Hallo Herr Dr. Posth,
da meine Tochter 81/2 M. (wächst forumsgerecht auf) bis jetzt jede Nacht häufig wach wird und nach Brust oder Schnuller verlangt, möchte ich bald das nächtl. Stillen beenden in der Hoffnung, dass sie beginnt durchzuschlafen.
Womit muss ich rechnen, damit ich nicht "rückfällig" werde? Wird sie weiterhin regelmäßig wach? Warum dann die Brustentwöhnung, wenn es dadurch anstrengender wird? Oder verändert sich das Schlafverhalten erst nach einiger Zeit? Wann darf ich mir rein statistisch gesehen Hoffnung machen, dass sie nicht ständig aufwacht? Und noch eine ganz wichtige Frage:
Ich lese immer wieder (zB Pantley Schlafen statt Schreien), dass auch der Schnuller wie die Brust (Einschlafstillen) eine neg Schlaf-Nuckel-Assoziation aufbaut, so dass das Baby ohne Nuckelhilfe nicht durchschlafen wird, da es bei jedem Erwachen diese Hilfe braucht? Oder ist das Durchschlafen wirklich nur eine Frage der Reife? Herzlichen Dank im Voraus, Christina B.
von
Charlysmama
am 28.10.2013, 08:22
Antwort auf:
Nächtl. Brustentwöhnung
Liebe Christina, das Problem bei all diesen fachkundigen Empfehlungen ist, dass erstens die Erfahrung gegen vieles davon spricht und zweitens auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur frühkindlichen Entwicklung es nicht bestätigen. Nur wenn man diese Ergebnisse zusammenzieht, also empirischen Daten und wissenschaftliche Erkenntnisse (wobei die Studien ergebnisoffen und valide sein müssen), dann kommt man zu richtigen Ansichten und Empfehlungen.
Die Brustentwöhnung in der Nacht beruht auf der Erkenntnis, dass MM das Ernährungsschema des Säuglings aufrecht erhält, obwohl der Stoffwechsel inziwschen ein anderes Programm fahren kann. Den Stoffwechselhintergrund habe ich hier schon merhfach erklärt (s. gezielter Suchlauf unter selbigen Stichwort). Meistens protestieren die Säugling in den ersten Nächten mehr oder weniger stark, je nach Temperament und sich herausgebildetem Bindungsstil. Diese Phase muss man als Eltern geduldig begleiten. Das Schimpfen und Schreien im beruhigenden Arm der Eltern befördert Ärger und Wut nach draußen und führt schließlich zur Beruhigung. Nur wenn das Schreien immer schlimmer wird, muss man abbrechen und erst einmal zurückrudern. Ein paar Nächte später muss es dann erneut versuchen.
Saugen ist ein Grundbedürfnis des Säuglings (bis weit in die Kindheit hinein) mit einem hohen Maß an Selbstberuhigung. Innere Botenstoffe wie Dopamin, Serotonin, Endorphin und, wie man neuerdings weiß, auch Oxytocin spielen dabei ein Rolle. Das Gehirn wird auf diese Weise geformt mit positiver Gefühlsausrichtung, die wiederum negative Emotionen überlagern kann. Ich bezeichne das als emotionale Integration. Ich kenne keine Mutter, die nicht hin und wieder ihren Säugling einmal nicht an der Brust haben möchte. Wird er dann unruhig, hat die Menschheit dafür den Schnuller erfunden. Dieser ist also ein Ersatz- oder (orales) Übergangsobjekt.
Durchschlafen ist all demzufolge zu allererst ein Produkt eines ausgeglichenen Stoffwechsels und weiter einer zuverlässigen Betreuung und Beruhigung des Säuglings in der Nacht. Dabei ersetzt der Schnuller die Mutterbrust. Eine andere Form des Durchschlafen, z.B. durch notgedrungene Akzeptanz von Entbehrung, kann kein Ziel in der Betreuung von Säuglingen sein. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 01.11.2013