Frage: Selektives Trotzverhalten

Hallo Herr Dr. Posth, meine Tochter Jana, 2 Jahre, geht seit einem Jahr täglich zu einer liebevollen erfahrenen Tagesmutter. Die Eingewöhnung verlief so, wie Sie im Forum empfehlen. Die TM schwärmt von Jana als vom liebsten und bravsten Kind, das sie je hatte. Zuhause bringt uns unsere Tochter jedoch fast täglich zum Verzweifeln mit ihren Trotz- und Wutanfällen. Ich kann mir nicht erklären, warum sie bei der TM wie ausgewechselt wirkt. Ist das normal oder fühlt sie sich dort vielleicht nicht wohl, ist gehemmt? Ansonsten habe ich das Gefühl, dass sie gerne dort ist: Sie mag die anderen Kinder, erzählt viel von ihnen, nach der Anfangsphase jetzt keine Probleme beim Abschied. Warum trotzt sie dort niemals, zuhause aber manchmal sehr stark? Übrigens, auch wenn wir irgendwo zu Besuch sind ist sie extrem brav, sodass uns alle beneiden und uns die Geschichten von täglichen Schreiattacken wegen Banalitäten wie Umziehen oder etwas haben wollen nicht glauben. Danke.

Mitglied inaktiv - 23.10.2006, 14:05



Antwort auf: Selektives Trotzverhalten

Hallo, die Trotzattacken dienen ja der Selbstbehauptung, d.h. sie treten da auf, wo das Selbst bedroht ist. Für alle Eltern besteht nun die "unglückliche" Situation, daß sie als starke Bezugspersonen eine solche Bedrohung in der Selbständigkeit ihrer Kinder darstellen. Das ergibt sich aus der natürlichen Konstellation und hat, wie alles in der Natur auch seinen (verborgenen) Sinn. Die Eltern müssen also nicht nur für die Bindungsbedürfnisse Ihrer Kinder "herhalten", sondern auch für deren Loslösungstendezen. Dafür werden Sie später mit großem Respekt und einem starken Familiensinn ihrer Kinder belohnt, aber wie gesagt, das ist später. Alle Ersatzbezugspersonen sind in dieser Hinsicht "zweitrangig" und sie trifft (ungerechterweise?) dann weder die starke Anhänglichkeit der Bindung noch der Widerstand im Trotz. Aber dafür sind sie eben auch nur zweitrangig, was sie nicht mißverstehen dürfen, was nur heißt, daß im Vergleich mit den natürlichen Verhältnissen in der Evolution die menschliche Sinngebung hinten an steht. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 27.10.2006