Frage: Manipulation

Hallo Dr. Posth! Können Sie mir einen (ungefähren) Zeitpunkt nennen, ab wann man davon sprechen kann, dass Kinder absichtlich ihren Willen durchsetzen? Kommt das mit der ersten Trotzphase? Oder wenn sie ein Ich-Bewusstsein entwickelt haben (und sich z.B. im Spiegel als "ich" erkennen)? Mein Sohn ist erst 4 Monate alt, aber eine Freundin behauptet, die Zwerge würden in dem Alter schon anfangen, den Eltern auf der Nase herumzutanzen und ihren Willen auszuleben... Ich halte das für ziemlichen Unsinn, bräuchte aber mal ein paar "harte Fakten", um ihr entgegentreten zu können. Vielleicht können Sie da etwas zu sagen? Vielen Dank im Voraus!!

Mitglied inaktiv - 15.09.2003, 16:39



Antwort auf: Manipulation

Hallo, in meinem Text über das emotionale Bewußtsein stehen eigentlich alle Fakten hierzu gesammelt. Insbesondere führe ich darin aus, daß a) der Wille vom Gefühl her als solcher noch nicht empfunden werden kann, weil der Säugling sich einstweilen nur in der Mutter-Kind-Dyade erlebt und nicht als ein vollständig getrenntes Wesen. Sie haben also recht, es hat etwas mit dem unvollständigen Ichbewußtsein zu tun. b) fehlen dem Säugling noch alle begrifflichen und logischen Voraussetzungen, einen Willen zu formulieren, denn Wille bedeutet ja, daß man im Voraus wissen muß, was man erreichen will. Das aber setzt im Gehirn voraus, daß Sie schon eine Vorstellung haben von dem, was Sie als Ihr Handlungsziel ansehen. Was der Säugling zeigt sind seine basalen Bedürfnisse und seine Grundtriebe, wie Hunger und Durst, etc. Aber das funktioniert auch ohne Wille. Hätte der Säugling tatsächlich einen Willen, würde er sich mangels Anpassungsfähigkeit (er weiß ja bei fehlender Erfahrung noch nicht, wie er sich geschickt anpassen könnte!) ständig fehlverhalten, und sich damit in größte existenzielle Schwierigkeiten bringen. Die Tatsache, daß dem Säugling Wille unterstellt wird (weltweit!), ein Irrtum, der aus unserem Unverständnis von der Säuglingspychologie herrührt, macht es uns Erwachsenen so schwer, mit den Lebensäußerungen unserer Nachkommen adäquat umzugehen. Aber nur dieser Fehler im Verständnis ist die Ursache all der Auseinandersetzungen zwischen dem Säugling und seinen ihn aufziehenden Eltern, und nicht etwa der behauptete Fehler, daß die Natur dem Säugling schon einen Willen verliehen hätte. Nicht die Natur macht den Fehler (sonst gäb es schon keine Menschen mehr), sondern wir Menschen machen ihn. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 15.09.2003