Frage: IMMER unglücklich

Lieber Herr Posth, ich mache mir große Sorgen um meine kleine Tochter (3 Jahre). Sie scheint einfach IMMER schlechte Laune zu haben, ist gereizt, weint wegen jeder Kleinigkeit und immer, wenn wir sie mal streng ansehen, weil sie etwas Verbotenes tut wird sie unglaublich wütend und sagt "ihr habt mich gar nicht mehr lieb". Nun ist es aber so, daß mein Mann und ich sie wirklich über alles lieben und auch nicht übertrieben streng sind. Im Gegenteil wir versuchen nur, ihr sichere Verhaltensregeln zu geben. Es gibt genug Möglichkeiten für sie, ihre Selbständigkeit zu erproben, neue Dinge auszuprobieren etc. Nur eben nicht im Straßenverkehr oder im Supermarkt. Das erklären wir ihr auch immer so ruhig wir können (klar, manchmal im Streß bin ich schon auch mal etwas lauter). Ein Lächeln huscht höchstens mal über ihr Gesicht, wenn wir ihr etwas zum Spielen oder etwas Süßes gekauft haben, aber auch nur, wenn es unmittelbar neu ist. Eine halbe Stunde später schaut sie wieder weinerlich in die Welt. Ich weiß nicht, was wir falsch gemacht haben könnten, sie war zwar seit sie 8 Monate ist für täglich 4 Stunden in der Unikita (vielleicht war das zu früh?) aber das ist doch gerade auch im Vergleich zu anderen Kindern kein langer Zeitraum -und ich gehe eigentlich nicht davon aus, daß ihr dort etwas furtchtbares passiert sein könnte. sonst war sie immer unter meiner Aufsicht oder der meines Mannes und wir sind beide weder jähzornig noch unbeherrscht. Wir haben uns wirklich immer liebevoll um sie gekümmert, gespielt, herumgetragen, vorgelesen etc. Nun ist es so, daß meine Schwester (bis heute) ein ebenso unglückliches Naturell hat. Sie war als Kind schon mit NICHTS zufrieden, fühlte sich immer übervorteilt, hat mich schlecht gemacht, wo sie nur konnte um sich einen Vorteil zu verschaffen.Allerdings war das auch aus einer gewissen Dynamik heraus entstanden, wo meine Eltern sich nicht unbedingt korrekt verhalten haben. D.H. sie haben immer auf mich verwiesen und gesagt, "schau mal, Marlene spielt doch auch so schön still vor sich hin, warum kannst du das nicht?", oder "hör auf zu weinen, Marlene darf jetzt ja auch nicht im Regen in den Park und sie weint auch nicht"etc. so wurde die Eifersucht und das sich weniger geliebt fühlen immer nur verstärkt. Meine Tochter ist aber nun ein Einzelkind und muß mit niemand konkurrieren und ich und mein Partner haben obwohl wir beide arbeiten (beide 3/4 Stellen, aber so organisert, daß bis auf 4 Stunden am Tag immer jemand zu hause ist)viel mehr Zeit für sie, als meine Eltern je für mich und meine Schwester. Denn obwohl meine Mutter keine Stelle hatte, war sie mit Hausbau, einer kranken Mutter und ihren Depressionen mehr als genug beschäftigt. Kann es eine Art Gendefekt geben, der Depressionen befördert? Meine Mutter ist depressiv, meine Schwester auch obwohl beide einen ganz unterschiedlichen biographischen Hintergrund haben. Und meine Kleine scheint es offenbar auch zu sein -obwohl wir nach bestem Wissen und Gewissen sagen können, daß kein traumatisches Erlebnis vorliegt. Wenn ich sie frage, warum sie so traurig schaut sagt sie wahlweise, weil das Essen nicht schmeckt, weil sie nichts süßes mehr bekommt (gibts immer etwas zum Aussuchen nach dem Mittagessen, aber eben nicht mehr), weil sie die Kleider nicht mag, die sie trägt (wenn ich dann mit ihr ins Zimmer gehe und sie etwas anderes aussuchen lasse, ist sie kurz danach dann wieder traurig, weil ihr das Bild nicht gefällt, das sie gemalt hat (wenn ich dann dennoch sage, daß ich es schön finde und aufhänge, reißt sie es wieder ab). Wie kann ich ihr denn bloß helfen? Marlene

Mitglied inaktiv - 07.11.2002, 16:08



Antwort auf: IMMER unglücklich

Liebe Marlene, so differenziert, wie Sie Einzelheiten aus Ihrem Familienleben vortragen, kann ich daraus keine Schlüsse ziehen. Die Unzufriedenheit Ihrer Tochter könnte natürlich mit mimischen und gestischen Botschaften zusammenhängen, die Sie unbewußt ihr gegenüber hervorbringen. Diesen Widerspruch spüren Kinder sofort. Ob auch die frühe "Weggabe" damit zusammenhängt, ist schwer zu sagen. Hat sie denn sehr geweint, als Sie sie dort zurückgelassen haben, oder gab es eine sanfte "Abnabelung"? Also so einfach ist das alles nicht zu beantworten. Depressionen sind wahrscheinlich auch mit veranlagt, aber aus dem Verhalten Ihrer Tochter auf eine solche Veranlagung schließen zu wollen, halte ich für unzulässig. Auch treten Depressionen im Kindesalter höchstens in sehr versteckter From auf, die sich im wesentlichen in sozialer Selbstausgrenzung äußern. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 09.11.2002