Lieber Herr Dr. Posth,
ich habe zwar gestern dieses Posting schon ins "KiGa-Kids"-Forum gestellt, aber leider dort keine Antworten erhalten. Vielleicht können Sie mir als Fachmann eher weiterhelfen, denn das "nicht verlieren können" ist ja sicherlich (hoffentlich) eine Entwicklungsphase.
Vielen Dank im Voraus.
Anda
"vielleicht kann eine von Euch mir einen Rat geben, wie ich mit dem mir noch ungewohnten Verhalten meines Sohnes umgehen soll.
Er ist viereinhalb Jahre alt und wir spielen schon seit langer Zeit mit ihm diverse Spiele.
Bisher ging es ihm hauptsächlich ums Spielen, hat sich zwar gefreut, wenn er gewonnen hat, aber es war auch nicht schlimm für ihn, zu verlieren.
Das hat sich in den letzten Tagen leider verändert. Zunächst waren es nur Unmutsäußerungen, aber heute ist es eskaliert.
Er wollte unbedingt Schach spielen, dadurch, dass ich sehr untalentiert darin bin, war unsere Partie lange Zeit recht ausgeglichen.....bis ich irgendwann die Gelegenheit hatte "Schach" zu sagen. Daraufhin führte er sich auf, als wenn ich ihn persönlich, nicht seinen König schlagen wollte. Nachdem er sich beruhigt hatte, spielten wir weiter. Wenn er aber seinerseits "Schach" sagt, freute er sich und grinste breit. Das ging dann ein paar Mal hin und her und als ich bereits überlegte, ob ich ihn absichtlich gewinnen lassen soll (finde ich aber eigentlich nicht o.k., habe ich bislang auch noch nie gemacht, er muss ja auch lernen mit Niederlagen klar zu kommen und davon abgesehen, war er eigentlich ohnehin in einer besseren Position als ich und hätte er seine Energie nicht mit Herumtoben und -wüten verbraucht, hätte er schon lange gewonnen gehabt ....)flippte er vollkommen aus.
Ich habe das Spiel dann beiseite geräumt, ihm gesagt, dass wir uns ersteinmal ausruhen und wir es dann abends zusammen mit Papa weiterspielen. Hat er auch akzeptiert, problemlos.
Wie reagiert Ihr in solchen Situationen?
Danke im Voraus für Eure Antworten
LG
Anda"
Mitglied inaktiv - 16.10.2003, 08:18
Antwort auf:
nicht verlieren können
Liebe Anda, ein hochinteressante Frage, zu der man unendlich viel schreiben könnte. Ich muß mich aber leider beschränken.
Zunächst einmal halte ich Schach als ein hochaufgerüstet strategisches Gewinnspiel für nicht sehr geeigent, was 4jährige anbelangt. Aber das Problem, um das es Ihnen geht, ist nicht auf ein bestimmtes Spiel beschränkt.
In meinem Text über das emot. Bewußts., s. link oben rechts, Teil 3, bechreibe ich die das Selbst fördernden und das Selbst schwächenden Attribute. Gewinnen und Verlieren finden sich darin wieder, allerdings auf einer höheren und theoretischeren/abstrakteren Stufe. Deshalb steht es noch nicht dabei.
Verlieren bedeutet für das Kind, ein Stück Selbst aufgeben zu müssen. Je mehr Selbstbewußtsein es besitzt, desto mehr kann es auch davon abzwacken lassen. Aber ein Kleinkind besitzt generell noch nicht sehr viel Selbstbewußtsein, so daß es auch nicht viel davon hergeben kann. So kommt es schnell zu Zornesausbrüchen, wenn man es damit konfrontiert. Dier Zorn kann sich heraufsteigern bis zu unbändigender Wut, v.a. wenn die Selbstposition ohnehin unsicher und somit leicht destabilisierbar ist. Wie beim Trotz wird hier das Selbst massiv verteidigt. Mit rationalen Argumenten kommen Sie dagegen nicht an. Selbst Regeln, die gerade gelernt worden sind, werden für die Selbstverteidigung umgestoßen. Schon kleine Kinder lernen dank ihrer Intelligenz das Mogeln.
Was also tun? Zuerst steht immer das Verständnis voran! D.h. eigentlich müssen Sie Ihr zornentbranntes und schier verzweifeltes Kind trösten. Das scheitert allerdings beinahe regelmäßig an der inzwischen aufgekommenen Scham. Das vier und fünf Jahre alte Kind erwartet durch Einvernahme sozialer Regeln inzwischen von sich selbst, diese Regeln auch einzuhalten. Aber die Emotionen sind in diesem Moment stärker und die Regeln geraten außerhalb des eigenen Blickfelds. Dafür schämt sich das Kind. Und diese Scham vermehren wir noch, in dem wir das Kind jetzt verbal abstrafen.
Der erste Fehler liegt darin, daß wir überhaupt solche Wettspiele mit den kleinen Kindern machen. Es mag Kinder geben, die schon so stabil in ihrer Sozialität sind, daß sie vom Gewinnen wie vom Verlieren profitieren. Aber unter fünf ist das selten. Der zweite Fehler besteht darin, daß wir das Bewertungsschema gewinnen=gut und verlieren=schlecht viel zu sehr betonen. Ja, wir pflegen es geradezu in unserer Kultur. Der dritte Fehler liegt darin, daß wir die potenztelle Kränkung der Kinderseele im Verlieren als Erziehungsprinzip ausnutzen wollen.
Also wählt man sich anfangs Spiele, welche ohne Gewinnen-Verlieren auskommen und erst einmal nur Regeln einführen und Erfolg bescheren. Oder man spielt so, daß der Wettbewerbscharakter außen vorgelassen wird. Man könnte jetzt noch viel darüber schreiben, aber ich muß mich wie gesagt leider beschränken. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 17.10.2003
Antwort auf:
nicht verlieren können
Lieber Herr Dr. Posth,
so interessant ich Ihre Antwort auch fand, so wenig hilfreich ist sie mir bei meinem konkreten Problem.
Sie empfehlen, keine Wettspiele mit kleinen Kindern zu machen und anfangs auf Spiele ohne Gewinner und Verlierer auszuweichen.
Nun, wir spielen aber schon bereits circa zwei Jahre mit unserem Sohn (jetzt viereinhalb) und bisher ging es ihm auch immer nur um das Spielen an sich. Probleme, wenn er mal nicht gewonnen hatte, gab es bisher nie, zumindest nicht bis auf die vergangene Woche, im Gegenteil, ich hatte bisher den Eindruck, er freute sich mit dem jeweiligen Sieger mit. Woher kommt diese Wandlung also so plötzlich?
Ein anderer Gesichtspunkt ist aber doch auch folgender, dass Kinder in dem Alter sich doch häufig mit anderen messen wollen und auch ohne Animation von außen Wettrennen, etc. veranstalten. Wäre dies nicht altersentsprechend kämen sie doch gar nícht auf diese Idee? Was meinen Sie?
Ich glaube auch nicht, dass in unserer Familie je das Bewertungsschema, wie sie schreiben: gewinnen=gut, verlieren=schlecht betont wurde.
Um nochmal auf das Thema Schach zurückzukommen: Mir ist auch klar, dass dieses Spiel eigentlich für vierjährige noch nicht geeignet ist, aber nachdem er es mal einige ältere Herren in einem Park spielen sah, wollte er es gerne lernen und letzte Woche stand er halt mit dem Brett vor mir und wollte mal wieder spielen. Da kann ich doch nicht "Nein" sagen. Oder sollte ich das besser? Ihm etwas verbieten, was sein eigener Wunsch ist, weil er dafür noch nicht reif genug sein könnte. Denn im Nachhinein, so mit ein paar Tagen Abstand, habe ich den Eindruck, dass es ihm in dem Moment eigentlich weniger um das Verlieren (für ihn) ging als um die Angriffsdrohung auf seinen König. Kann das sein, dass er sich selber so mit einer Spielfigur identifiziert, als wäre es er selbst? Das er zwar geistig reif genug dafür ist, aber seelisch nicht?
Meine wichtigste Frage an Sie lautet aber nun, wie man in solchen Situationen konkret reagieren kann. Denn selbst, wenn wir nun auf sämtliche Gewinnspiele verzichten würden, ganz aus seinem Leben entfernen kann man sie ja nun nicht (Freunde, Kindergarten, etc.)
Ich bedanke mich bei Ihnen für die ausführliche Antwort auf mein erstes Posting und freue mich auf die jetzige.
Viele Grüße
Anda
Mitglied inaktiv - 17.10.2003, 20:33