Chronisch kranke und behinderte Kinder

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Geschrieben von Mama von N am 11.07.2018, 16:34 Uhr

Was tun? Sagen oder nicht.

Hallo liebes Forum

Ich brauche neutrale Meinungen. Ich habe im Umfeld niemanden, mit dem ich drüber reden kann. Ist kein leichtes Thema. Und da schotten sich viele ab und manche will man damit auch gar nicht belasten.

Mist, das wird lang.

Wo fang ich an. Ich war vor vielen Jahren hier als Mama von Nicolino unterwegs. Damals alleinerziehende Mama und Nico war trotz seiner Behinderung (spastische Tetraparese und Rolli Versorgung) immer ein fröhliches und quirliges Kerlchen.
Nico ist inzwischen ein junger Mann und 17 und ich bin wieder (sehr glücklich) verheiratet. Mein Mann hat Nico angenommen und liebt ihn, wie sein eigenes Kind, hat ihn sogar Adoptiert. Er hat alle Pflichten eines Papas übernommen und sollte auch alle Rechte eines Papas haben.

Nico konnte mal den ganzen Tag im Rolli sitzen, alleine herum fahren, hat gemalt, gebastelt, alleine essen können, sogar Suppe. Hat mir im Rahmen seiner Möglichkeiten geholfen. Mit begeisterung Playstation gespielt oder LKW Fahrer am PC.

Seit 1,5 Jahren ist das vorbei. Nico ist zu 98 Prozent Bettlägrig und jetzt schwerstbehindert. Wir finden keine Ursache für seinen Zustand. Wir haben eine Tour durch fast alle Krankenhäuser in Österreich hinter uns. Waren in Tirol bei einem Spezialisten in einer Spezialklink. Nico hat inzwischen durch gute Medikamente recht gute Phasen, wo es ihm gut geht. ABer vom Urzustand ist er Lichtjahre entfernt.

Er hat aber auch schlechte und ganz schlechte Phasen. SO einen Schub hatten wir vor ca. 3 Wochen. Da mußte er auf die Intensiv und sediert werden, weil es anders nicht mehr ging. Er hat unerklärliche Schübe. D.h. dann Spastik, einen Puls von 200, schwitzen und das extrem. Durchfall, Erbrechen, Spasmen, gepresste Atmung und starke Schmerzen. Meistens kann ich das zu Hause mit starken Medikamenten abfangen, aber nicht immer. Und da wir einfach nicht raus finden, woher das kommt, haben inzwischen Krankenhaus Vorort, Spezialklinik, Uniklinik usw. kapituliert.
Ich hab 1,5 Jahre gekämpft, gesucht, KH und Ärzte kontaktiert. Immer hieß es, kriegen wir schon wieder hin. Aber egal, was man Versucht, gedacht oder probiert hat, es hat nichts geholfen, hat sich manchmal als die Komplett falsche Rihtung erwiesen und wir waren wieder am Anfang. Das alles zu erzählen, würde jetzt auch den Rahmen sprengen.

Bei unserem letzten Besuch auf der Intensiv und einem Schub über 4,5 Tage, wo eben nur noch sedieren geholfen hat, wurde Nico als Palliativpatient eingestuft. Ein Schock für mich. Nach 17 Jahren mit einem behinderten Kind hat man genug medizinisches Fachwissen, das man weiß, was das heißt und heißen kann.

Mein Mann wollte wissen, was das heißt. Ich habe ihm erklärt: Fortschreitende, schwere Erkrankung, vermutlich ohne Chance auf Heilung (klar, wenn man keine Ursache findet). Man kann nur noch Symptome und Schmerzen behandeln.
Aber etwas habe ich ihm verschwiegen. Das es auch eine stark verkürzte Lebenserwartung bedeuten kann.

Ich kann ihm das einfach nicht sagen. Er liebt Nico von ganzem Herzen. Ist mit uns durch dick und dünn gegangen und war oft genug genau so verzweifelt wie ich. Wie soll ich ihm das sagen, wenn ich selber kaum damit fertig werde
.
Insgeheim ahne ich es vermutlich schon lange. Erklärt mich für verrückt. Ich wußte Wochen vorher, das da was kommt und immer war ein Satz in meinem Kopf: Nicos Uhr tickt. Ich kanns nicht erklären. Man hat zu einem besonderen Kind einfach ein e ganz besondere Verbindung.

Das mit sedieren war nicht das erste mal. Einmal konnte er kaum noch atmen.
Er hatte Phasen, da ging das über Wochen. Da waren wir stationär in einer Uniklink. Und dann fragt man sich natürlich, wie lange schafft er das. Körperlich und seelisch.

Mein Mann ist Fernfahrer. Er muss ich aufs Fahren konzentrieren! Er hat, als Nico sediert werden mußte schon fast einen Unfall gebaut. Da könnte ich ihm das nicht auch mal eben so am WE sagen.

Alle aus unserem Umfeld, die mit dem Begriff Palliativ etwas anfangen können, sagen das selbe. Sag es ihm nicht. Er packt das nicht. So denke ich auch. Und sie haben mir absolutes Stillschweigen geschworen.
Aber ich komme mir schlecht dabei vor, ihm das nicht zu sagen. Wenn man mir das verschwiegen würde, wäre ich zutiefst verletzt, enttäuscht und sauer.
Und da ist auch die Berfürchtung, dass sich doch mal jemand verplappert.

Sagen könnte ich es ihm erst im August, wenn er Urlaub hat. Aber reicht eine Woche um sowas "zu verdauen"?

Ich bin hin und her gerissen. Der Überzeugung, das es besser ist, ihm das nicht zu sagen und meinem Gewissen, meinem Mann so etwas wichtiges zu verschweigen.

Sorry für Tippfehler. Der Text ist für mich auch nicht leicht. Ich sitze da jetzt seit 30 Minuten dran.

Birgit

 
7 Antworten:

Re: Was tun? Sagen oder nicht.

Antwort von niccolleen am 11.07.2018, 19:04 Uhr

Ich persoenlich denke, dass es ein schwerer, ganz schwerer Fehler waere, es ihm auch nur einen Tag noch zu verschweigen. Jemand, der mit einem und mit dem Kind durch dick und duenn gegangen ist und weiterhin geht, hat einfach das Recht darauf, nicht vom Informationsfluss ausgeschlossen zu werden. Es ist ein grosser Vertrauensbruch und darauf wuerde ich es in eurer Situation nicht ankommen lassen. Ihr braucht euch alle und stell dir vor, dir wuerde diese essentielle Info vorenthalten werden...

Alles Gute fuer euch, ich hoffe, es findet sich doch noch ein Ausweg,
lg
niki auch aus Oesterreich

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Re: Was tun? Sagen oder nicht.

Antwort von Mädelsmama86 am 11.07.2018, 19:08 Uhr

Hallo

Erstmal möchte ich dir sagen das es mir sehr leid tut für dich und ich finde es bewundernswert was du in den letzen 17 Jahren gemeistert hast und das teils alleine.

Nun zu deiner Frage:

Eine ehemalige gute Freundin von mir, ihre Tochter war auch schwerst behindert und wurde auch in das Palliativ Programm aufgenommen und ich war froh und dankbar das sie mir die Wahrheit gesagt hatte. Ich bin zwar nicht der Papa oder so, aber ich war bei der Geburt dabei, habe mich immer mit um die Maus gekümmert (im Gegensatz zu dem Vater), ich war die einzige die ihre kleine zum aufpassen bekommen hat und da wir beide alleine waren, war ich im Endeffekt fast immer da. Sie hat zwar dann ihren Mann kennen gelernt und da ist Selbstverständlich das es etwas weniger wurde, aber ich war da. Der neue Mann hat sich super gekümmert und trotzdem hat sie mich immer mit einbezogen und alles erklärt. Hätte sie mir sowas wichtiges nicht erklärt wäre ich sauer gewesen.... und das obwohl ich kein Anrecht (im Gesetzes Fall) dafür hatte.

Bei dir liegt das ganze anders, er ist der Vater, dafür musstest du auch unterschreiben, da hat er zum einen ein Anrecht die Wahrheit zu erfahren und zum andern, denke ich das eure Beziehung darunter leiden könnte, wenn es zum dem schlimmsten Fall kommt und er nicht vorher schon wusste, das es passieren kann. Er könnte sich betrogen fühlen und sauer sein.
Ich kann deinen Gedanken gut nachvollziehen, aber denke jeder Mensch sollte die Wahrheit wissen und vorallem wenn es um so ein Thema geht, noch mehr.
Ja es wird ein Schock für ihn sein, aber sollte der schlimmste Fall eintreten wird es das genauso sein.

Du scheibst selber das du auch sauer wärst, wenn du sowas vorenthalten bekommen würdest, so wird dein Mann vielleicht auch reagieren.

Die Idee mit dem Urlaub fände ich, in Anbetracht des letzen fast Unfalls am besten.
Dann müsstet ihr das Gespräch aber gleich am Urlaubs Anfang suchen, nicht das es dann wieder hinaus gezögert wird und dann wieder nichts wird.

Ich wünsche euch viel Kraft

Lg

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Re: Was tun? Sagen oder nicht.

Antwort von 3wildehühner am 12.07.2018, 0:48 Uhr

Erst einmal möchte ich dir sagen, wie leid es mir tut, dass dein Sohn nun so hoffnungslos erkrankt ist.
Bist du dir sicher, dass dein Mann nicht weiß, was „palliativ“ bedeutet?
Ich kann das gar nicht glauben; das ist doch ein alltäglicher Begriff!
Kann es nicht sein, dass er das durchaus weiß, sich aber nicht so sehr damit auseinander setzen möchte?
Du hast ihm doch auch erklärt, dass nur noch die Schmerzen behandelt werden können-da ist der frühe Tod doch eigentlich eine logische Schlussfolgerung.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das nicht weiß. Möchte er dich eventuell nicht noch mehr belasten?
Ich denke, du solltest das Thema so schnell wie möglich ansprechen, damit es nicht zu spät ist. Ich glaube aber wirklich nicht, dass für deinen Mann der Gedanke an den Tod so weit weg ist. Immerhin lag dein Sohn schon häufig auf der Intensivstation und er sieht, dass er immer mehr abbaut.
Ich könnte mir vorstellen, dass er dich schützen und schonen möchte und deshalb nichts sagt. Dass ihr beide also eigentlich ähnlich handelt.
Ich wünsche euch dennoch, dass ein Wunder geschieht und die Ärzte sich täuschen und doch etwas gefunden wird, was geheilt werden kann!

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Re: Was tun? Sagen oder nicht.

Antwort von mareen283 am 12.07.2018, 12:19 Uhr

Liebe Birgit.

Ich würde es ihm sagen.
Er hat Nico adoptiert, ihr seid verheiratet - wie würde er sich fühlen, wenn er schlußendlich merkt, daß Du ihm die ganze furchtbare Zeit lang nicht die Wahrheit gesagt hast?

Du kennst Deinen Mann und Du kannst ihn am besten einschätzen. Bedenke, wie viel mehr Deiner Sorgen um Nico und seiner Prognose Du mit ihm teilen könntest. Mir wäre es unendlich wichtig, meinen Partner in einer derart außergewöhnlichen Situation informiert an meiner Seite zu wissen. Ihr habt schon viel "dickes und dünnes" miteinander geteilt. Ich finde es da nur fair, ihn nicht außen vor zu lassen.

Für Nico wünsche ich alles erdenklich Gute und das er schmerzfrei und nicht bei Bewußtsein die Zeit durchstehen wird.

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Re: Was tun? Sagen oder nicht.

Antwort von Mama von N am 12.07.2018, 14:42 Uhr

Hallo

Danke für eure Antworten und auch PN. Ihr habt mir bestätigt, was ich mir ohnehin denke. Ich muss es meinem Mann sagen. AUch wenn ich noch nicht weiß, wie ich das schaffe. Aber erst im Urlaub. Vorher gehts nicht. Da hätte ich zuviel Angst, das ihm etwas passiert.

Ich weiß, Nico kann noch eine ganze Weile bei uns sein. Aber wenn diese schlimmen Schübe kommen, habe ich immer Angst. Es laugt ihn so aus. Er ist dann so fertig und er ist dann immer sofort im Gesicht richtig eingefallen. Da fragt man sich, wie oft und wie lange schafft er das noch.

Er ist ein Kämpfer, das war er schon immer. Und so lange er kämpft, wird er das noch schaffen. Und vielleicht passiert ja noch ein Wunder.

Lg
Birgit

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Re: Was tun? Sagen oder nicht.

Antwort von Lck am 06.09.2018, 16:57 Uhr

Hallo nicolino‘s Mama!

Ich bin ganz zufällig über diesen Beitrag gestolpert und habe mich deshalb geschwind angemeldet. Sicherlich sind alle folgenden untersuchungsvorschläge bereits erfolgt aber ich wollte kurz auf Nummer sicher gehen. Ich bin Kinderrärztin auf einer großen pädiatrischen Intensivstation. Kinder mit Tachykardien haben wir gar nicht allzu selten. Bei ansonsten gesunden Kindern sind diese meist durch Rhythmusstörungen ausgelöst. Diese Tachykardien sind fast immer sogenannte supraventrikuläre Tachykardien die auf bestimmte Medikamente ansprechen (Adenosin oder Flecainid) oder durch gezielte Applikation von Strom in einen normalen Rhythmus überführt werden können. Bei körperlich behinderten Kindern, vor allem bei Kindern mit Querschnittslähmung, aber auch, was wenig bekannt, ist bei Kindern mit infantiler cerebralparese, kann es in Folge einer überfüllten Blase oder Schmerzen zu einer Tachykardien kommen. typischerweise wird diese Art der Tachykardie von einem erhöhten Blutdruck und Schwitzen begleitet. Eine weitere Form der Tachykardie findet sich bei Kindern die dauerhaft auf eine künstliche Beatmung angewiesen sind. Hier ist es unfassbar wichtig, dass die Beatmung zyklisch durchgeführt wird, das heißt, dass Tages- und Nachtzyklen eingehalten werden. Beispielsweise tagsüber nur druckunterstützemd oder CPAP und nachts druckkontrolliert. Des weiteren treten extrasystolen (haben wir alle) bei tetraspastischen Kindern überdurchschnittlich oft, d.h in ihrer Anzahl auf, und können auch zu Tachykardien führen. In diesem Fall würde man auch über niedrig dosierte betablocker wie propranolol nachdenken.
Schlussendlich gibt es Syndrome wie beispielsweise das Wolff-Hirschhorn-Syndrom bei denen die Kinder unter regelmäßig auftretenden Tachykardien leiden, typisch hierfür ist auch ein Anstieg der Körpertemperatur in diesen Phasen und eine Flush-Syptomatik (gerötetes Gesicht, Rumpf). Tatsächlich gibt es zur Behandlung dieser tachykardien lediglich Fallbeispiele. Bei uns haben wir ein Kind mal mit Dantrolen erfolgreich behandeln können, was eigentlich ein Medikament ist welches in der Narkosemedizin Anwendung findet wenn Kinder mit Tachykardie und Fieber auf eine Narkose reagieren.
So das war lang und ich bin mir fast sicher, dass all diese Möglichkeiten bereits in Betracht gezogen wurden. Ich selber kann nur erahnen Was es bedeutet wenn einem gesagt wird, dass man ein Kind als Palliativpatienten betrachtet. Letztendlich ist es aber auch so, dass es für uns als Kinderärzte oft einfach bedeutet, dass wir nicht mehr an eine grundsätzliche Heilung des Problems, also hier der Tachykardien festhalten sondern rein symptomatisch behandeln. Auf der anderen Seite kann dies allerdings auch bedeuten, dass man aufgrund der Grundsituation auf weitere invasive Diagnostik verzichtet, die dem Kind Schmerzen verursachen würden.
Ich wünsche euch als Familie alles erdenklich Gute und hoffe auf eine Wendung des Blatts!
Viele Grüße Laura K.

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Re: Was tun? Sagen oder nicht.

Antwort von Laufente123 am 27.09.2018, 0:17 Uhr

Ich weiß nicht
ich denke Dein Mann weiß bereits was Sache ist.
Ich würde frühestens im Urlaub darüber sprechen, wenn überhaupt. Wenn er Details wissen wollte dann würde er fragen. Er sieht doch, dass der Sohn jetzt schon lange nicht ehr das kann was er früher konnte. Er sieht doch, dass es nicht besser wird.


Es hat sicher einen Grund, dass Dein Mann nicht genauer nachfragt.
Aber ja, im Urlaub ist es eine gute Gelegenheit sich auszusprechen. Dich belastet es doch auch, dieses Gefühl dass die Uhr tickt. Und alleine kannst du das auf Dauer nicht tragen.

Alles Gute! Wenig Schmerzen und hoffentlich noch einige schöne Stunden wünsche ich Euch
Liebe Grüße
Laufente

P.S. Ich finde und fand Stephen Hawkings immer bewundernswert. Er konnte fast nichts und hat dennoch viel am Leben teilgenommen.

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