Frage: Prompte Bedürfnisbefriedigung

Hallo Dr. Posth, bin etwas verwirrt, es gibt so konträre Ansichten und Empfehlungen in der Literatur, was das Reagie-ren von Müttern auf Kummer, Jammern und Schreien von Babys angeht. Deshalb würde mich Ihre -von mir aus sehr geschätzte- Meinung interessieren. Ich reagiere auf kleinste Anfänge von Kummer und Jammern meines Sohnes (10 Mo.) so schnell wie möglich, tröste ihn körperlich, nehme ihn hoch, trag ihn herum, wiege oder stille ihn. Nun lese ich, man sollte VERZÖGERT reagieren. "Das Baby darf für Sekunden oder auch Minuten erst einmal seinen eigenen Weg bahnen, mit seinen Gefühlen bekannt werden." Erst reagieren, wenn das Weinen inten-siver wird. So "ERLERNT das Baby, die eigenen Fühler auszustrecken und Lösungen anzubahnen. Es beginnt damit, sich als Person zu entwickeln und eine emotionale Brücke zur Mutter auszuloten." Also, etw. jammern lassen oder sofort ablenken? Danke und Gruß, Lona

Mitglied inaktiv - 30.04.2007, 10:30



Antwort auf: Prompte Bedürfnisbefriedigung

Stichwort: Verwöhnen des Säuglings Liebe Lona, diese Gegenüberstellung ist theoretisch und klingt ein wenig wie der Streit um des Kaisers Bart. Keine Mutter schafft es, immer sofort auf ihr Kind zu reagieren. Es bleiben genügend, naturbedingte "Interferenzen", d.h. Nichtübereinstimmungen, aus denen der Säugling Empfindungen einer Individualität ableiten kann. Dieses Naturprinzip aber zu einem pädagogischen Programm zu erheben, den Säugling zu mehr Tolernaz zu bewegen, halte ich für einen unzulässigen Kunstkniff der Menschen, die sich "nichts von ihrem oder überhaupt einem Kind diktieren lassen wollen". In Wirklichkeit sind die Zusammenhänge ohnehin noch viel komplizierter und Ihre Haltung, nach Möglichkeit schnell und ohne künstliches Verzögern die Bedürfnislage Ihres Sohnes zu erkennen und auch zu befriedigen, ist "bindungstechnisch" wie auch humanethisch gesehen unbedingt richtig. Die Entscheidung einer Mutter oder eines Vaters kann aber rein intuitiv oder situationsbedingt auch anders ausfallen und der Säugling muß dann auch einmal etwas jammern dürfen ohne gleich "den Schnuller in den Mund geschoben zu bekommen". Ein Säugling ist kein rohes Ei, das man über einen Schwebebalken tragen muß. Die spontane, natürliche Interaktion zwischen Bezugsperson und Säugling, begründet auf der Maxime, dem schwächsten Wesen in der Natur ein Möglichstes an Erleichterung und Absicherung in seiner Existenz zu bieten, ist die Pflicht der Eltern, die dieses Wesen in die Welt gesetzt haben. Der Säugling ist noch nicht in der Lage, Lösungen für sein Problem anzubahnen. Solche Irrtümer rühren aus unkritischen Fehleinschätzungen der emotionalen und geistigen Entwicklung des Säuglings her. Leider geistern davon immer noch zuviele in der Gesellschaft herum. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 01.05.2007