Frage: ist das angeboren??

Meine Tochter (17 Monate) war schon immer sehr schüchtern bzw. ängstlich.Schon als Baby hat sie zu weinen begonnen sobald sie nur die Stimme von Verwandten oder Bekannten gehört hat.Meine Schwiegermutter sagt mir immer wieder das ist erziehungssache bzw. die Mutter ist daran Schuld. Wir sind auch seit einem Jahr in einer Kindergruppe und auch da fängt sie immer noch bitterlich an zu weinen wenn sie nur ein anderes Kind lachen hört oder es andere Geräusche von sich gibt.Wenn sie allerdings Kinder von weitem sieht z.B. beim einkaufen lacht sie alle an.Ich dräng sie zu nichts aber die anderen finden das ist nicht normal. Ist das Verhalten angeboren, oder mache ich tatsächlich etwas falsch?? Was kann ich tun?? Vielen Dank

Mitglied inaktiv - 10.10.2003, 13:50



Antwort auf: ist das angeboren??

Liebe Andrea, Sie stellen eine sehr schwierige Frage, die auch heute noch von der Wissenschaft nicht richtig beantwortet werden kann. Wieviel eines Charakters ist angeboren, wieviel Folge und Auswirkung der psychosozialen Lebensumstände? Wahrscheinlich ist es so, daß ein bestimmtes Grundgerüst, das man als Temperament oder Anlage bezeichnet, tatsächlich angeboren ist, daß dessen individuelle Ausgestaltung aber rein psychosozialer Natur ist. Wagen wir ein Beispiel: Also ein ängstlich veranlagtes Kind, daß gleichzeitig wenig Frustrationstoleranz besitzt und schnell schreit, ob aus Gefühlen der Unheimlichkeit und Angst oder aus unmittelbarer Wut, weil die primäre Bezugsperson zur Beruhigung nicht sofort zur Stelle ist, wird eher wenig angenehme Gefühle in seinem ersten Lebensjahr auf sich vereinigen können, da seine scheinbare Intoleranz und sein ungeduldiges Schreien nicht immer sofort erhört und beachtet werden können. Der in ihm sich ansammelnde negative Streß bedeutet Unruhe und schlechte Strukturiertheit in seinem Gehirn, was Seele und Geist anbelangt, und so wird sich in der Phase der Loslösung die Problematik nur mehr fortsetzen. Die Folge ist eine ungünstige Vorausetzung für seine Selbstentwicklung, die das Kind anhand seines Versagens in dieser Hinsicht auch sehr schnell merkt. Da sind die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung, sprich die Familie, insb. auch die Geschwister (und sicher auch andere weitgehend altersgleiche Kinder!) in ihrer offenkundigen (Negativ-)Einschätzung auch nicht zimperlich (Erziehungsprinzipien, Rivalitäten). Nun zieht sich das Kind, einigermaßen enttäuscht von seinen Mitmenschen zurück und erscheint nach außen zunehmend scheu und schüchtern. Man muß wissen, daß das anfänglich Ich und Selbst ausgesprochen egozentrisch sind und alle Fehler, aber auch alles Können ursächlich bei sich selbst suchen. Wenn also die Gesellschaft mit Kritik, Ablehnung und Herabwürdigung reagiert, dann nimmt sich das Kind in diesem Alter das ganze absolut zu Herzen. Später wendet sich das Blatt allerdings. Dann sind immer die anderen die bösen. Aber später ist für die Selbstentwicklung meistens zu spät. Da sitzt der Stachel schon ganz tief im Selbst. Das erscheint nach außen im Verhalten wie großer Rückzug und Scham. Der wunsch, Kontakt zu anderen Kindern zu haben , ist aber davon unbenommen, und auf Distanz wird sich auch so verhalten. In der Nähe aber sind nur die Erwachsenen willkommen, die gut einschätzbar und der eigenen Person gegenüber willfährig erscheinen. Über diese Personen, die im besten Fall natürlich die Eltern selbst sind, baut sich das Kind sein Selbstbewußtsein dann doch noch auf. Das ist alles ganz gut verständlich. Ich vermute, daß sich Anlage und Umwelteinfluß ungefähr so zueinander verhalten. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 11.10.2003