Frage: Kleinkinder und Fernseher

Lieber Dr. Posth, unsere große Tochter ist 3 Jahre alt und hat bislang zu Hause noch nie fern gesehen. Sie fragt nicht danach, wir sind selbst Wenig-Gucker und ich bin dagegen, kleine Kinder fernsehen zu lassen ohne dies wirklich begründen zu können. Es ist eher eine Intuition. Habe auch mal gelesen, dass es schädlich ist- nur keine wirkliche Begründung dazu. Ich werde in meinem Umfeld immer wieder belächelt und jeder meint, was es schon schaden soll. Da sehen selbst anderthalbjährige Kinder schon jeden Tag eine halbe Stunde fern.... Hätte gern mal ein gutes Argument, wenn ich mich wieder rechtfertigen muß, weshalb ich keinen elektronischen Babysitter nutze.... Können Sie mir sagen, WARUM fernsehen für Kleinkinder nicht gut ist? Übrigens kommt unsere Tochter vom Fernseher in einem Kaufhaus nach 2 Minuten wieder, entweder völlig desinteressiert oder sogar mit dem Worten "ich hab Angst". Erwarte gespannt Ihre Antwort. Vielen Dank, frohes Fest und herzliche Grüße!

Mitglied inaktiv - 19.12.2005, 18:10



Antwort auf: Kleinkinder und Fernseher

Hallo, es gibt inzwischen einige stichhaltige Gründe, warum Fernsehen für Kleinkinder bis zu Schulalter höchst problematisch ist. Die Gegen-Argumente kommen dazu sowohl aus der Psychologie, als auch und immer mehr aus den Neurowissenschaften (z.B. Manfred Spitzer, Ulm). Man muß nach allem, was man bis heute dazu weiß, davon ausgehen, daß die Kleinkinder die gesehenen Erlebnisse im Fernsehen für pure Wahrheit halten. D.h. sie können die Unterscheidung von Fiktion und Realität noch nicht vollziehen. Manche Kinder schauen ja auch hinter das Gerät, weil sie meinen, da befände sich der Zugang für die "andere" Welt. Im Gehirn der kleinen Kinder werden die Erlebnisse der Fiktion in denselben Speichern abgebildet, in denen auch die realen Bilder, also die Lebenswirklichkeit abgespeichert wird. Das kann gefährlich werden, denn Verwechslungen sind nicht ausgeschlossen, bei ungünstiger Entwicklung sogar die Regel. Erst, wenn der Verstand soweit ist, daß er Wahrheit und Täuschung genau unterscheiden kann, etikettiert er den Sinneseinstrom mit "real" und "fake". Erst dann wird das Fernsehen, wie auch das Kino, einigermaßen kinderunschädlich. Allerdings kann man sich der Gefühle, die die gesehenen Inhalte auslösen, nicht erwehren, egal ob Fiktion und Kino oder wirkliches Erlebnis. Das wissen sogar wir Erwachsenen. Haben Sie schon einmal im Kino geweint? Na und wenn schon; aber das war doch alles nur Film und Täuschung! Kinder erleben neben Trauer v.a. auch Angst vor den Bildern wie im wirklichen Leben. Ich habe Kinder erlebt, die sind hinter das Sofa gekrochen, wenn der kleine Hund ins Wasser fiel oder das Kind in den dunklem Wald ging. Und nachts träumen sie dann davon und rufen unter Tränen nach ihren Müttern. Das ist doch nur allzu gut verständlich. Fernsehen also gut? Eigentlich nur wenn es wirklich lustig ist und wenn die Eltern mitgucken. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 21.12.2005