Frage: Gefühle benennen

Hallo! Ab welchem Alter sollten Kinder in der Lage sein, Gefühle (z.B. Freude, Traurigkeit) zu benennen? Ich meine bei sich selbst, nicht anhand von Bildern oder so. Danke! Lotta

Mitglied inaktiv - 10.02.2003, 14:26



Antwort auf: Gefühle benennen

Liebe Lotta, Sie sind sich wahrscheinlich nicht klar darüber, daß sie hier eine philosophische Frage stellen und nicht so sehr eine entwicklungspsychologische. Ich würde Ihnen jetzt gerne einen kleinen Aufsatz dazu schreiben, muß mich aber beschränken. Die Bewertung von Gefühlen ist etwas anderes als deren Empfindung. Bewertung ist Verstandesleistung, Empfindung eine Emotion. Ein Säugling freut sich oder ängstigt sich, aber er kann nicht reflektieren, was das für ein Gefühl ist. Das hat manche Entwicklungspsychologen dazu verleitet zu sagen, daß ein Gefühl erst dann ein Gefühl ist, wenn ein Mensch es bewerten kann. Ich halte das für einen fundamentalen Fehler. Angst ist immer Angst und Freude immer Freude, auch wenn der Mensch nicht beschreiben kann, was er fühlt. Er drückt aber seine Gefühle durch Mimik und Gestik, sowie durch Stimme und Motorik aus und diese Äußerungen stimmen mit denen der Menschen überein, die Ihre Gefühle längst benennen können. Das ist der intuitive Zugang zum Gefühlsleben von Säuglingen und Kleinkindern, aber auch z.B. von schwer behinderten Menschen. Funktionierte das nicht, könnten wir annehmen, daß Säuglinge keine Gefühle hätten (was man in den früheren Jahrhunderten auch gedacht hat sehr zum Nachteil der ganzen Menschheit). Kompliziertere Gefühle wie Trauer, Haß, Zorn, Stolz, Neid etc. können Kinder erst nach dem 4. Lebensjahr oder noch später bennen und auch bei anderen Menschen erkennen (Testmethoden hierfür sind z.B. kleine Bildergeschichten). Aber Kleinkinder können schon Schmerz und die damit verbundenen negativen Gefühle bei anderen Menschen erkennen, vielleicht die früheste Form von Empathie. Sie ist wichtig bei der Gewissensbildung. Aber z.B. Trauer bei einem Elternteil ist für ein Kleinkind noch weitgehend undurchschaubar. Nur wenn Weinen und Tränen auftreten, vermag das Kind das Gefühl des Anderen ziemlich sicher einzuschätzen und wird sich tröstend um ihn kümmern. so beginnt das Mitleid, eine der wichtigsten, menschlichen Eigenschaften. Viele Grüße

von Dr. med. Rüdiger Posth am 11.02.2003