Sehr geehrter Herr Posth, dank ihren Büchern und einem von S. Biddulph, überlege ich, ob wir es organisieren können, dass mein Sohn (15M) erst mit 2,5 oder 3 in die KITA muss, statt im Sommer in die Krippe. Bis dahin würden wir (beide Freiberufler) uns mit der Oma (SEHR gute Beziehung zu meinem Sohn) abwechseln. Die Leiterin der KITA (nicht der Krippe) hielt mir nun ein langes PRO-Krippe-Plädoyer und dass wir das alles für unser Kind gar nicht leisten könnten. (andere Kinder, Montessori-Pädagokik usw.) Irgendwie bin ich nun doch verunsichert. Die Krippe ist wirklich toll, ich könnte sehr sanft eingewöhnen (und zur Not ja auch abrechen?) und für uns wäre es finanziell nicht so wacklig. Aber all die Sachen mit Corisol-Spiegel usw. klingen wirklich gruselig, das will ich meinem Sohn nicht antun. Ihm aber auch keine tolle Möglichkeit vorenthalten. So eine schwierige Entscheidung. Wie ist denn ihre Meinung? Herzlichen Dank für ihre tolle Arbeit! Andrea
von
andread
am 16.04.2012, 09:37
Antwort auf:
KANN frühe Fremdbetreuung auch gut für mein Kind sein?
Liebe Andrea, das ist eine schwierige Frage, die landesweit sehr kontrovers diskutiert wird. Aber man muss schon ein paar Fakten im Auge behalten, um keine oberflächlichen und voreilige Schlüsse zu ziehen und falsche Empfehlungen auszusprechen. Grundsätzlich erscheint mir wird leicht übersehen, dass Kinder erst nach dem Erwerb ihrer subjektiven Selbstvorstellung sozialisationsfähig sind. Es macht in der Gemeinschaft keinen Sinn, Menschen miteinander agieren zu lassen, die noch gar nicht wissen, wer sie sind und eigentlich unabdingbar auf ihre Bindungspersonen angewiesen sind, die ihnen beim Aufbau von Kontakten helfen. Kleinkinder bis zwei sind so betrachtet noch in der Phase der Individuation und genießen das soziale Spiel nur bei Steuerung durch einen Erwachsenen, zu dem sie eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut haben. Jeder andere Kontakt artet ganz schnell in Stress aus. Und unter solchen Bedingungen sind auch die Kinder überhaupt nicht bildungsfähig. Da werden den Eltern auch viele Märchen aufgetischt.
Zwei Dinge stehen dahinter: einmal glauben die Pädagogen selber an diese frühe Bildungsfähigkeit, weil sie enthusiastisch auf ihren Beruf blicken. Zum anderen ist es sozialpolitischer Wille, dass die KInder so früh in Fremdbetreuung kommen, damit die Eltern frei für das Erwerbsleben werden. Die angebliche Förderung des Kindes ist ebenso eine propagandistische Strategie wie die Emanzipation der Frau zum Berufsleben. Die Kinder selbst und ihre Verteidiger (die Entwicklungspsychologen) werden erst gar nicht gefragt und die Frauen, die sagen, sie würden für ihr Kind gerne zwei Jahre Berufstätigkeit opfern, werden diffamiert (Kassieren der Herdprämie etc.).
Aber beides sind Politika. Kinder sind eigentlich erst ab ca. dem 3. Geburtstag wirklich sozialisations- und bildungsfähig (dafür bringe ich in meinen Texten viele Gründe), und Erziehungsarbeit muss nur als solche anerkannt werden und der Erwerbsarbeit sozialpolitisch gleichgstellt werden. Alle Probleme wäre weitgehend gelöst, aber es kostet viel Geld, Geld, das über viel Generationen hinweg zu Lasten der Frauen eingspart worden ist.
Aber letztlich entscheiden immer die Eltern für sich allein aus Sicht ihrer familiären Situation. Ich kann nur Argumente und theoretisches Material beisteuern. Kurz, Sie enthalten Ihrem Sohn überhaupt nichts vor, wenn Sie ihn bis 2 1/2 oder 3 Jahre zu Hause lassen. Kinderkontakt bekommt er in Spielgrupen und auf Spielplätzen genug. Und bilden im frühkindlichen Sinne können Sie ihn genauso gut. Er braucht noch kein Montessori-Spielmaterial. In früheren Jahrhunderten ging kein Kind so früh in eine Betreuungseinrichtung. Und was für kluge Menschen sind dabei herausgekommen! Wie geht das zusammen? Viele Grüße und danke für Ihr Lob
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 19.04.2012