Seh geehrter Hr. Dr. Posth,
mein Sohn ist 1,5 Jahre alt und ich habe bisher immer versucht, ihm möglichst viel Freiheiten zu lassen. Er darf viel ausprobieren oder selber machen, selber entscheiden, z.B. welche Hose er anziehen möchte usw. Ich beobachte aber immer mehr, dass andere Mütter viel strenger sind mit ihren Kindern. Sagen z.B. einfach mal zur "Übung" Nein, damit das Kind von Anfang an lernt, dass man gehorchen muss. Ich habe eigentlich immer versucht, nur bei ganz wichtigen Sachen "Nein" zu sagen. Wie sehr muss man ein Kind in dem Alter schon "erziehen"?
Da ich meinen Sohn auch noch zum Einschlafen stille, heißt es natürlich auch, dass ich ihn vollkommen verziehe. Ab wann fällt denn erfahrungsgemäß die Stillmahlzeit in der Früh (meist gegen 06.00 Uhr) weg?
von
Pumsi1980
am 06.08.2012, 08:16
Antwort auf:
Spagat zwischen Freiraum und Grenzen bei 1,5 Jährigem
Hallo, über das Thema, ab wann Erziehung einsetzt und wieviel Erziehung nötig ist, wird seit Jahrhunderten gestritten. Die grundsätzliche Frage heißt eigentlich, was passiert, wenn man ein Kind nicht erzieht. Die Antwort darauf ist insofern einfach, als es ein Nichterziehen unter gesunden familiären Bedingungen gar nicht gibt. Schon allein mit seinem Vorbild erzieht man. Und mit jedem Nein oder Ja erzieht man auch. Reagiert man aber gar nicht und wendet sich von seinem Kind bewusst ab, um nicht zu erziehen, gerät es üüber kurz oder lang in emotionale und soziale Vernachlässigung und wird seelisch krank.
So bleibt allein die Frage, wie streng sollte man erziehen und wann fängt man damit an. Auch jetzt ist die Antwort nicht so schwer. Im ersten Lebensjahr sollte man die Bedürfnisse seines Kindes prompt und angemssen bedienen, wie es so schön heißt. Also in dieser Zeit erzieht der Säugling seine Eltern und das ist auch gut so.
Aber im zweiten Lebensjahr kommen die ersten echten Interessenskollisionen, und da fallen dann auch die ersten Einschränkungen, Aufforderung und Anweisungen. Also das erste "Nein" ist vielleicht der Startschuss der Erziehung. Einen Säugling kann man auf diese Weise noch gar nicht erziehen, man kann ihn nur konditionieren und in dieser Form an etwas gewöhnen. Es sollte immer etwas sein, das ihm guttut.
In meinem Forum richte ich mich in den Erziehungsempfehlungen nach der in den vielen Jahren, die ich dieses Forum führe, entwickelten bindungsbasierten Erziehung. Sie ist eine ziemlich eng an der Entwicklung und Reife des Kindes ausgerichteten Form der Erziehung, der allzu große Strenge, emotionale Härte oder klassische Bestrafung fremd ist. Auch das üblicherweise vertretene Grenzen setzen wird von mir vermieden. Das Kind findet selbst seine Grenzen, die es dann auch anzunehmen und einzuhalten bereit ist. Ausnahmen bestätigen auch hier natürlich die Regel. in meinem gezielten Suchlauf gibt es ein Stichwort "Erziehung".
Das Stillen am Morgen sollte dann aufhören, wenn man sich mit seinem Kind zum Frühstück an den Tisch setzt. Ist es der Mutter noch viel zu früh, wenn das Kind wach wird, kann sie ihr Kind auch bis ins 2. Lebensjahr hinein noch anlegen. Das gilt auch für das Einschlafstillen. Darin sehe ich kein Problem. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 08.08.2012