Sehr geehrter Herr Dr. Posth,
ich mache mir Sorgen um die Entwicklung meiner Tochter.
Seit Literatur von Alice Miller und eigener Reflexion und Bearbeitung von Kindheit habe ich begonnen, jegliche Gewalt so gut es mir gelingt aus meiner
Erziehung zu verbannen...
Das war ein harter Kampf und ich bin stolz, dass ich das geschafft habe.
Jedoch macht mir folgendes Kopfzerbrechen:
Mein Mann, zu dem leider schon länger keine wirklich gute Beziehung besteht, zieht nicht mit.
Er wurde selber rigoros autoritär erzogen und findet körperliche Strafe gut-
dementsprechend droht er immer mit Schlägen und manchmal schlägt er auch.
Komischerweise ist nach diesen "Maßnahmen" immer Ruhe, und mir kommen dann die Worte meiner Eltern in den Kopf "Ein Kind braucht Grenzen."Meine Tochter ist dann völlig anders und ruhig und lieb.
Wenn ich rede etc. artet das dann so aus, dass sie mich tritt und sich lustig macht, weil ich ja nicht zurückagiere (körperli.)
Was tun?
von
SaureGurke
am 04.04.2011, 07:43
Antwort auf:
Meine Tochter nimmt mich nicht ernst was tun?
Stichwort: Gewalt in der Familie
Hallo zunächst einmal können Sie tatsächlich stolz darauf sein, zu dem Ergebnis gekommen zu sein, auf jede Form von Gewalt in der Erziehung zu verzichten. So weit sind noch bei Weitem nicht alle Menschen. Alice Miller hat es sich auf ihre Fahnen geschieben gehabt, gegen Gewalt in der Erziehung mit Worten und in Schriften einzutreten. "Du sollst nicht merken" lautete einer ihrer Buchtitel. Das Kind sollte so tun, als spüre es die Erniedrigung und Gewalt seiner Eltern nicht und so tun, als sei alles in Ordnung. Ein bisschen so reagiert Ihre Tochter auch schon. So verhält sie sich -aus Ihrer Sicht widererwartend- beim Vater ruhig und lieb, bei Ihnen aber sie aufsässig und sogar aggressiv. Aber diese schizophrene Haltung ist psychisch ungesund.
Das ruhig und lieb sein entspricht der entstandenen Angst vor dem Peiniger und die Aufsässigkeit gegen den andere Elternteil löst die innere Spannung und führt zur emotionalen Entlastung. Sie als Mutter sind also Prellbock und Aggressionsobjekt für ihre in Anspannung und Angst lebende Tochter. Viele Kinder suchen sich zum Abreagieren ihrer inneren Spannungen andere kleinere und schwächere Kinder und wieder andere fangen an, kleine Tiere zu quälen. Auf jeden Fall sind solche Reaktionen bei Kindern in absolutes Warnsignal. Es muss etwas unternommen werden.
Aber bevor Sie sich jetzt mit Ihrem Mann auseinandersetzen, der offensichlich keinerlei Einsehen hat, sollten Sie eine Erziehungsberatungsstelle aufsuchen und sich professionelle Hilfe holen. Finden Sie sie dort nicht, können Sie sich auch -vorerst anonym- beim Jungendamt beraten lassen. Gemeinsam muss man dann überlegen, wie man am besten vorgeht, um den Vater von seiner Gewaltneigung abzubringen. Für Ihre Tochter und ihre gesunde Persönlichkeitsentwicklung ist das dringend geboten. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 06.04.2011