Frage: Wie gehe ich mit Trauersituationen um?

Sehr geeherter Herr Dr. Posth, mein Schwiegervater weiß seit Dezember letzten Jahres, dass er Krebs hat (unheilbar). Meine Tochter erlebte ihn dann einige Wochen geschwächt im Bett. Seit Februar hat sie ihn nicht mehr gesehen, weil er im KH liegt - kaum wiederzuerkennen. Denken Sie, dass wir ihr den Anblick weiter ersparen sollten? Aber was ist, wenn er im KH verstirbt (so sieht es z.Z. aus) - dann war Opa immer krank und dann ist er plötzlich weg? Wie verkraftet das so ein kl. Mensch? Noch eine Frage: Meine Tochter sah meinen Mann zum ersten Mal weinen - an dem Abend als sie zum ersten Mal alleine bei Oma und Opa schlafen sollte. Beim Abschied hatte ich Tränen in den Augen, besonders weil sie nicht wie sonst fröhlich Tschüss sagte und winkte. Am nächsten Morgen war sie so distanziert/neutral. Ich sehe immer die Abschiedssituation mit diesem kleinen unsicher blickenden Gesicht vor mir. Ist die Reaktion meiner Tochter "normal" gewesen?

von schnuckenmama am 04.03.2013, 08:04



Antwort auf: Wie gehe ich mit Trauersituationen um?

Hallo, leider erwähnen Sie nicht, wie alt Ihre Tochter ist. Das Alter ist wichtig, denn von ihm und dem Reifestand eines Kindes hängt ab, wie es mit Trauer und Verlust umgeht. Die eigene Trauer als Verarbeitungsmöglichkeit schmerzlicher Ereignisse im Leben entwickelt ein Kind meiner Ansicht nach - anders als vielfach behauptet wird- erst mit 3 bis 4 Jahren, wenn der emotionale Perspektivwechsel eingestzt hat und das Weltbild sich ändert. Denn bis dahin erkennt das Kind durch den Egozentrismus nur ein Leiden an sich selbst und muss getröstet werden. Seine Leidensempfindung gilt nur dem Selbst und endet im schlimssten Fall in Wut und Verzweiflung über das, was ihm angetan wird. Insofern reagiert es verwundert, wenn andere Menschen Zeichen der Trauer tragen. Aber es kann selbst schon Handlungen eines Tröstens des anderen aufbringen, in dem es das nachahmt, was es an sich selbst erlebt hat. Die Veränderungen eines Menschen in der Krankheit nimmt ein Kind sehr stark wahr, kann sich aber nicht erklären, warum der anderen Mensch so verändert aussieht. Kleinere Kinder reagieren dann hauptsächlich mit Zurückhaltung bis Ablehnung. Es verunsichert und ängstigt sie, wenn der Mensch so anders aussieht. Man sollte ein Kind also nicht zwingen, engeren Kontakt mit ihm aufzunehmen. Das kann zur Verweigerung führen, ist aber keine echte Ablehnung des anderen sondern nur eigene Angst. Hat der Kranke oder Sterbende aber den innigen Wunsch, das Kind noch zu sehen, muss man diese automatische Distanz berücksichtigen und akzeptieren. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 06.03.2013