Hallo Dr. Posth,
bei meiner Tochter (seit November 3) stelle ich seit Kurzem fest, dass sie mit der Wahrheit spielt. Ich bin unsicher, wie ich damit umgehen soll. Sie hat eine rege Phantasie und spielt viele Rollenspiele.
Neuerdings kann es sein sie kommt mit Papa vom Schwimmbad heim und erzählt, sie habe ihre Freundin XY dort getroffen, was dann aber nach Aussage von Papa nicht so war. Sie erzählt manchmal ganze Geschichten, die sich dann aber als Flunkerei herausstellen. Besonders auffällig ist, dass sie erkannt zu haben scheint, dass Unwahrheit ihr einen Vorteil bringen kann. Z.B. indem sie der babysittenden Oma erzählt, sie bekomme von Mama immer so viele Süßigkeiten wie sie nur wolle....;-) Oder sie behauptet steif und fest, ihr kleiner Bruder habe das Chaos in der Küche fabriziert (dummerweise schläft er zu dieser Zeit). Solche und ähnliche Dinge kommen nicht zu oft aber immer häufiger vor und ich würde gerne von ihnen wissen, wie wir richtig reagieren. Danke und Grüße.
Mitglied inaktiv - 03.04.2006, 09:39
Antwort auf:
Umgang mit Unwahrheiten
Stichwort Wahrheit und Täuschung
Hallo, der Begriff Wahrheit stammt aus der Erwachsenenwelt. In der Welt der Kinder zumindest bis 4 Jahre gibt es vorläufig nur Wirklichkeit und Erdachtes. Aber selbst hier gehen die Kategorien noch ein wenig durcheinander, denn ein Kleinkind kann subjektiv so eingenommen von seiner ausgedachten Geschichte sein, daß es sich einbildet, diese sei tatsächlich vorgekommen. Im Rollenspiel testen die Kinder aus, wie "man" sich in der Erwachsenenwelt zu verhalten hat, und da sie darin noch vollkommen ungeübt sind, werden solche Spiele immer wieder "durchexerziert". Dabei ist es völlig gleichgültig, ob nur gespielt wird, oder ob das auch ein Teil der Wirklichkeit ist. Viel wichtiger ist, daß das Kind im Rollenspiel erfolgreich agiert und positive Attribute dabei einheimsen kann.
Auf der selben Ebene spielt sich nun der Versuch ab, die Wirklich so zu manipulieren, daß etwas Positives für das Kind selbst dabei herausspringt. Dieser Eigennutzen ist aus der kindlichen Sicht absolut gerecht und gerechtfertigt.
Erst mit dem Verständnis von dem Realitätskontunuum (ab etwa 4 Jahre), welches in jedem anderen Menschen anders aussieht (also der Perspektivwechsel), gerät auch das Kind in die Situation, darüber nachdenken zu müssen, ob es auch in Ordnung ist, was es da tut oder behauptet. Denn erst jetzt begreift es, daß der Umgang mit Wahrheit auch einen wichtigen einfluß auf den anderen Menschen hat und diesen anderen offenbar in Verlegenheit oder regelrecht in einen Nachteil versetzen kann. Wichtig auch, daß der falsche Umgang mit Wahrheit den anderen innerlich verletzen und traurig stimmen kann.
In diesem Stadium, wie gesagt ab etwa 4 Jahre, wird es wichtig, dem Kind die Wirkungen seiner Flunkereien zu spiegeln und ihm auf freundliche Weise klar zu machen, daß das, was es da erzählt oder behauptet wahrscheinlich gar nicht stimmt. Das sollte man natürlich nicht barsch tun und das Kind dramatisch der Lüge bezichtigen, denn das moralische Verständnis von Wahrheit und Lüge läßt immer noch ein wenig auf sich warten. Dazu braucht das Kind die Elemente des Gewissens, die sich jetzt erst langsam auf dem Boden all dieser Entwicklungsschritte aufbauen. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 05.04.2006