Frage: Sollte ich mein Kind Fremdbetreuen lassen?

Sehr geehrter Herr Posth, ich bin etwas verwirrt; Ich habe eine Tochter (13 Monate) und möchte sie ungern so klein schon fremdbetreuen lassen. Nun habe ich den Eindruck, das diese Ansicht sehr exotisch ist. In unserer Krabbelgruppe sind sogar einige Pädagogen, eine Kinderpsycholgin, Lehrerinnen...die nun alle ihre Kinder in die Kita geben (auch zum Teil schon mit 7 Monaten), in Zeitschriften steht überall es wäre ein Mythos, dass die ersten drei Jahre wichtig für die Entwicklung seien, der sich bis heute hartnäckig hält. Auch die Entwicklungspsychologin Liselotte Ahnert meinte in einem Interwiev, man sollte sich als Mutter locker machen und dass andere Bindungen für das Kleinkind auch von Bedeutung sind. Ich fühle mich momentan unter Druck gesetzt, da mir auch schon vorgeworfen wurde, ich kann mich nicht von meinem Kind trennen. Wie kann man das argumentieren, ohne andere Lebensmodelle anzukreiden? Gibt es gute Literatur zu diesem Thema? Mit freundlichen Grüßen, Henricke

von henricke am 16.05.2011, 10:02



Antwort auf: Sollte ich mein Kind Fremdbetreuen lassen?

Stichwort: Familie, Gesellschaft und Mutterrolle Liebe Henricke, es gibt nun einmal diese zwei Meinungen zum Thema frühe Fremdbetreuung und Umgang mit Kindern unter 3 Jahren. Da ist einmal die Bindungstheorie mit ihren Grundlagen, die auf Beobachtung der Kinder, Hirnforschung und Entwicklungspsychologie aufbaut, Diese vertrete auch ich hier im Forum. Und da ist zum anderen die gelenkte, gesellschaftskonforme Aufassung, die genau genommen der klassisch autoritären Erziehungsstruktur entspricht. Letztere ist passgenau auf unsere derzeitigen wirtschaftspolitischen Vorgaben gemünzt und unterstützt das System. Daher wird es in den Medien und den Gazetten stark beworben. Lieselotte Ahnert ("Wieviel Mutter braucht das Kind?") changiert ein wenig mit beiden Meinungen. Sie stammt aus einer anderen Sozialisation und muss frühere Erfahrungen mit neuen Systemen übereinbringen. Das ist nicht leicht. Ich habe sie auf Vorträgen von Kongressen und Tagungen der GAIMH (Gesellschaft für die seelische Gesundheit in der Kindheit) gehört. Die Vereinigung pro Kind hat auf ihrer Internet-Seite eine klare Stellungnahme zu den Voraussetzungen für eine gute frühe Fremdbetreuung veröffentlicht. Ganz ähnlich äußert sich die Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, sowie auch der Kinderschutzbund. Sie sind also keineswegs allein geslassen mit Ihren Bedenken und Nöten. In meinen beiden Büchern äußere ich mich kritisch zur frühen Fremdbetreuung ohne diese abzulehnen. In einer so wichtigen Frage für die Entwicklung des Kindes und damit des ganzen Menschen (Langzeitstudien und Hirnforschung belegen dies eindeutig) kann man sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden geben. Das Kind ist das höchste Gut in jeder Gesellschaft! Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 18.05.2011