Lieber Herr P,
ich bitte um Ihre Einschätzung unserer Familiensituation in Bezug auf Bindung und Loslösung. Mein Sohn (13 Monate) wurde die ersten 9 Monate von mir betreut (viel getragen/gestillt/nie schreien gelassen). Sichere Bindung. Seit vier Monaten ist mein Mann zu Hause und bleibt dies noch bis Mitte nächsten Jahres. Mein Sohn freut sich, wenn ich nach Hause komme, schläft mittlerweile meist durch und ist zufrieden. Ich sehe allerdings wenig Unterschiede in der Rollenzuweisung zwischen mir und meinem Mann. Lässt sich von uns beiden trösten/wickeln/füttern/ins Bett bringen, wobei letzteres immer ich mache. Wer ist jetzt das Loslösungsvorbild? Ich kümmere mich immer sehr intensiv, wenn ich zu Hause bin, weil ich denke, dass dadurch die primäre Bindung gesichert bleibt. Ist das richtig so?
Zuletzt: ein riesiges Lob! Sie haben wirklich Licht ins Dunkel der frühkindlichen Entwicklung gebracht und mir immer wieder Argumentationshilfen für meinen "Erziehungsstil" geliefert.Vielen Dank!
Mitglied inaktiv - 25.05.2009, 13:29
Antwort auf:
Loslösung
Hallo, da Sie die ersten 9 Monate Ihren Sohn, ich vermute, nahezu ausschließlich Ihren Sohn versorgt haben, sind Sie auch die primäre Bezugsperson. Ich denke einmal, dass Ihr Mann schon immer sehr engagiert sich mit um seinen Sohn gekümmert hat und daher eine erstrangige und sichere Ersatzbezugsperson geworden ist. Insofern ist jetzt bei dem Wechsel der Bezugspersonen kein allzu großer Unterschied festzustellen. Und auch der Übergang in die Loslösung, der ja etwas später einsetzt, wird eher unauffällig und ohne größere Irritationen verlaufen. Insofern kann es als unproblematisch gelten, wenn die Loslösung etwas früher beginnen muss.
Der Wechsel der Hauptbezugspersonen Mutter und Vater um das Ende des 1. Lebensjahres herum, ist aus bindungstheoretischer Sicht ohnehin die Ideallösung für die sozialpolitische Beanspruchung der modernen Familie. Unser Familienministerin hat ja mit ihrem 14-Monate-Modell eher intuitiv als wissenschaftlich hinterfragt einen richtigen Weg gewiesen. Leider geht sie aber nicht weiter und schützt die Familie 2 Jahre (am besten sogar 3 Jahre). Das ist natürlich auch ein finanzpolitisches Problem.
Es kann aber in nächster Zeit sein, dass Ihr Sohn doch eine gewisse Rollenzuweisung vornehmen wird und Ihnen zeigen will, wer was mit ihm machen darf und wer welche Aufgabe hat. Auch könnte es sein, dass mit ungefähr 1 1/2 jahren noch einmal eine größere Mutteranhänglichkeit entsteht, weil dann das Selbstgefühl endgültig durchschlägt (Wiederannäherungskrise). Aber alles befindet sich in einem richtigen Rahmen. Viele Grüße und vielen Dank für Ihr nettes Lob.
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 27.05.2009