Sehr geehrter Herr Dr.Posth,
ich bin alleinerziehende Mutter eines 13 Monate alten Jungen,der Vater hat die Möglichkeit von Geburt an in wöchentlich stattfindenden Besuchskontakten eine Bindung aufzubauen,bisher ist eine solche jedoch noch nicht entstanden.Mein Sohn aktzeptiert die Besuche,die Anwesenheit seines Vaters lediglich,sucht zwischendurch immer wieder Schutz bei einer vertrauten Person,zeitweise fremdelt er etwas vor seinem Vater.Nun wird überlegt den Umgang zwischen Vater-Sohn in öffentlichen Räumen einer Erziehungsberatungsstelle statt finden zu lassen unter Betreuung eines Psychologen.
Ich befürchte,daß mein Sohn in fremder Umgebung ohne Bezugsperson weinen und sich verlassen vorkommen würde.Die Dame vom Jugendamt sagte mir,davon nehme das Kind keinen Schaden,selbst wenn er erst weinen würde,nach 1-2 Min. würde dies schon vorüber gehen,ich jedoch habe Angst,daß das Kind einen Schaden,einen Bruch im Ur-Vertrauen,sich meinem Schutz/Hilfe nicht mehr bedingunslos sicher fühlt.Er würde es nicht verstehen,warum ich nicht anwesend bin oder eine andere Bezugsperson und das über zwei Stunden???
Meine Bedenken werden als überspitzt abgetan,ebenso mein Vorgehen,das Kind als Säugling nie schreien gelassen zu haben,rund um die Uhr für ihn da zu sein,ihn also nicht mal abzugeben in ihm nicht fest vertraute Hände.Ich finde es einfach wichtig,daß er sich bedingungslos auf mich verlassen kann,wenn ich ihn weg gebe für zwei Stunden,woher soll er realisieren,daß ich dann wieder komme?
Ich sorge durch Krabblegruppe und private Kontakte dafür,daß das Kind den Umgang mit anderen erlernt und sich von mir lösen kann im Spiel,jedoch lasse ich ihn grundsätzlich nie allein,bin greifbar für den Fall daß er mich braucht,auch feste männliche Personen gibt es,an die er sich orientieren kann.Meinen Sie,ich kann dem betreuten Umgang zustimmen ohne Bezugsperson,sind meine Bedenken,mein Verhalten dem Kind gegenüber(bezüglich nicht schreien,nicht mal allein ohne mich lassen)wirklich überspitzt?Die Dame vom Jugendamt sieht mein Vorgehen als bedenklich an,es gäbe demnächst Probleme bezüglich der Loslösung-Kindergarten,stimmen sie ihr zu?Aus ihren Schriften über das emotionale Bewußtsein,die ja nicht so leicht zu verstehen sind,entnehme ich für mich,daß mein Verhalten richtig ist und meine Bedenken nicht unbegründet oder habe ich etwas falsch verstanden?
Liebe Grüße und vielen Dank für ihre Antwort,Nele mit Jannik
Mitglied inaktiv - 12.07.2004, 14:58
Antwort auf:
Ist mein Verhalten,mein Denken überspitzt?
Liebe nele, das Problem ist, daß die Entdeckungen des Bindungsgeschehens und der Loslösungsproblematik bisher kaum je in der pädagogischen und psychologischen Ausbildung auftauchen. Ihre Begründer Bowlby, Ainsworth, Mahler, vielleicht Erikson und Stern werden wenn überhaupt nur am Rande und in Sonderveranstaltungen erwähnt. Das Thema Loslösung ist noch neuer und bisher wenig definiert worden. Mein Langtext über das emotionale Bewußtsein geht da einen noch wenig bekannten Weg. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß die Sozialpädagogin vom Jugendamt noch den alten Vorstellungen von der potentiellen Überwindung des inneren Leids ausgeht. Wer aber die Entwicklungen der Kinder weiter genau betrachtet, erkennt leicht, daß dies eine falsche Vorstellung sein muß. Auch die zahlreichen Fragen aus meinem Forum sind beredte Aussagen zu den neuen Konzepten. Tragen Sie der Frau vom Jugendamt doch an, einmal meine Texte zu lesen.
Verfechten Sie also im Interesse Ihres Sohnes weiterhin die eingeschlagenen Linie, so Sie denn das Sorgerecht haben, und verweigern sie die Konfrontation mit dem Vater in einer solchen unseligen Situation. Das führt zu keiner Loslösung, sondern nur zur Angst vor dem Vater, denn das Kind identifiziert nachher den Vater mit der unglücklichen Situation auf dem Jugendamt.
Alleinerziehende Mütter haben sicher ein Problem mit der Loslösung. Darauf habe ich schon öfter hingewiesen. Es fehlt das entscheidende Glied der Triade (3-heit). Es kommt jetzt darauf an, sein Kind sehr genau zu beobachten, welche Person aus dem unmittelbaren Umfeld es sich selbst aussucht, um einen Ersatz für den leiblichen Vater zu finden. Das wird jemand sein, der einigermaßen beständig sich in die Beziehung einbringt und der dem Kind sympathisch ist. Diese Person sollte sich ihrer Verantwortung bewußt sein. Ich bin mir nicht sicher, ob es unbedingt ein Mann sein muß. In den allermeisten Fällen wird eine solche Person aus der mütterlichen Familie stammen. Viele Grüße
von
Dr. med. Rüdiger Posth
am 15.07.2004
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Ist mein Verhalten,mein Denken überspitzt?
Hallo,
wenn ich den Langtext richtig verstehe, ist die Losloesung umso unkomplizierter je sicherer das Kind gebunden ist. Und ich haette genau wie du die Befuerchtung, dass dein Sohn dich in der fremden Umgebung sehr vermisst. Kommt dein Sohn denn bald in den KiGa? Wenn nicht, dann ist das ein voellig anderer Zeitpunkt (und dein Sohn weiter in seiner Entwicklung) und das eine hat mit dem anderen eigentlich nichts mehr zu tun. Ein Kind mal 2 Stunden von Oma/Opa zu bringen ist m.E. auch etwas anderes, als es 2h in eine Umgebung zu stecken, in der es vorher noch nicht im Beisein der Mama war, und zu seinem Vater scheint dein Sohn ja dieses Vertrauen nicht zu haben.
Aber:
Die Trotzphase wird kommen. Und da wirst du wohl oder uebel nicht drumherum kommen, dein Kind schreien zu lassen. Dies ist aber etwas voellig anderes.
Viele Gruesse,
Mitglied inaktiv - 12.07.2004, 21:25
Antwort auf:
Ist mein Verhalten,mein Denken überspitzt?
Danke für Deine Antwort Mielkec.
Der Kindergarten liegt noch in weiter Ferne und weinen lassen wegen Trotzen ja das ist echt was anderes,ich finde es nur nicht gut,wenn Säuglinge allein gelassen in den Schlaf weinen müssen und ich finde es traurig,daß eine junge Sozialpädagogin dazu sagt,daß es zu dem Thema unterschiedliche Meinungen gibt und meine wäre übertrieben.Eine gute Bindung zwischen mir und Kind ist im ersten Lebensjahr entstanden,Jannik ist ein ausgeglichenes,pflegeleichtes Kind-jetzt frage ich mich nur allen ernstes,wie ich ohne den Vater die Loslösung gestalten soll???
Es reicht mit Sicherheit nicht aus,das es männliche Personen gibt,die sich regelmäßig mit ihm beschäftigen(mein Vater,mein kleiner Bruder)?
Wie kann ich diese Loslösung nun unterstützen??
Gibt es Tipps,vielleicht auch ein Buch wie ich die Situation als alleinerziehende FÜR meinen Sohn am günstigsten meistere,damit er keinen Schaden dadurch bekommt?
Vielen Dank und liebe Grüße,Nele
Mitglied inaktiv - 12.07.2004, 22:03
Antwort auf:
Ist mein Verhalten,mein Denken überspitzt?
Hallo!
Das ist typisch! Keinerlei Erfahrung aber werden auf Kinder und Mütter losgelassen!(sorry, da bekomme ich immer die Krise)
Find Du hast das alles ganz toll gemacht! Das Jannik so reagiert ist auch normal. Ich finde er lernt den Vater viel besser in der heimischen Küche kennen (ist vielleicht für die Eltern schwieriger, aber was macht man nicht alles)dort ist alles vertraut. Und dann kannst Du ja einfach mal anfangen für 2-3 Minuten auf der Toilette zu verschwinden UND dann wieder kommen, in den Keller gehen, kurz was einkaufen und irgendwann(absehbar) wird er auch mit seinem Vater mal auf den Spielplatz gehen.
Habe meiner Tochter von Anfang an gesagt, ich geh schnell Einkaufen usw. Papa ist da. Ansonsten hing sie auch nur an mir und mußte nie großartig schreien. Letztens übernachtete sie (2) ohne Probleme bei einer Freundin, wußte ja das Papa und Mama wieder kommen.
LG
Claudia
Mitglied inaktiv - 12.07.2004, 23:51