Sehr geehrte Frau Ubbens, ich wende mich an Sie wegen des eigentümlichen Verhaltens meines Sohnes, der im April 2,5 Jahre alt wird. Er ist für sein Alter sehr groß und energiegeladen und auch in seiner Entwicklung im Vergleich zu Gleichaltrigen sehr weit fortgeschritten (wird meistens für 3+ gehalten), zeigt jedoch im Umgang vor allem mit Gleichaltrigen und wenig jüngeren ein teilweise sehr ablehnendes Verhalten. Zwar gibt es Phasen, in denen er im großen und ganzen friedlich mit ihnen spielt, wenn er mit ihnen zusammentrifft, doch dann wieder reagiert er auf sie mit Hauen und Schubsen, bewirft sie mit Sand oder zieht an den Haaren (bei Mädchen). Manchmal geschieht dies in einer mir nachvollziehbaren Situation (zB auf dem Spielplatz, wenn ein anderes Kind mit seinen Spielsachen spielen möchte oder beim Gedrängel an der Rutsche); manchmal geschieht dies aber völlig auch aus dem Nichts heraus, aus dem friedlichen Spiel oder im Vorübergehen. Da ich in solchen Situationen dann nicht weiß, aus welchem Bedürfnis oder Gefühl heraus er so handelt, fällt es mir schwer, adäquat darauf zu reagieren. Natürlich sage ich strikt, dass er das nicht tun dürfe und halte ihn dazu an, sich zu entschuldigen (was er dann auch sofort macht), doch zwei Minuten später kann es wieder vorkommen. Ich versuche auch immer, ihm zu vermitteln, dass er seine Bedürfnisse formulieren müsse, da er schon sehr gut spricht, doch mir scheint, er ist noch völlig in alten Verhaltensweisen „gefangen“, die eigentlich gar nicht mehr seinem aktuellen Entwicklungsstand entsprechen. Ich muss dazu sagen, dass mein Sohn in den letzten Monaten eine wirklich atemberaubende Entwicklung durchgemacht hat – er spricht in ganzen Sätzen, kann verhältnismäßig komplexe Gedanken formulieren, singt Unmengen an Liedern nach, zählt bis zwölf, macht Puzzles für 3- und 4jährige (35 Teile), ist sehr selbständig im täglichen Leben, macht schon vieles allein (zB Gesicht und Hände waschen, Zähneputzen, Schuhe anziehen, Brot schmieren) – und hat einen unglaublichen Wissensdurst, ja –drang. Ich weiß darum nicht, ob er nicht manchmal von seinen eigenen Fähigkeiten oder dem Feuerwerk in seinem Kopf überfordert ist. (Und um das deutlich zu schreiben: Der Antrieb, Neues tun zu wollen, kommt von ihm, nicht von uns – wir versuchen dann nur, seiner Neugier gerecht zu werden – ich würde ihn manchmal lieber mal ein bisschen bremsen, doch dann wird er erst recht unleidlich; aktuell interessieren ihn zB Buchstaben und die Uhr) Hinzu kommt, dass er gerade erst einen Wachstumssprung von mehreren Zentimetern hatte. Er hat im Moment auch ein höheres Schlafbedürfnis, wirkt aber, um dies deutlich zu machen, keineswegs krank. (Er hört und sieht übrigens bestens – also auch in dieser Hinsicht wohl keine Unsicherheiten.) Könnten dies Gründe dafür sein, warum es im Moment besonders schwierig für ihn ist? Und ist davon auszugehen, dass es sich von allein wieder etwas beruhigt? Seit einigen Wochen scheint er zudem sehr stark in der Trotzphase zu stecken. Seine liebsten Wörter sind „Ich“, „Nein“ und „Alleine“. Oder auch: "Nein, das darfst du nicht!" In Situationen, in denen sein Wille mit dem unseren oder den täglichen Pflichten kollidiert, zeigt er das typische Verhalten; auch uns gegenüber wird er dann im Eifer des Gefechts mal handgreiflich, doch dies, würde ich sagen, bleibt noch im normalen Rahmen. Ansonsten ist er zu Hause friedlich und ruhig und spielt ausgeglichen, durchaus auch mal für sich allein, am liebsten aber natürlich mit uns. Mein Sohn ist ein sehr temperamentvolles Kind, von Anfang an gewesen. Es gibt eigentlich nichts, was ihn nicht interessiert. Allerdings ist er (bisher) Einzelkind, und da wir nicht viele Freunde mit gleichaltrigen Kindern haben, ist sein Kontakt mit Kindern seiner Altersklasse auf die Besuche des Turnens (mittlerweile ausgelaufen), des Kinderschwimmens und des Spielplatzes beschränkt (gewesen). Manchmal erscheint es mir so, als könnte er mit dem Verhalten von Gleichaltrigen und Jüngeren nicht gut umgehen, wenn die ihm mit ihrer Tapsigkeit in die Parade fahren. Mit Älteren (vor allem Jungen) spielt er lieber und nimmt von ihnen durchaus auch eher hin, dass sie den Ablauf eines Spiels bestimmen, solange sie MIT ihm spielen und nicht gegen ihn oder an ihm vorbei (und zB den Ball einfach nur wegnehmen). Ab August besucht er einen Kindergarten. Denken Sie, wir können hoffen, dass der tägliche Umgang mit Kindern seines und höheren Alters sein Verhalten – sozusagen von allein, wenn auch mit Begleitung – verändern wird? Oder gibt es einen Tipp, wie ich mich in typischen Situationen verhalten kann? Ich möchte ihn einerseits nicht frustrieren, indem ich ihn beim Ankommen auf dem Spielplatz schon ermahne, noch BEVOR er sich schlecht verhalten hat, doch ich muss gestehen, dass mich dieses ständige Auf-der-Hut-Sein (das ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen) und Eingreifen doch sehr stresst – mal abgesehen davon, dass bisher kein von mir ersonnenes pädagogisches Mittel gefruchtet hat. Ich bin immer froh über andere Eltern, die ganz entspannt auf sein Verhalten reagieren (und das sind glücklicherweise die meisten), doch es gibt halt auch andere Eltern, meist Mütter, die weniger verständnisvoll reagieren… und da bin ich dann erst recht hin- und hergerissen zwischen berechtigter Schelte und andererseits Beschützen vor inadäquaten Reaktionen mancher (weniger) Mütter. Manchmal wünschte ich mir insgeheim die Zeiten zurück, in denen man die Kinder einfach auch mal hat zurückschubsen lassen, denn manchmal glaube ich, mit (moderater) Gegenwehr der anderen Kinder wäre bei ihm mehr erreicht als mit tausend elterlichen Ermahnungen… (Das hab ich sogar schon erlebt bei dem Sohn einer Freundin, der zwei Jahre älter ist: ein Schubser hin, einer zurück, dann war das Thema durch für den Rest des Nachmittags.) Es tut mir leid, dass meine Anfrage so lang geworden ist. Ich hoffe, Sie können einem verzweifelten Vater ein bisschen weiterhelfen… Mit den allerbesten Wünschen…
von HerrHardenberg am 31.03.2014, 17:56