Wie auf Krieppenbefürworter argumentativ noch reagieren?

Dr. med. Rüdiger Posth Frage an Dr. med. Rüdiger Posth Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut

Frage: Wie auf Krieppenbefürworter argumentativ noch reagieren?

Lieber Herr Dr. Posth, Ihre Argumente zur fr. Fremdbetr. bestärkt mich in Intuition Sohn (15 Monate) gegenüber. Er ist von Geburt an von meinem Mann und mir gleichberechtigt betreut worden. Seit Sohns 6. LM arbeite ich wieder halbe Tage, Mann betreut das Kind, klappt hervorragend. Nur begrüßt mich Sohn neuerdings nicht mehr überschwenglich, wie noch vor Wochen. Ist das Folge von Loslösung? Und: Im Moment bekommen wir von anderen Familien oft die Frage nach Krippenstart gestellt, den wir geplant hatten mit 18 Monaten, aber nun nicht wollen. Ich erwidere auf solche Fragen mit Ihren bindungstheoretischen Positionen. Reaktionen: "Bei XY hat der Krippenstart ihr zu einem Schub verholfen, seitdem spricht sie" oder "Kinder brauchen doch andere Kinder", "XY geht total gern dorthin" usw. Was würden Sie solchen Einzelbeispielen/Pauschalaussagen noch entgegnen? Hier in Österreich ist guter Betreuungsschlüssel selten, normal ist 1:7! Danke für Ihre super Arbeit! Fr. Steger

von mac_pauli am 14.10.2013, 07:25



Antwort auf: Wie auf Krieppenbefürworter argumentativ noch reagieren?

Liebe Frau Steger, man muss sich vor Augen halten, dass Eltern, die ihr Kind so früh zur Betreuung in andere Hände geben, zunächst einmal "zum Erfolg ihrer Handlung gezwungen" sind. Sie müssen diese Entscheidung positiv beurteilen, weil sich ja sonst viele Fragen zu stellen hätten und u.U. selbst auch Vorwürfe machen müssten. Dasselbe Phänomen einer Schönfärberei erlebt man auch bei den Eltern, bei denen die Erziehung völlig schief gelaufen ist, und die Kinder später in der Pubertät und Adoleszenz massiv auffällig werden. Auch dann wird der eigene Umgang mit dem Kind nur positiv dargestellt, und niemand weiß plötzlich, warum das Kind so geworden ist. Es ist da ein Verdrängungsmechanismus in Gang, den die Gesellschaft liebend gerne noch unterstützt; frei nach dem Motto, wir haben uns doch alle nichts vorzuwerfen. Wenn ein Kind in der Kinderkrippe oder Ki-ta Sprachfortschritte macht, ist das schön und ein völlig normales Geschehen. Die Kinder reifen doch, wenn es gut funktioniert, auch in der Gemeischaftseinrichtung weiter. Funktioniert es aber nicht, gibt es allerdings auch Reifungshemmungen und Entwicklungsrückschritte. Das Risiko für solche Hemmungen ist in der Gemeischaftsbetreuung definitiv höher als in der Familie. Aber in gut geführten Einrichtungen können sich auch positive Entwicklungen abspielen. Es führt auf die "alte Diskussion" hinaus: ist die gute Betreuungseinrichtung besser als die schlechte Familie? In vielen Fällen ja. Aber der Umkehrschluss ist viel überzeugender: die gute Familie ist immer besser als die schlechte Einrichtung. Wir müssen erst die Familien unterstützen und dann die Einrichtungen. Die meisten Eltern geben ihre Kinder aus wirtschaftlichen Gründen so früh in die Fremdbetreuung. Das ist politisch gewollt. Denn es ist letztlich billiger, Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder zu unterhalten, als Familien vorübergehend mit dem nötigen Geld zu versorgen. Und die Arbeit der Frauen wird aus volkswirtschaftlichen Gründen benötigt. Es geht in der Gegenargumentation nicht darum, Frauen von Arbeit, Selbstverwirklichung und emazipatorischen Entwicklungen fern zu halten. Im Gegenteil! Es geht darum, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen und vor allem das gesellschaftliche Problem nicht! auf dem Rücken der Kinder auszutragen, die nach wie vor so gut wie keine politische Stimme haben. So können Sie meines Erachtens argumentieren. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 16.10.2013