 Jahre alt. Früher (so mit 2-3 Jahren) sprach sie für ihr Alter wirklich gut meine Muttersprache Russisch. Letztes Jahr musste ich anfangen zu arbeiten, also musste sie länger im deutschsprachigem Kindergarten bleiben. Dazu kam, dass der deutschsprachige Papa auch unter der Woche viel zu Hause war, und da wurde zu Hause eben viel mehr Deutsch geredet/gehört. Kurze Zeit später hörte das Kind von einem Tag auf den anderen auf, überhaupt nur EIN EINZIGES Wort in meiner Muttersprache zu sagen, es kam immer nur Deutsch. :-( Naja, zwingen wollte ich sie nicht, aber sie merkt schon öfters, dass ich lieber auf Russisch mit ihr rede, und es gerne von ihr hören würde. Mittlerweile erinnert sie mich auch oft daran, Russisch zu reden, wenn ich zufällig ins Deutsche wechsle. Sie sagt auch wieder (nach langer Weigerung) ab und zu mal ein Wort auf Russisch, aber eher die gleichen Wörter, und recht vereinzelt. Es kommen auch "eingedeutschte" Konstruktionen vor wie "Ich habe schon Zuby getschistit". Zuby = Zähne, tschistit = putzen. Aber wenigstens etwas. Eine wirkliche Verbesserung beim Russischen habe ich gemerkt, als wir ernsthaft anfingen, lesen zu üben, also vor etwa 3 Monaten. Sie konnte ja schon die russischen Buchstaben, und jetzt bemerkte ich Interesse dafür, wie sich aus denen die Wörter zusammensetzten. Wir holten also die Leselernbücher wieder raus und begannen zu üben, natürlich sehr spielerisch. Und siehe da, plötzlich machte das Lesen klick, aber nicht nur. Das, was sie einige Male liest, das SAGT sie auch! Das wandert in den aktiven Wortschatz, und wird angewandt! Als ob sie gerade durchs Lesen merkt, wie das Wort korrekt ausgesprochen wird. (Ich muss dazu sagen, ich spreche undeutlich, auch in meiner Muttersprache.) Kennt das jemand von euch?

von Ivdazo am 08.01.2020, 21:45



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Hej Ivdazo! Interessant, was Du beschreibst. Und nein, ich kenne das nicht. Aber ich weiß ja aus Erfahrung mit meinen Leuten, daß es die unterschiedlichsten Lerntypen gibt.. Es gibt viele Menschen, die enfach zuhören und nachahmen - so ist es muttersprachlich ja sowieso . Es gibt andere,die möchten die Grammatik verstehen, die wollen wissen, warum etwas ist, wie es ist, bevor sie überhaupt loslegen. Andere lernen in der Tat auch durch Lesen - zwar nicht immer und unbedingt die Aussprache (bei einer Fremdsprache), ich könnte es nun bei Deiner Tochter so deuten, daß sie durch die Sicht, WIE die Wörter wirklich geschrieben sind und vermutlich eben richtig (deutlich) ausgesprochen werden sollten, besser versteht, was sie bedeuten, wie sie zusammenhängen - und daß sie sie dadurch auch erst richtig versteht? ich kann das nicht auf Russsisch umwandeln, ich kann kein Russisch, aber ich weiß, daß Ihr ebenso wie im Deutschen oder noch mehr viel mehr Kasusendungen habt, auch Konjugationenendungen (?) - wenn man die aber bei einer "nuscheligen" Mutter nicht gut hört und gleichzeitig eine Perfektionistin (wie auch meine Tochter ) ist,dann will man es entweder richtig machen oder gar nicht, fühlt sich verunsichert durch die "Gleichheit = Undeutlichkeit" und sagt eben lieber nichts. Nun aber sieht sie die Zusammenhänge, die Endungen, versteht die Zusammenhänmge - udn traut sich wieder. Könnte das eine Lösung sein? Meine Tochter ist als kleines Mädchen mAanchmal zu mit gekommen und hat ein Wort von mir wiederholt, mit fragendem Blick, so daß ich merkte, siewill wissen,. ob sie es richtig ausgesprochen hat. Sowas hat Deine Tochter vielleicht nie gemacht, aber jetzt beim Lesen gemerkt, daß sie DA Antwort bekommt. Man kann ja - nun mal auf Deutsch übertragen - durchaus bei den Konjugationen manche Endungen weglassen - ich geh (statt gehe), und bei undeutlichen Menschen verschwinden eben auch noch mehr Endungen (er geh(t) - wir geh`n - (gehen) etc. --- auch da könntees für einen visuellen Lerner ja eine Offenbarung sein zu sehen: ach so, DIESE Endung, DIESER Buchstabe gehört dahin, so heißt das richtig - das habe ich ja nie richtig gehört! Oder ich stelle manchmal fest, daß mene Leute Probleme haben: "auf-auch-aus" zu unterscheiden - erst wenn ich das an der Tafel zeige, SEHEN sie die Unterschiede - anscheinend hören sie sie schlechter. Einer verwechselte mal konsequent "wir" und "wie" --- dabei gibt es kein logisches dänisches Problem dabei, das kÖNNEN die sagen, aber hätte es sich evtl. auch noch mehr anschauen müssen... Das wäre so meine Erklärung auf eine spannend Entwicklung, die Du da erzählst. Danke fürs Teilen - udn erzähl mal, wie es weitergeht. das ist doch wirklich sehr interessant! Gruß Ursel, DK

von DK-Ursel am 09.01.2020, 00:01



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JA! Hören ist hören . es übt das Wort wieder zu erkennen es braucht ganz viele Wiederholungen, bis man es aus passiven Verstehen ins aktive Anwenden unwandelt Lesen ist halb passiv, es ist aktiver und übt das aktive Anwenden richtig klick hat es bei meinen Kindern mit Schreiben gemacht. aber erst seit Kurzen kann meine Tochter meine Sprache auch frei für Aufsätze anwenden vorher hat sie in Deutsch die Geschichte aisgedacht und dann quasi Sätzeweise übersetzt seitdem klappt auch das aktive spontane Reden, die Dialoge usw. meine beiden Kinder waren junger als 1 Jahr, als sie ganztags in der deutschen Krippe waren. was selbstverstäbdlich mit Deutsch als Muttersprache Hand in Hand ging aber sie lesen, schreiben (wenn auch mit sehr armen Wortschatz und gri ottenschlechter Grammatik) und reden (mit Fehlern in allen Bereichen, von Grammatik bis Aussprache) ich bin richtig stolz auf sie

von lubasha am 09.01.2020, 12:16



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Ja, aber es kommt eben immer darauf an, WIE man generell lernt. ich habe ganze Arbeiterkurse gehabt, denen ich mit Büchern und gedrucktenregeln, egalwie ichsie erklärte, nichts beibringen konnte - aber hören, sprechen ... das konnten sie... Früher haben die Menschen viel auswendig gelernt - Regeln, Wörter --- heute KÖNNEN die Jugendlichen laut Lehrern hierzulande dies gar nicht mehr, von WOLLEN reden wir erstmal gar nicht. Aber dadurch muß man sich bei Wiederholung zum Einschleifen bestimmter Strukturen andere Dinge einfallen lassen -zu mGlück spielen Dänen sehr gerne, auch noch als Erwachsene (etwas, was meine "boglige" Tochter, wie man die nennt, die viel ausbüchern lernen, Theoretiker, Akademiker - immer sehr nervte; die kapiert und weiß das 3x schneller nach 10minütigem einer Regel etc.)...) Sei froh,daß Deine lesen, Lubahsa, dadurch erweitern sie den Wortschatz. Was ist mit Vorlesen??? Gruß Ursel, DK

von DK-Ursel am 09.01.2020, 13:52



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Vorlesen fällt momentan hier die Zeit. so richtig regelmäßig nicht aber die Not macht erfinderisch. ich sorge für Büchernachschub, und sie lesen es sich gegenseitig vor. freiwillig allerdings nur auf Deutsch. ich bin glücklich dass es muttersprachliche Schule incl. Hausaufgaben in Literatur gibt. als sie klein waren, ging vorlesen in beiden Sprachen. jetzt nicht mehr. das sehen sie zurecht als Arbeit an, den Text zu hören und genießen es nicht. also hole ich doch eher deutsche Bücher zum Vorlesen. weil Lesen Freude machen soll. ich hoffe, dass sie dadurch später die Freude am Lesen haben werden bei der großen hat es prima geklappt und Literatur in meiner Sprache übernimmt die muttersprachliche Schule. also lesen sie.. regelmäßig

von lubasha am 10.01.2020, 22:09



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Hej Lubasha! das ist ein guter Ansatz (sagt auch die Bibliothgekarin in mir ). Ich fand es immer toll, daß gerade beim Vorlesen eben Schönes mit dem Nützlichen verbunden wurde - allerdings haben meine Kinder beide Sprachen gleich gut verstanden und gleich gern gehört/gelesen - Übersetzungen (wie z.B. Harry Potter) sogar lieber auf Deutsch als auf Dänisch. (Bei uns ist Dänisch ja die Umgebungssprache.) Das < problem ist nat+ürlich (wie beim Instrumentspielen/Sport), daß erst mit der Übung auch der Spaß kommt --- d.h. praktisch: Wenn man nicht übt, bleibt es ewig bei Hänschen klein auf der Flöte oder Geige, bleibt es bei schlechten Zeiten im Laufen oder Schwimmen - erst wenn man übt und ein bißchen mehr kann, kommen die spannenden Sachen. Das ist bei Sprache nicht anders, weswegen es eben manchmal auch blöde für Erwachsene ist, eine Fremdsprache zu lernen und dann Bücher zu finden, die ihrem geistigen Niveau entsprechen, aber auch zu den viel niedrigeren Sprachkenntnissen. und der Punkt ist eben, daß es ohne Übung - also weiter vorlesen in der NIcht-Umgebungssprache - nicht besser wird bzw. das (Vor-)Lesen Arbeit bleibt. Aber toll, daß Ihr muttersprachl. Unterricht habt, scheint ja auch weit gefaßt zu sein, wenn sogar Literatur vorkommt! Das hat mir hier oft sogar im Fremdspracheunterricht gefehlt für die Kinder! Gruß Ursel, DK .

von DK-Ursel am 11.01.2020, 00:33



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Hallo! In Russland, Ukraine und Weißrussland sicher, aber wahrscheinlich auch in den anderen Ländern, die früher zur UdSSR gehörten, ist Literatur ein eigener Fach, neben Russisch (und Ukrainisch oder Weißrussisch). Die Unterscheidung ist schon ab der ersten Klasse da. Im Russischen gibt es viele Regeln, was Rechtschreibung und Grammatik betrifft, Da muss man im Fach "Russische Sprache" auch eher die Sprache mit ihren Besonderheiten lernen, natürlich gibt es da auch bei den Übungen immer wieder Beispielsätze aus der Literatur. Im Fach "Literatur" wird dann gelesen, gelesen und gelesen. Und besprochen natürlich. Oft auch Gedichte auswendig gelernt. Beim Russischen Klub hier in der Nähe (60 km einfache Strecke) gibt es auch samstags Unterricht für Kinder, Russische Sprache, Literatur, Malen, Tanzen und ich glaube, noch etwas. Ich überlege auch schon, ob es was wäre für meine Große. Zumindest lernt sie dort andere russische Kinder kennen, die es hier auf dem Dorf einfach nicht gibt. Die Entfernung ist halt blöd.

von Ivdazo am 11.01.2020, 08:08



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Hier wird auch in beiden Sprachen vorgelesen bisher. Aber ich sehe schon Probleme für die Zukunft, weil es nicht genug neue russische Bücher gibt. Deutsche Bücher sind dagegen überall. Russische kann man fast nur im Internet bestellen, und da weiß man nicht unbedingt, ob das Buch auch im Inneren so gut ist wie außen. Ich will gerne mal wieder nach Ukraine, um nach neuen Büchern zu schauen. Ja, "normale" Leute bringen Andenken aus dem Urlaub, und bei meiner Familie sind es haufenweise Bücher. ;-)

von Ivdazo am 11.01.2020, 09:04



Antwort auf Beitrag von Ivdazo

HejIvdazo! Danke für dieAufklärung, das ist ja hochinteressant. Und toill!!! Anscheinend wird ja auch in Dtdl. längst nicht soviel Literatur mehr vermittelt wie früher bei uns. Das ist so schade. Sie gehört doch zu Sprache und Kultur grundlegend dazu!! Das mit den Büchern kenne ich auch, 1 Koffer war immer für dt. Bücher, wenn wir in Dtld. "sommerten". Jetzt sitze ich auf Bergen von dt. Kinderbüchern, max 1-2 gelesen, die mein Mann auf den Papiermüll werfen will, seufz. 60km sind viel. Wirhatten ja Muttersprachenunterricht erstritten,der in Aarhus stattfand, ca. 25km von uns entfernt (einf. Strecke). Aber selbst das war uns zu weit, weil auch zu wenig für die Tochter dabei rauskam, daher ließen wir es. Es war auch nicht so maßgeblich für sie, anderer mehrsprachige Kinder kennenzulernen - aber manchen tut es gut. Danke nochmal für die Erklärung - Ursel ,DK

von DK-Ursel am 11.01.2020, 11:05