Hallo Hr. Dr. Posth,
mal wieder eine Frage zum verwöhnen bzw. erziehen von Babys. Ich lese immer wieder überall (auch bei Ihnen), dass man Babys nicht verwöhnen kann und so tue ich alles, was mein kleiner Sohn (25Wo) von mir verlangt. Mein Mann findet das nicht gut, da er meint, unser Kleiner entdeckt langsam seinen Willen und man müsste ihm manchmal zeigen, dass er nicht alles haben, machen kann (sprich: ihn schreien lassen).
Es stimmt schon, dass unser Sohn schon richtig wütend wird, wenn nicht das geschieht, was er möchte... aber ist das wirklich jetzt schon soweit, ihn zu erziehen?
Sie sagen jetzt sicherlich nein. Können sie mir nun konkretes Alter oder Zeichen nennen, wann wir merken, dass das Kind soweit ist und wir langsam mit der Erziehung anfangen müssen?
Danke schön
Petra M.
Mitglied inaktiv - 08.08.2006, 09:39
Antwort auf:
verwöhnen/erziehen
Stichwort: erste Erziehungsschritte
Liebe Petra, die frühesten Erziehungsakte können aufgrund der geistigen Reifevorgänge des Kindes erst im zweiten Lebensjahr einsetzen. Ich müßte Ihnen jetzt ganz viel komplizierte Sachverhalte über die neurophysiologische Reife und die Hirnfunktionen von Säuglingen und Kleinkindern erzählen. Das führte sich zu weit, aber zwei Dinge will ich hervorheben. Erziehen hat nur Sinn, wenn der Erzogene den Sinn des Erziehungsaktes verstehen kann. Ansonsten ist es reines Konditionieren. Zum Verstehen des Erziehungsaktes muß der Mensch aber eine begriffliche Weltsicht besitzen, ursächliche, d.h. kausale Verbindungen ziehen können und logische Zusammenhänge erkennen. Außerdem muß er ein gewisses Zeitverständnis erworben haben, denn Erziehen richtet sich auf die Zukunft. Alles das besitzt oder kann ein Säugling nachweislich noch nicht. Außerdem hat Erziehen nur dann Sinn, wenn der Mensch ein faktisches (explizites) Gedächtnis entwickelt hat. Das aber setzt erst ein am Ende des 1. Lebensjahres (Hippocampusfunktion im Schläfengehirn). Bis dahin funktioniert nur das implizite Gedächtnis, welches ganz unbewußt abläuft, aber z.B. Gefühlsvorgänge speichert!
Zwingt man nun einen Säugling durch Schreikonditionierung zu einer bestimmten Reaktion (was prinziell geht), dann lernt und versteht er nichts, aber die Gefühle bei dem großen Stress des Schreiens, die haften sich fest in seinem Gedächtnis. Diese Gefühle bestehen zunächst aus Wut, weil sein tatsächliches Bedürfnis nicht erfüllt wird und dann aus großer Angst, weil er sich bedroht und ausgeliefert fühlt und sein entwicklungsgeschichtlicher Auftrag des Eingehens einer sozialen Bindung Schaden nimmt. Für einen Säugling ist das Eingehen der Bindung ein existenzielles Bedürfnis. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 11.08.2006