Sehr geehrter Herr Dr. Posth,
ein großes Lob für Ihre Arbeit in dem Forum, insb. für die Langtexte!
Unsere Tochter (10 Mon.) zeigt recht deutlich, wenn sie etwas möchte bzw. nicht möchte. Wenn sich das nicht mit dem, was ich möchte deckt, ist es dann eines ihrer Bedürfnisse, die ich erfüllen muss oder ihr Willen, den ich auch nicht gewähren lassen kann? Ab wann entwickelt sie einen Willen und ich muss beginnen zu erziehen? Was ist die Konsequenz wenn es ein Bedürfnis ist? Wenn sie also müde ist (Augenreiben), im Bett aber trotz Zuwendung, Streicheln, Singen, ggf. auch Hochnehmen usw. sehr lange nur schreit ist es dann ihr Bedürfnis nicht alleine zu schlafen oder gestillt zu werden oder nur eine Art Wunsch, den ich ggf. ausschlagen kann? Was ist, wenn sie sich nicht wickeln lassen möchte-hat sie dann irgendwelche Ängste oder mag sie nur nicht auf dem Rücken liegen? Was, wenn sie sich so wehrt, dass ich sie mit Kraft festhalten müsste? In welchem Fall schadet Konsequenz? DANKE!
Mitglied inaktiv - 12.05.2008, 13:12
Antwort auf:
Willen vs. Bedürfnis - praktische Konsequenzen
Stichwort: erster Wille
Hallo, Sie stellen da, vielleicht ohne das es Ihnen klar ist, eine höchst philosophische Frage. Die Unterscheidung von Wunsch, Bedürfnis und Wille im Frühstadium der menschlichen Entwicklung ist hinsichtlich ihrer Vorgänge im Gehirn sicher nicht exakt voneinander zu trennen. Lediglich in der Interpretation des Erwachsenen ließe sich eine einigermaßen logische Unterscheidung treffen. Die hätte dann etwas damit zu tun, ob die Äußerung des Kindes rein emotional erfolgt oder mit erster planerischer Absicht.
Um dieser Schwierigkeit zu entgehen, habe ich die Unterscheidung von Widerstand und erste willentliche Äußerungen getroffen und den Entwicklungsgedanken mit herein genommen. Die Bedürfnisse sind zunächst einmal rein biopsychologische Notwendigkeiten zur Befriedigung von Trieben oder Grundansprüchen an das Dasein. Sie werden nicht willentlich gesteuert, sondern unterliegen einem Gefühl vonr Entbehrung bei Unbefriedigtsein.
Der Widerstand dient der Erfahrung eigener Handlungsfähigkeit und entsteht, wenn, wie Sie richtig sagen, der kindliche Wunsch durch die elterliche Aktion scheinbar missachtet wird. Dieser Widerstand lässt das Kind aber erleben, dass es einen eigenen Willen besitzt. Das ist von Grund auf notwendig, damit sich Authentizität heranbildet und das Selbst aus der Mutter-Kind-Dyade befreien kann. Ich will es bei diesen Ausführungen zunächst belassen und schreibe Ihnen noch einmal kurz, wie die Eltern im Einzelnen mit diese Lebensäußerungen umgehen sollen. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 14.05.2008