Ich weiß oft nicht mehr weiter (lang)

 Christiane Schuster Frage an Christiane Schuster Sozialpädagogin

Frage: Ich weiß oft nicht mehr weiter (lang)

Guten Tag Frau Schuster. Ich fühle mich vom Verhalten meiner Tochter oft völlig überfordert. Sie wird im November 4 Jahre alt und kommt im August in den Kindergarten. Ich will zunächst ihr Verhalten schildern, dann unsere Situation. Sie ist ein ganz besonders temperamentvolles Kind. Sie hat wirklich Energie für zwei Kinder und möchte am liebsten den ganzen Tag springen und toben. Sie ist von Anfang an ein sehr forderndes Kind gewesen und es war vielleicht schon damals ein Fehler von uns gewesen, auf ihre Forderungen zu sehr einzugehen. Heute sieht es so aus, daß sie besonders auf mich kaum hört. Sie möchte machen, was sie will, was sie auch lautstark kundtut. Sie soll z.B. beim Essen sitzenbleiben oder nicht nur die Wurst essen, sondern auch das Brot und sie macht es einfach nicht. Sie läßt sich nur durch Androhen von Konsequenzen wie Süßigkeiten nicht zu bekommen, wenn sie nicht ißt oder eine Sendung im Fernsehen nicht sehen zu dürfen dazu bringen, etwas zu machen oder zu lassen. Dieses "Nicht-hören-wollen" zieht sich durch den ganzen Tag und betrifft fast alle Situationen (allein die Schuhe anziehen, wenn wir weggehen wollen, etwas bestimmtes anziehen - nein, sie will ihr Karnevalskleid...). Schlimm für mich auch ihre Wildheit. Sie geht im wahrsten Sinne über Tische und Bänke. Sie kommt und haut mich wenn ich ihr ihren Willen nicht lasse. Langsam fühle ich mich als gescheiterte Mutter - also ziemlich schlecht. Sie ist extrem laut. Unvermittelt fängt sie an, superlaut zu schreien - ohne Grund. Ich meine kein Weinen o.ä. sondern richtiges Schreien AAAAAAHHHH, wie Tarzan. Sie spricht auch sehr laut, schreit einen fast an, so daß man manchmal einfach total genervt ist. Tatsächlich ist schon etwas wie eine Nerv-Spirale entstanden. Wird sie ausgeschimpft, lacht sie nur frech ins Gesicht und macht "bä bä bä bä bä bä". Besonders diese laute Art und das laute Schreien (richtige "Attacken") gehen mir sehr an die Substanz. Das geht schon morgens los. Anstatt alleine aus dem Bett zu klettern, schreit sie so laut "MAMA", daß die halbe Nachbarschaft sie hören muß. Der Mama-Schrei verfolgt mich durch den ganzen Tag, denn kaum bin ich mal aus ihrem Blickfeld verschwunden, schreit sie nach mir. Mama ich will trinken, Mama ich wil ich will ich will. Ich dachte eigentlich immer, ich sei ein intelligenter Mensch, der sein Leben im Griff hat, aber ich fühle mich immer mehr gescheitert. Ich habe mir vieles angelesen und bin immer offen für neue Informationen, trotzdem überfordert mich die Situation. Auf der anderen Seite ist sie auch wieder unheimlich lieb und süß (und sehr intelligent). Man kann überall mit ihr hingehen. Abgesehen davon, daß sie unterwegs nicht langsam gehen kann sondern immer (vor-)rennen muß. Man kann sie ins Restaurant mitnehmen, ich bin mit ihr sogar schon mal ins Museum gegangen. Dort kann sie sich immer sehr gut benehmen. Nur zuhause mit mir allein ist sie ein Riesentyrann. Daher liegt es für mich natürlich nahe, die (Erziehungs-)fehler bei mir zu suchen. bzw. bei mir und meinem Mann. Unsere Situation zuhause ist diese: Da mein Mann beruflich einige Probleme hatte, Fuß zu fassen, waren wir mehrmals mit Ortswechseln konfrontiert. Aus unserer Heimatstadt zogen wir in ein kleines Dorf, als sie 1,5 Jahre alt war. Als sie drei wurde, zogen wir zurück in unsere Heimatstadt, weil ich schwanger war und bis zum nächsten Erziehungsurlaub arbeiten wollte. Da das Vollzeit bedeutete, wurde sie morgens in einer Kindergruppe betreut und nachmittags von der Oma. Während dieser Zeit wurde mein Mann arbeitslos und war für ca. 3 Monate zu Hause. Dann fand er eine Stelle, wo er von zu Hause aus arbeitete. Da das organisatorisch kaum zu handeln war, sind wir jetzt vor vier Wochen wieder umgezogen, diesmal in eine Kleinstadt, weit weg von Oma und Opa. In der Zwischenzeit wurde dann auch noch der kleine Bruder geboren, der jetzt 16 Wochen alt ist. Zu allem Überfluß auch noch per Kaiserschnitt, den ich sehr schlecht körperlich verwunden habe und eine lange Zeit eigentlich nur auf der Couch liegen konnte. Ich weiß, daß das für ein kleines Kinderleben an sich schon fast zuviel Veränderungen im Leben sind, eine größere Kontinuität ließ sich aber besonders durch den Arbeitsverlust meines Mannes nicht herstellen. Ich muß dazu sagen, daß mein Mann sehr gut verdient, wir jetzt in ein Einfamilienhaus mit Garten gezogen sind und ich nicht außer Haus arbeite. Ich achte darauf, daß wir z.B. dreimal am Tag zusammen sitzen und gemeinsam essen, wenigstens wir beide. Mein Mann hält sich bei Erziehungsfragen eher außen vor. Er arbeitet viel und ist die Woche über eigentlich nicht da. Auch am Wochenende zieht es ihn mehr an den PC, als daß er sich mit den Kindern beschäftigt. Das macht meine Probleme nicht gerade einfacher. Ich muß schon irgendwelche Unternehmungen vorschlagen, ehe er sich aufraffen kann, etwas mit dem Kind zu machen. Mein Mann gibt ihr schon mal eher einen Klaps auf den Po, wenn ihm ihr Verhalten gegen den Strich geht. Das lehne ich allerdings ab was zur Folge hat, daß sie bei ihm schon mal eher "spurt" und mir meistens auf der Nase herumtanzen möchte. Manchmal ist es so, daß ich vor lauter Genervtheit auch nur noch auf ihr rumhacke und sie nur umso frecher ist. Ich hatte mir das Leben mit meiner Tochter eigentlich viel harmonischer vorgestellt. Heute war es mit ihr besonders schlimm. Um den Kreislauf bewußt zu durchbrechen, habe ich z.B. nachdem der Kleine schlief, meiner Tochter vorgeschlagen, doch mal Fotos anzuschauen aus der Zeit als sie noch ein Baby war, um ihr zu zeigen, wie lieb sie alle hatten und wie schön es war. Ihre Reaktion war ein wüstes Geschrei "Ich will noch einen Film (Disney-Film) gucken.". Von Harmonie keine Spur. Ich setzte mich dann in den Garten um ein Brot zu essen, während sie mir abwechselnd ins rechte und linke Ohr "Hallo" brüllte. Ich brachte sie daraufhin rein. Sie kam rausgerannt und schlug mich auf den Arm. Alles unter wütendem Geschrei. Ich bin dann raufgegangen woraufhin sie mir direkt nachlief. Ich habe ihr dann ruhig die Zähne geputzt und sie ins Bett gelegt. Ich habe ihr erklärt, daß ich sie sehr lieb hätte, aber ihr Verhalten nicht mag. Ich habe es ihr aufgezählt, daß sie so laut schreit, nicht auf Mama hört und haut, und daß ich deswegen heute keine Geschichte erzählen würde. "Ich bin wieder lieb" Ich sagte ihr, sie solle morgen lieb sein, dann würde ich ihr morgen eine Geschichte erzählen. Ich verstehe nicht, warum sie so geworden ist und weiß einfach oft nicht, wie ich mit ihr umgehen soll. Daß man Kindern Grenzen setzen soll, weiß ich. Nur welche und wie macht man das? Ich habe vor zwei Jahren eine Mutter-Kind-Kur gemacht und mich dort mit einer Erziehungsberaterin unterhalten. Diese meinte, das Leben würde schon genug Grenzen mit sich bringen, die man ganz automatisch einhalten würde und den Kindern auf diesem Weg auch vermitteln würde. Ich bin durch das Lesen der unterschiedlichsten Artikel und Bücher schon ganz durcheinander und fühle mich im Moment wie in einer Sackgasse. Ich hoffe, daß sie mir ein bischen weiterhelfen können und bedanke mich schon jetzt für das "Zuhören" Petra

Mitglied inaktiv - 26.07.2001, 23:25



Antwort auf: Ich weiß oft nicht mehr weiter (lang)

Hallo Petra Auch wenn Ihre Tochter schon Einiges für sie Unverständliche in ihrem kurzen Leben mitgemacht hat: lassen Sie sich nicht auf der Nase herumtanzen! Auf der anderen Seite sollten Sie es aber auch möglichst vermeiden, mit Ihrer Tochter zu schimpfen sondern sie eher bei jeder Kleinigkeit loben. Sie wird sich durch die Geburt ihres Bruders in den Hindtergrund gedrängt fühlen und mit ihrem provozierenden Verhalten versuchen, mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Nehmen Sie sie möglichst jedes Mal in den Arm, wenn sie grundlos schreit oder sich gegen Ihren begründeten Wunsch sträubt. Geben Sie ihr dann das Gefühl, gewisser Maßen Ihr Partner sein zu dürfen um gemeinsam den entsprechenden Konflikt -evtl. mit einem Kompromiß- lösen zu können. Hat sie das Gefühl, von Ihnen geliebt und verstanden zu werden und zeigen Sie ihr, dass neben Ihren vielen zu erledigenden Aufgaben auch noch regelmäßig ein wenig Zeit für Ihre "Große" bleibt, wird sich ihr Verhalten sicherlich bald zum Positiven wenden. Üben Sie mit ihr schon mal das Kindergarten-Kind-Sein. Sie wird sich stolz fühlen und versuchen ihrer Stellung als "große Tochter" alle Ehre zu machen.- Viel Geduld, Verständnis und liebevolle! Konsequenz wünsche ich Ihnen. Zufriedenes Wochenende und: bis bald?

von Christiane Schuster am 27.07.2001