Frage: Traurigkeit bei 3-jährigem

Hallo Dr. Posth! Lukas (knapp 3) interessiert sich sehr für seinen Bruder, der Ende Mai zur Welt kommt. Er ist auch wieder sehr anhänglich und spielt oft Baby. Ich hatte dieses Verhalten erst nach der Geburt des Babys erwartet, aber durch sein reges Interesse hat er sicher viel zu verarbeiten. Aber: in der letzten Zeit hat er einige Male ganz traurig geweint. Einmal weinte er nachts leise vor sich hin und murmelte dabei für uns Unverständliches. Einmal saß er spielend in seinem Zimmer, redete zu sich selbst und weinte ebenfalls. Wenn ich ihn darauf anspreche, sagt er z.B.: „Wenn Mama+Papa weg sind, dann gehe ich los und suche Freunde und finde keine“ (in Anlehnung an eine Geschichte), „Wenn Mama+Papa weg sind, dann bin ich (oder: mein Bruder) ganz allein und traurig“, „Wer tröstet mich denn, wenn Mama weg ist?“ etc. Hängt das auch mit dem Baby zusammen, ist das Verlustangst oder erleben das alle Eltern mit ihren 3-jährigen? Muss ich mir Sorgen machen?? Vielen Dank! Anja

Mitglied inaktiv - 13.03.2006, 07:55



Antwort auf: Traurigkeit bei 3-jährigem

Stichwort: Trauergefühl Liebe Anja, es stimmt, daß Kinder im 3. Lebensjahr anfangen, sich mit ihren Gefühlen im Sinne eines Verständnisses der emotionalen Vorgänge in ihnen auseinanderzusetzen. Bis dahin haben sie ihre Gefühle zwar erlebt und "erlitten" oder "genossen", aber Sie hatten noch kein Erkenntnis darüber, was Gefühle eigentlich sind. Das ändert sich jetzt und macht den momentanen Gefühlsstand dialogisierbar. D.h., Sie können jetzt zunehmend mit Ihrem Sohn über seine und auch Ihre! Gefühle sprechen und dabei erwarten, daß er versteht, worum es Ihnen geht. In diesem Entwicklungsschritt steckt auch die Benenung des Gefühls Trauer und seines Erlebnisspektrums. Das Gefühl Trauer bewirkt zwei Dinge: erstens das seelische Schmerzerlebnis als Zusammenfassung vieler anderer bereits erlebter, unangenehmer Gefühle. Zweitens der Versuch einer inneren Bewältigung dieser Gefühlserlebnisse. In Zukunft wird Trauer zum repräsentativen Gefühl aller schmerzlichen Erlebnisse im Leben. In diesen Bereich gehören auf frühkindlicher Ebene vor allem die Trennungserlebnisse. Und genau darum geht es Ihrem Sohn. Die Frage, ob Ihr Sohn vergangene, schmerzliche Erlebnisse gerade betrauert, oder sich vielleicht schon Sorgen wegen des erwarteten Geschwisters macht, Sorgen, er müßte Sie als Mutter dann teilen, läßt sich schwer beantworten. Auf jeden Fall sollten Sie ihm diese Sorgen mit verständnisvollen Worten nehmen und ihm zugestehen, Trauer wegen vergangener Trennungserlebnisse zu empfinden. Trauer spendet ja auch Trost und ist eine Form der Bewältigung. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 14.03.2006